Pfr. Martin Dubberke
Erntedank 2020 in der Johanneskirche | Bild: Martin Dubberke

Werte bestimmen Werte

Liebe Geschwister,

der Wochenspruch öffnet uns schon gleich zu Beginn ein wenig die Augen:

Aller Augen warten auf dich,
und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.

Psalm 145, 15

Wir feiern heute gemeinsam mit der Tafel Garmisch-Partenkirchen Erntedank. „Aller Augen warten auf dich…“ Das kennen wir auch von uns selbst und auch von unseren Kindern oder Enkelkindern, wenn sie zu uns in die Küche kommen und einen mit großen Augen anschauen und fragen, wann es denn endlich etwas zu essen gibt.

Und wer hier am Freitag bei der Tafel mitmacht, weiß, wie viele Menschen schon vor Öffnung der Tafel vor der Ausgabe warten, dass wir öffnen.

Aller Augen warten auf dich,
dass du die Speise gibst zur rechten Zeit.

Wenn wir heute Erntedank feiern, dann danken wir zum einen Gott dafür, dass wir genug haben, um zu teilen und gedenken auch daran, dass das nicht selbstverständlich ist, sondern in vielen Regionen dieser Welt das einst von Gott geschaffene Gleichgewicht, in dem für alle Geschöpfe in Fülle da ist, durch uns Menschen gestört ist, weil es Krieg und Unfrieden, Egoismus und Gewinnstreben und viele andere Verwerfungen gibt. So gesehen, ist Erntedank auch die Einladung zur Buße und damit Umkehr, damit es wieder die Fülle für alle und nicht einige wenige gibt.

Erntedank ist also auch zugleich Ausdruck der Sehnsucht und der Bitte um Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt, um Einsicht, dass wir alle aufeinander angewiesen sind, um in Gottes Schöpfung miteinander auskömmlich und in Frieden leben zu können.

Und so ist das Lied, das wir gleich singen werden und dann noch einmal als Kantate von Felix Mendelssohn-Bartholdy unter der Leitung von Wilko Ossoba-Lochner mit Mitgliedern des Dekanatschores CANTORIX und dem Instrumentalensemble hören werden eine wichtige Botschaft an uns:

Wer nur den lieben Gott lässt walten
Und hoffet auf ihn alle Zeit,
den wird er wunderbar erhalten
in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten traut,
der hat auf keinen Sand gebaut.

„Wer nur den lieben Gott lässt walten“, ist nicht nur Ausdruck einer großen Gottergebenheit und eines unermesslichen Gottvertrauens, sondern auch das Versprechen, nach seinem Willen und seinen Geboten zu leben, weil wir wissen, dass dann nichts auf Sand gebaut sein wird.

Mit dieser Haltung und Lebensweise geschieht dann, was Georg Neumark in der vierten Strophe seines Liedes gedichtet hat:

… so kommt Gott,
eh wir’s uns versehn,
und lässet uns viel Guts geschehn.

Soviel gewissermaßen als Introitus. Und damit komme ich zum Predigttext aus dem Evangelium des Markus, Kapitel 8, die Verse 1 bis 9:

DIE SPEISUNG DER VIERTAUSEND

Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Wege verschmachten; denn einige sind von ferne gekommen. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen? Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben. Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten, und sie teilten sie unter das Volk aus. Sie hatten auch einige Fische; und er sprach den Segen darüber und ließ auch diese austeilen. Und sie aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll. Es waren aber etwa viertausend; und er ließ sie gehen.

Liebe Geschwister,

Jesus sprach zu seinen Jüngern: „Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. Und wenn ich sie hungrig nach Hause gehen ließe, würden sie auf dem Weg verschmachten.“ Die Tafel wurde einst gegründet, weil es Menschen jammerte, dass woanders Lebensmittel im Überfluss sind und weggeworfen werden, während andere nichts zu essen haben.

Liebe Geschwister, die Generation unter uns, die noch den letzten Krieg in unserem Land erlebt und erlitten hat, weiß, wie schmerzhaft Hunger sein kann. Meine Eltern haben immer wieder davon erzählt und ich habe so von ihnen gelernt, Lebensmittel zu achten und nicht als selbstverständlich zu sehen.

Das, was meine Eltern vor 81 Jahren begonnen hat zu prägen, erleben heute jeden Tag Millionen von Menschen in aller Welt, weil Kriege und der Krieg gegen das Klima Ernten zerstören, Hunger auslösen und Menschen auch ohne Bomben und Raketen töten kann.

Wir erleben es auch in unserem eigenen Land und auch hier in unserem so schönen und idyllisch wirkenden Garmisch-Partenkirchen, dass ein auskömmliches Leben für eine Menge Menschen nur schwerlich zu gestalten ist. Und das liegt nicht allein daran, dass man z.B. eine kleine Rente hat, alleinerziehend ist oder arbeitslos oder versucht hat, sich vor Hunger und Tod in einem fernen Land zu retten. Das hängt auch zusammen mit den Lebenshaltungskosten. Unsere Mieten in Garmisch-Partenkirchen sind z.B. so hoch, dass bei vielen Menschen schon allein die Miete das Meiste wegfrisst, so dass nicht genug zum Leben bleibt. Ein Problem, das sich in den kommenden Jahren verschärfen wird, weil z.B. die Renten geringer ausfallen werden. Es geht also am Ende des Tages nicht allein darum, Lebensmittel zu teilen, sondern auch das eigene Gewinnstreben bei den Mieten mal zu überdenken.

Der Satz, dass Angebot und Nachfrage den Preis regeln, ist keines der Gebote Gottes. Ganz im Gegenteil!

Und damit stellt sich die Frage nach dem Wert einer Sache. Wie definiert sich der Wert einer Sache? – Werte bestimmen Werte.

Kürzlich ging ich mit meiner Familie auf dem Milchweg spazieren, auf dem sehr gut der Wert der Milch deutlich wurde und wie sie durch das Gewinnstreben der Handelsunternehmen und Discounter entwertet wird.

Ich denke z.B. an die letzten Skandale in der Fleischindustrie, wie bei Tönnies, wo nicht nur die Menschen ausgebeutet werden, sondern auch unsere Mitgeschöpfe dort entwertet werden, um zu einem Preis verkauft zu werden, der weit unter dem Wert, unter dem eigentlichen Wert liegt.

So könnte ich die Liste noch mit vielen Bespielen füllen. Sie würden alle deutlich machen, dass wir in einer Zeit leben, in der viele Werte fallen. Und damit meine ich nicht die Werte an der Börse, sondern die Verluste der christlichen Werte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Tafel, das sind viele. Hier wird nämlich nicht viel geredet, sondern viel gehandelt. Heute sind vom Team dabei Irina, Klaus, Arthur, Wolfgang, Andrea, Sven, Jack und Jochem. Bitte steht doch mal alle auf, damit Euch alle mal sehen können. – Und ich denke, dass Ihr alle einen riesigen Applaus verdient habt, für das was Ihr Tag für Tag, Woche für Woche leistet. Danke. Ein ganz großes Dankeschön an Euch.

Mit der Tafelarbeit legen wir einen Finger in die Wunde unserer Gesellschaft. Ihr wisst, dass ich kein Sakro-Romantiker bin, sondern jemand, der die Auffassung Dietrich Bonhoeffers teilt, der einmal gesagt hat:

„Ein schwerer, verhängnisvoller Irrtum ist es, wenn man Religion mit Gefühlsduselei verwechselt. Religion ist Arbeit. Und vielleicht die schwerste und gewiss die heiligste Arbeit, die ein Mensch tun kann.“  (Bonhoeffer, 2005, S. 484)

Daher bin ich der festen Überzeugung, dass wir im Erkennen des eigentlichen Wertes auch die damit verbundenen Werte erkennen.  Und genau das löst bei mir hier und heute große Sorge für die Zukunft aus. Ja, natürlich können wir wie viele andere unseren Kopf in den Sand stecken, aus Sorge und Angst diese große Aufgabe nicht bewältigen zu können. Hier spielt aber das Gottvertrauen aus dem Lied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ eine wesentliche Rolle. Auch die Reaktion Jesu, das vermeintlich Wenige zu teilen, macht deutlich, dass am Ende mehr als genug für alle da sein kann.

Ich danke Euch. Gelebter Erntedank ist nicht nur Ausdruck dafür, dass nichts, was wächst trotz aller landwirtschaftlicher Kunst selbstverständlich ist, sondern auch vom Wirken Gottes abhängt, der Zuversicht und dem Vertrauen auf das Walten Gottes. Genau so, wie die Menschen, die zu Jesus kamen und drei Tage in der Hoffnung ausharrten, von Jesus etwas zu bekommen. Gelebter Erntedank ist damit auch Ausdruck unseres Glaubens. Erntedank ist Wertedank und Wertearbeit. Erntedank ist auch Friedensarbeit und gemeinsames Wirken an der Gerechtigkeit auf Gottes Schöpfung, weil Gott seine Schöpfung einst sehr gut geschaffen hat, so dass jeder Mensch an dem Ort, wo er geboren wird, aufwächst und lebt, in Frieden und Auskömmlichkeit leben kann, weil es dort für ihn am schönsten ist und er nicht fliehen müsste, um in Frieden und Auskömmlichkeit leben zu können.

Und wer hier nur an ferne Länder denkt, der denkt zu kurz, denn was wird aus unserem schönen Garmisch-Partenkirchen, wenn man es sich nicht mehr leisten kann, hier zu bleiben und zu leben?

Der Wahlspruch der Tafel, der hier auf der Schürze steht, die ich trage, lautet:

„Miteinander. Für Menschen.“

Auch das erzählt uns der Predigttext. Es gibt jemanden, der die Ruhe behält und die Idee für eine Lösung hat, in diesem Fall ist das Jesus, und der motiviert viele andere, ihn darin zu unterstützen.

Miteinander. – Das ist der erste Schritt. Wir müssen nicht allein Not wenden, sondern können es zusammen angehen. Und die Geschichte von der Speisung der viertausend ist nicht nur ein Wunder, sondern macht deutlich, was alles möglich ist, wenn wir Jesus vertrauen und gemeinsam Hand anpacken.

Für Menschen. – Jesus ist bei den Menschen und sorgt sich um ihr Wohl. Lasst uns ihm also darin nachfolgen.

Und dann gibt es noch etwas Wichtiges: Jesus dankte für die sieben Brote und er sprach den Segen über die Fische, bevor er die Speisen austeilen ließ. Daraus lernen wir, dass auf einer Sache Dank und Segen liegen muss. Das ist Ausdruck der Wertschätzung gegenüber den Lebensmitteln, die Mittel, durch die wir leben können. Die Bedeutung des Segens ist existentiell. Das Leiden und Hungern in dieser Welt, macht deutlich, auf wie viel Handeln kein Segen liegt.

„Miteinander. Für Menschen.“ Das ist gelebte Nächstenliebe, wie sie uns Jesus vorgelebt hat.  Darauf liegt Segen und darum ist uns so vieles möglich. Dafür dürfen wir dankbar sein.

Amen.


Pfr. Martin Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke

Pfr. Martin Dubberke, Predigt zum Erntedank 2020 über Markus 8, 1-9, Perikopenreihe II, am 4. Oktober 2020 in der Johanneskirche Partenkirchen zusammen mit Mitgliedern der Garmisch-Partenkirchener Tafel und Chor, Instrumentalensemble und Solisten unter der Leitung von KMD Wilko Ossoba-Lochner