Pfr. Martin Dubberke
Die Sache mit der Obrigkeit | Bild: Martin Dubberke ©

Die Sache mit der Obrigkeit

Liebe Geschwister, wie ist es denn eigentlich um die Obrigkeit in unserem Land bestellt? Bin ich dieser Obrigkeit Untertan? Leben wir noch wie zu Luthers Zeiten in einer Zeit der Monarchie, der Fürsten- und Herzogtümer? Leben wir noch in einer Zeit des absoluten Oben und der absoluten Untertänigkeit? – Nein!

Es gibt in unserem Land keine Herrscher mehr, die sich auf das Gottesgnadentum berufen können. Es gibt in unserem Land auch keine Regierenden, die für sich die Vorsehung in Anspruch nehmen. Wir leben in einem Land, nach dessen Grundgesetz alle Gewalt vom Volk ausgeht. Ich zitiere die entsprechenden vier Absätze aus unserem Grundgesetz:

Artikel 20 Grundgesetz

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Paulus schreibt:

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.
Römer 13,1

Wenn aber nach unserer Verfassung das Volk die Gewalt über die Regierenden hat, ist das eine absolute Umkehrung der Verhältnisse im Hinblick auf die Zeiten eines Paulus oder Luther. Bedeutet das nicht am Ende, dass heute in unserem Land eine Regierung der Obrigkeit, nämlich dem Volk untertan ist? Und leistet nicht jedes Mitglied einer Regierung einen Amtseid, in dem es verspricht, Schaden vom Volk abzuwenden? Was ist, wenn eine Regierung gegenüber seiner Obrigkeit meineidig wird?

Wenn wir aber Obrigkeit sind: Was bedeutet das für unser Handeln? Auch da gibt uns Paulus einen deutlichen Hinweis:

Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott. Wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen.

Im Mittelpunkt steht also Gottes Anordnung. Gott selbst ist die absolute Obrigkeit. Gott ist das Maß allen Handelns.

Wir sind ja in unserem Land in unserem Verhalten gegenüber unseren Regierungen stark durch Martin Luther geprägt. Vor ziemlich genau 500 Jahren schrieb Luther 1523 sein Werk „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“. Darin erklärt er, dass die weltliche Obrigkeit eine von Gott eingesetzte Institution ist, um Ordnung und Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu gewährleisten.

Dabei unterscheidet er zwischen zwei Reichen: dem Reich Gottes und dem Reich der Welt. Das Reich Gottes betrifft das geistliche Leben und den Glauben, während das Reich der Welt die weltlichen Angelegenheiten und die Regierung umfasst. Folgen wir seiner Argumentation, schulden wir als Christinnen und Christen beiden Reichen Gehorsam – allerdings in unterschiedlicher Weise 😉. Im geistlichen Bereich sollen wir Gott und seinem Wort folgen, während wir im weltlichen Bereich den Gesetzen und Anordnungen der Obrigkeit gehorchen sollen, solange diese nicht gegen Gottes Gebote verstößt. Dabei beruft sich Luther auf unseren Predigttext, also Römer 13.

Martin Luther macht damit deutlich, dass die beiden Reiche oder Welten zwar irgendwie voneinander getrennt sind, aber doch irgendwie wieder zusammengehören und die Schnittmenge der Mensch ist, der Gott folgt. Es geht also im weltlichen nicht um das bloße „Ja & Amen“ gegenüber der Obrigkeit, also der Regierung, sondern auch um die kritische Begleitung dieser, denn auch sie muss sich an die absolute Obrigkeit, nämlich Gott halten. Sie ist so lange legitimiert, so lange sie nicht gegen Gottes Gebote verstößt. Das ist – nebenbei gesagt – auch ein sehr wichtiger Hinweis vor Wahlen. Und wir wissen ja im Moment nicht so ganz genau, wann wir das nächste Mal wieder wählen werden, ob im September 2025 oder gegebenenfalls schon früher. Dieser Hinweis auf die Gebote Gottes betrifft auch den kritischen Blick in die Wahlprogramme, auf das Reden und Handeln aller Parteien, auch und insbesondere der populistischen. Und nicht jeder, der vom Frieden redet und diesen fordert, meint damit den Frieden, den Gott gerne hätte und der ein Wohlgefallen Gottes wäre und nicht der eines einzelnen Herrschers, wenn Ihr versteht, wen ich gerade meine…

Und damit versuche ich jetzt einmal die Perspektive Dietrich Bonhoffers einzunehmen. Er war von Hause aus Lutheraner und hat grundsätzlich die die biblische Lehre von der Unterordnung unter die Obrigkeit anerkannt. Aber er sah auch die Notwendigkeit, gegen ungerechte und/oder tyrannische Regierungen Widerstand zu leisten.

Bonhoeffers theologisches Denken war von der Theologie Luthers geprägt, aber im Gegensatz zu Luther erkannte er, dass es Situationen gibt, in denen der Gehorsam gegenüber der Obrigkeit in Konflikt mit dem Gehorsam gegenüber Gott geraten kann. In solchen Fällen sah er es als Pflicht der Christinnen und Christen an, sich gegen die Obrigkeit zu stellen. Ihr werdet Euch vielleicht an seinen Satz erinnern, wo er sagt, dass man zuweilen dem Rad auch in die Speichen fallen soll. Ich zitiere:

„Nicht nur die Opfer der Ungerechtigkeit sollen wir bandagieren, sondern wir sollen dem Rad in die Speichen fallen.“

Das ist eine wichtige Aufforderung, weil es hier nämlich um das Prospektive geht. Wenn wir mit einem Auto oder so wie ich mit einem Fahrrad unterwegs sind, gehört es immer auch dazu, prospektiv zu fahren, also quasi schon zu sehen, wie derjenige, der vor einem fährt sich wohl als nächstes verhalten wird, um darauf angemessen zu reagieren und sich selbst und andere nicht in Gefahr zu bringen.

Nicht anders ist es mit unserem Leben in dieser Gesellschaft, in dieser Welt. Wenn ich sehe, dass von einem Politiker Gefahr ausgeht, weil er nicht regierungsfähig ist, wähle ich ihn nicht. Wenn ich sehe, dass von einer Partei eine Gefahr ausgeht, dann wähle ich sie nicht. Das bedeutet, dem Rad in die Speichen zu fallen, eine Gefahr aufzuhalten, einen politischen Unfall zu verhindern.

Und ich kann diese Gefahr ganz einfach erkennen, weil der Maßstab die Gebote Gottes sind. Wenn ich die Gebote Gottes draufhabe und ihnen entsprechend handle, dann geht es einem Land auch besser.

Wenn ich jetzt sage, dass jedes Land die Regierung hat, die es verdient, dann ist die jeweilige Regierung der Gradmesser dafür, wie sehr ein Land die Gebote Gottes ernst nimmt und sie in beiden Reichen, dem geistlichen und dem weltlichen lebt, inwieweit ein Land seine christliche Verantwortung wahrnimmt. Zu welchem Schluss kommen wir, wenn wir die Situation in unserem Land ansehen?

Der Blick in Eure Gesichter ist mir Antwort genug.

So, und wie sehe ich das nun? Ich habe mir gestern Abend mal den Spaß gemacht und Nikodemus.ai – das ist eine theologische KI – folgende Frage gestellt:

Was sagt der Theologe Martin Dubberke zur Frage der Obrigkeit? – Nikodemus hat wie folgt geantwortet, nachdem er eine ganze Weile für die Antwort gebraucht hat:

Martin Dubberke ist ein zeitgenössischer Theologe, der sich intensiv mit Fragen der Ethik, der Kirche und der Gesellschaft auseinandersetzt. Er betont die Verantwortung der Kirche und der Christen, sich aktiv in gesellschaftliche und politische Prozesse einzubringen, insbesondere wenn es um Fragen der Gerechtigkeit und der Menschenwürde geht.

Dubberke sieht die Kirche als eine moralische Instanz, die nicht nur predigen, sondern auch handeln muss. Er argumentiert, dass Christen nicht nur passive Untertanen sein sollen, sondern aktive Gestalter der Gesellschaft, die sich für das Wohl aller Menschen einsetzen. Dabei stützt er sich auf biblische Prinzipien wie die Nächstenliebe und die Gerechtigkeit.

In Bezug auf die Obrigkeit betont Dubberke, dass Christen zwar grundsätzlich die staatlichen Autoritäten respektieren sollen, wie es in Römer 13,1-2 und 1. Petrus 2,13-17 gelehrt wird, aber auch die Pflicht haben, gegen Ungerechtigkeit und Unrecht aufzustehen. Er verweist auf die prophetische Tradition der Bibel, in der Propheten wie Amos und Jesaja die Mächtigen zur Rechenschaft gezogen haben.

Dubberke sieht die Barmer Theologische Erklärung als ein wichtiges historisches Dokument, das auch heute noch relevant ist. Sie erinnert die Kirche daran, dass sie ihre Unabhängigkeit bewahren und sich nicht von politischen Mächten vereinnahmen lassen darf. Stattdessen soll sie mutig für die Wahrheit und die Gerechtigkeit eintreten.

Ganz ehrlich? Ich war überrascht, wie punktgenau Nikodemus mein Denken, meine Theologie zusammengefasst hat. Und damit bin ich wieder am Anfang angekommen. Wenn wir als Volk die Obrigkeit sind, dann tragen wir auch gemeinsam die Verantwortung für die Verhältnisse in unserem Land. Wenn wir durch Wahlen eine Regierung beauftragen, dann gelten für unsere Entscheidung die Gebote Gottes, weil Gott die absolute Obrigkeit ist. Und so müssen im Regierungshandeln diese Gebote auch erkennbar werden und diese beginnen innerhalb einer Regierung genauso so, wie sie im Leben des Volkes beginnen, nämlich mit der Nächstenliebe.

Und wenn das unter uns nicht gelingt, wenn wir als Volk nicht nach den Geboten Gottes leben, wie kann dann eine Regierung diese leben, ist sie doch aus dem Volk herausgewählt und für je eine Legislatur, wenn die Kraft reicht, im Amt? Wenn wir als Obrigkeit unserer Regierung nicht die Gebote Gottes vorleben, muss sie scheitern, weil sie dann nach dem schaut, was am Ende ihre Macht erhält aber nicht dem Willen Gottes in dieser Welt dient. Wir als Obrigkeit unserer Regierung müssen ihr also mit gutem Beispiel vorangehen, damit sie sich im besten Sinne an ihrer Obrigkeit orientieren kann.

Paulus meint im Grunde genommen nichts anderes, wenn er schreibt:

Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten.
Römer 13,3

Und damit stellt sich an jeden und jede von uns die Frage: Wie kannst Du das Gute tun, das durch gutes Regieren gelobt wird? Wie kannst du in deinem Alltag, in deinem Umfeld aktiv für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Nächstenliebe eintreten, um so die befreiende und friedenstiftende Obrigkeit Gottes in dieser Welt erkennbar und erlebbar werden zu lassen? Es liegt an jedem einzelnen von uns: an mir, an Dir, an Euch.

Amen.

Pfarrer Martin Dubberke

Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke

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