Pfr. Martin Dubberke
Der 1. Advent | Bild: Martin Dubberke

Ein anderer Advent

Liebe Geschwister, es ist Advent und kaum einer merkt es. Es gibt keine Adventsmärkte. Auf den Straßen fehlt der Duft von Glühwein, Bratwurst und Co. Es fehlt die ganze Musik, die ganzen amerikanischen Weihnachtsschlager, über die manch einer sich jedes Jahr ärgert. In diesem Jahr ärgern sie uns nicht. Den Wunsch hat uns Corona erfüllt, aber dafür gibt es andere Dinge, die uns nicht gefallen, die ganzen Beschränkungen bei den Besuchen. Aber es geht noch weiter. Als ich diese Woche beim Metzger meines Vertrauens war, fragte eine Kundin den Juniorchef, ob er schon Bestellungen für Weihnachten annehmen würde, worauf er antwortet: „Nein, das machen wir in diesem Jahr nicht. Wir wissen ja nicht, ob wir Weihnachten offen haben dürfen.“

Tja, wir gehen in der Tat in die staade Zeit. Wir sind also das, was man sooft in solchen Zeiten ist: In Gedanken, in Gedanken bei uns, in Gedanken bei unseren Liebsten, in Gedanken bei Gott.

Was geschieht dabei? – Wir machen Dinge, die mich an meine Kindheit erinnern. Wir packen und verschicken Pakete und Päckchen, mehr denn je, denn sie verbinden uns mit den anderen, tragen unsere Liebe dem anderen entgegen, schenken dem anderen Freude und während ich einpacke und alles hübsch mache, denke ich auch an den anderen Menschen.

Der ewige adventliche Trott ist in diesem Jahr durchbrochen. Der Advent kann in diesem Jahr unser Herz ganz anders erreichen, weil wir es uns noch schöner machen. Es gibt eine neue Innerlichkeit.

Tochter Zion! Der 1. Advent ist davon geprägt, dass eine neue Zeit anfängt. Bei Sacharja lesen wir die Geschichte mit dem König, einem armen, der auf einem Esel in Jerusalem einzieht, nicht mit Pauken und Trompeten, nicht mit den Insignien der Macht. Da kommt eine Friedenskönig, ein Abrüster, ein König, der die Streitwagen, die Panzer jener Zeit, und die Streitrosse vernichten wird, der den Kriegsbogen, also alle Geschütze, zerbrechen wird, der seine Macht nicht auf Waffen und Gewalt gründet, sondern auf ganz anderen Werten, nämlich auf Frieden und dann kommt ein Satz, der kaum größenwahnsinniger sein könnte:

Denn er wird Frieden gebieten den Völkern. Und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis  zum anderen und vom Strom bis an die Enden der Welt.
Sacharja 9, 10b

Das muss man sich mal vorstellen. Jene Zeit war nicht weniger von militärischen Auseinandersetzungen geprägt als unsere. Da will und soll ein König ohne die üblichen Instrumente der Macht kommen und einfach Frieden gebieten und nicht nur in seinem kleinen Land, sondern weltumspannend und dieser König will und soll auch noch die ganze Welt beherrschen. Kommt, seid doch ehrlich, über so einen Spinner würde doch alle Welt lachen. Er bekäme bestenfalls für seine konsequenten Bemühungen den Friedens-Nobelpreis.

Aber ganz ehrlich, glauben wir, dass so ein König Herrscher wie einen Putin oder Xi Jinpeng oder Erdogan in die Knie zwingen würde? Auf Trump können wir ja in dieser Aufzählung in Kürze verzichten. Die würden sich wahrscheinlich vor Lachen auf ihre Schenkel klopfen und diesen König als ärmliche Lame Duck bezeichnen.

Und ganz ehrlich: Würdet Ihr von so einem König in der Zeitung lesen, würdet Ihr das glauben?

Daher stellt Euch einfach mal vor, dieser König würde abends in der Talkrunde von Markus Lanz sitzen und sagen: „Ja es reicht vollkommen, wenn ich es gebiete. Dann wird Frieden auf dieser Welt herrschen.“

Dann würde Markus Lanz sich wahrscheinlich nach vorne beugen und diesen König fragen: „Was macht Sie so sicher, dass das bei ihnen funktioniert und bei mir nicht? Wenn das so einfach wäre, stellt sich doch die Frage, warum wir dann nicht schon längt Frieden in Syrien haben? Warum ist dann noch immer die Krim besetzt? Warum bringen dann Tag für Tag so viele Menschen Menschen um, müssen Männer, Frauen, Kinder über die Meere nach Griechenland oder Italien fliehen und wenn sie unterwegs nicht ertrunken sind, in großen Lagern leben und unter menschenunwürdigen Verhältnissen in diesen Lagern gefangen sein?

Tja, was würde dann dieser König antworten? Und damit sind wir beim Thema Vision angelangt.

Was für die Menschen zu Sacharjas Zeiten, also 520 Jahre vor Christus noch eine Vision war, ist, wenn wir dem Evangelium glauben, Wirklichkeit geworden:

Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.« Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf…
Matthäus 21, 4-7

So, und nun denken wir uns noch einmal in das Hamburger Fernsehstudio von Markus Lanz zurück, denn wir wissen ja nun, dass da nicht irgendein ärmlicher König sitzt, sondern Jesus Christus. So, und nun bekommt die Antwort auf die Frage von Markus Lanz, warum denn nicht schon längst der weltumfassende Frieden herrschen würde, eine ganz besondere Brisanz.

Was glaubt Ihr, warum? Ich erzähle Euch mal, wie sich diese Talkrunde vor meinem inneren Auge weiter abspielt:

Jesus bleibt ruhig und lächelt Markus Lanz charmanter an als er je zurück lächeln könnte. Markus Lanz bohrt noch einmal nach: „Naja, wie ist da denn nun mit Ihrer Weltherrschaft rund 2000 Jahre nach Ihrem Tod?“

Jesus schmunzelt und antwortet ganz ruhig: „Nun, halten wir doch einmal fest, dass es wohl kaum einen Menschen auf dieser Welt gibt, der mich nicht kennt.“

Lanz fällt ihm ins Wort: „Gut, damit haben Sie Recht. Aber mich kennen auch etliche Millionen Menschen und dennoch bin ich nicht der deutsche Bundeskanzler.“

„Stimmt“, kontert Jesus: „könnten Sie auch nicht, weil sie ja Italiener sind.“

Die beiden anderen Studiostammgäste, Karl Lauterbach und Norbert Röttgen feixen sich einen.

Jesus legt noch einen nach: „Und ganz ehrlich, ich habe auch mehr Fans als Sie, die nennen sich sogar weltweit nach mir: Christen und Christinnen.“

Fragt Röttgen nun den Lauterbach: „Wissen Sie eigentlich wie man die Fans von Herrn Lanz nennt?“

„Nee.“

„Lanzetten.“

Lanz, für einen seltenen Moment sprachlos, nimm nun den Faden wieder auf: „Jetzt haben wir alle zu später Stunde ein wenig Spaß gehabt, aber nichts destotrotz ist meine Frage nach wie vor Ernst gemeint: Wenn Sie zu Ihren Jüngern sagen, dass erfüllt würde, was der Prophet, also Sacharja, gesagt habe, dann  müsste doch in aller Welt Friede sein, von dem wir im Advent und zu Weihnachten so viel und inbrünstig singen?“

Lanz rückt nun auf die Kante seines Sessels – ein untrügliches Indiz dafür, dass jetzt eine seiner Klassikerfragen kommt: „Verraten sie mir: Was ist da schiefgegangen?“

Jesus nimmt einen Schluck von dem Wasser und antwortet ganz ruhig mit ernstem Nachdruck: „Weil mir mein Volk nicht gehorcht.“

Mit einem Male ist es im Studio so still, dass die Zuschauer an den Bildschirmen denken, es gäbe einen Tonausfall.

„Ja, Sie haben richtig gehört und auch verstanden, mein Volk gehorcht mir nicht.“

Markus Lanz atmet tief durch, mit so einer Antwort hat er nicht gerechnet, und so fragt er nun Jesus: „Also, puh, das ist ja eine niederschmetternde Antwort. Denken Sie da nicht manchmal, ob es sich gelohnt hat, sich dafür kreuzigen zu lassen?“

„Nein, so dürfen sie nicht denken, weil, sehen Sie es mal so, nur durch meinen Tod wurde es möglich, dass so viele Menschen bis zum heutigen Tage von der Hoffnung und dem Glauben getragen sind, dass Frieden möglich ist.“

Lanz: „Ist das aber nicht weit von dem entfernt, was Sacharja prophezeit hat?“

Nein, und ohne spitzfindig sein zu wollen, aber Sacharja hat ja nicht gesagt, wie lange dieser König brauchen würde, bis es so weit sein würde.“

„Ja, aber, sind nicht 2000 Jahre eine überaus lange Zeit für ein so relativ mageres Ergebnis?“

„Na ja, lieber Herr Lanz, mager würde ich jetzt nicht sagen. Aber, und das ist ja das Grundprinzip meines Wirkens – um nicht herrschen sagen zu wollen – von Anbeginn an gewesen, den Menschen die richtigen Fragen mit auf den Weg zu geben und ihnen vor Augen zu führen, was die Konsequenzen ihres Handelns sind, wenn sie nicht aufbrechen können und sich nicht aus alten Beziehungen und Denkmustern lösen können.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Ach, Herr Lanz, ich dachte immer, Sie seien praktizierender Katholik und kämen von alleine auf die Antwort.“

„Ja, aber dennoch stehe ich gerade auf dem Schlauch.“

„Gut, lassen Sie es mich so sagen. Wir leben gerade in Zeiten einer furchtbaren Pandemie, mit unzähligen Kranken und Toten, viel Leid und großen Herausforderungen an den einzelnen Menschen und die ganze Gesellschaft und das weltweit. Bei der Gelegenheit möchte ich mal festhalten, dass es sich – auch wenn es sich zuweilen so anfühlen mag – um keine von meinem Vater gesandte Plage handelt. Und dennoch gibt es angesichts von so viel Leid noch immer Menschen, die zum Beispiel keine Masken tragen wollen, weil sie es für sich als unangenehm empfinden oder als freiheitsberaubende Maßnahme. Und was passiert aus diesem Egoismus heraus? Was ist mit denen, die leugnen, dass es dieses Virus gibt? So verrückt es ist, aber, dass Menschen von Freiheit reden, hat etwas damit zu tun, dass ich Freiheit gepredigt habe. Aber, ganz großes Aber: Ich habe Freiheit gepredigt als Ausdruck der Verantwortung gegenüber meinem Vater, also Gott. Ich muss diese Freiheit auch Gott gegenüber verantworten.“

„Und was heißt das?“ fragt Lanz erwartungsvoll dazwischen.

Jesus lächelt wissend: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“

„Ist das jetzt nicht ein bisschen zu einfach?“ versucht sich Karl Lauterbach nun ins Spiel zu bringen.

„Tja, das ist das Schwierigste. Das müssten Sie doch als Politiker noch besser wissen als ich. Würde alle Welt diese einfache Regel beherzigen, gäbe es kein sogenanntes Flüchtlingsproblem und die AfD wäre nicht die AfD geworden.

Würde diese Regel von allen beherzigt, gäbe es keine Billiglohnländer und das Thema Globalität würde eine ganz andere Rolle spielen.

Würde diese einfache Regel beherzigt, müssten wir uns keinen Kopf um den Klimawandel machen. Wenn Sie, lieber Herr Lauterbach sich mal alle Missstände genauer anschauen, kommen Sie sicherlich zur gleichen Schlussfolgerung wie ich: Es wurde nicht die goldene Regel beherzigt, die da heißt…“

„…liebe deinen Nächsten wie dich selbst?“ vervollständigt Karl Lauterbach den Satz.

„Genau! – Wissen Sie, in dem Reich, das ich zusammen mit meinem Vater und dem Heiligen Geist regiere, gibt es nicht so umfängliche und komplizierte Gesetzeswerke wie bei Ihnen in ihrem Land. Paulus hat es einst in seinem Brief an die Römer auf den Punkt gebracht: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“ (Römer 13,9) Wir sind gewissermaßen die Erfinder von keep it simple and stupid, und dennoch funktioniert es nicht.“

„Weil es so einfach ist?“

„Ja, Herr Lanz, weil es so einfach ist, nur an sich selbst zu denken.“

„Und was hat das jetzt mit Corona zu tun?“ will Lauterbach wissen.

„Sie erinnern sich, an das Beispiel mit der Maske, das ich vorhin benutzt habe? Im Prinzip war das schon fast ein Gleichnis. Es ist eigentlich ganz einfach, sie zu tragen und damit sich uns andere zu schützen.“

„Sie meinen also“, bringt sich wieder Röttgen ein: „das Tragen der Maske ist Ausdruck der Nächstenliebe?“

„Genau, Herr Röttgen, Sie haben verstanden, worauf ich hinauswill. Es ist nämlich ganz einfach und lässt sich auch auf alles andere übertragen. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, definiert Freiheit und Frieden. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, bedeutet, sich einander wertschätzend auf Augenhöhe zu begegnen. Als Politiker wissen Sie beide, wie selten das in Ihrem Geschäft gelingt, und das nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch in den Parteien.

Also, wenn ich sage, dass liebe deinen Nächsten wie dich selbst, die Formel der Freiheit und des Friedens ist, wissen Sie, warum wir bis zum heutigen Tag keinen weltumfassenden Frieden haben.“

„Augenblick“, versucht Lanz nun zusammenzufassen: „Sie meinen, es gibt nur deshalb auch heute noch keinen Frieden in dieser Welt, weil es nicht gelingt, Nächstenliebe zu üben?“

„Ja, gibt es keine Nächstenliebe, brauche ich Waffen oder andere Mittel, um mich vor dem zu schützen oder zu verteidigen, der mich mit und in seinem Egoismus ausbooten oder plattmachen will. Das gilt in allen Bereichen, nicht nur in der Politik, auch in der Wirtschaft, ja selbst in den Kirchen zuweilen, die sich auf mich berufen, aber auch in Kommunen, Arbeitsteams, weil jemand so auf Karriere gepolt ist, dass er über die berühmten Leichen geht. Ich hab’s Ihnen doch gesagt: Mein Volk gehorcht mir nicht.“

„Aber zu Weihnachten strömen doch noch alle Menschen in die Kirchen?“

„Ja, Herr Lanz.“

„Ist das dann nicht alles Folklore?“

„Nein, auch wenn der Eindruck angesichts der sonst üblichen Weihnachtsmärkte entstehen könnte.“

„Ja, aber das haben wir ja in diesem Jahr alles Corona-bedingt nicht“, wendet Lauterbach ein.

„Das stimmt. Genauso wenig werden wir die vollen Kirchen haben, so wie in diesem Jahr alles anders sein wird. Und das ist auch gut so.“

„Also, ich muss doch bitten“, protestiert Norbert Röttgen.

„Ich werde Ihnen und den rund anderthalb Millionen Zuschauern Ihrer Sendung, das mal so erklären: Ich weiß ja nicht, ob Ihnen, lieber Herr Röttgen, bewusst ist, in welcher Zeit wir gerade leben…“

„Sie stellen ja Fragen“, fällt ihm Röttgen mit einem Lachen, in dem eine Spur von Überheblichkeit mitklingt, ins Wort: „Natürlich im Advent.“

„Ja, Herr Röttgen, das weiß ich auch. Aber wissen Sie, was Advent neben Adventskranz und Lebkuchen eigentlich bedeutet? Passions- und Bußzeit, also eine Zeit der Umkehr. Daher sind die roten Bänder und roten Kerzen am Adventskranz eigentlich falsch, weil die Adventsfarbe violett ist, wie in der Passionszeit vor Ostern.

So, und weil in diesem Advent der Advent wirklich Advent ist, weil er schmerzhaft bewusst macht, dass nichts selbstverständlich in dieser Welt ist, könnte es ja passieren, dass sich die Menschen wieder besinnen, weil sie nun nicht mit allen ihren Nächsten zusammen sein können, dass sie ihren Nächsten neu entdecken und damit ihre Liebe zu ihm.“

Markus Lanz hält die Pause nach diesem Satz aus und fragt dann: „Das wäre ja dann ein anderer Advent?“

„Nein, das ist Advent.“

Lanz schmunzelt: „In der Kirche würde man jetzt wohl Amen sagen.“

„Ja, so soll es sein!“ lässt Jesus sich nicht das letzte Wort nehmen.

Pfr. Martin Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am 1. Advent 2020 – 29. November – über Sacharja 9, 9-10, Perikopenreihe III, in der der Erlöserkirche Grainau und der Johanneskirche Partenkirchen

Der Friedenskönig 

Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

Sacharja 9, 9-10