Pfr. Martin Dubberke

Die Krise des Glaubens

„Die große Dürre“ – so wird in der Luther-Bibel der heutige Predigttext aus dem Buch des Propheten Jeremia überschrieben. „Die große Dürre“ – Da drängt sich einem ja sofort das Thema Klima und Klimakatastrophe auf. Da fällt mir sofort das brennende Australien ein. Dabei dürfen wir aber nicht Somalia und die vielen anderen Regionen in Gottes weiter Welt vergessen und sollten Sie mal in den Norden von Brandenburg oder nach Mecklenburg-Vorpommern kommen, wird Ihr Herz beim Anblick der ausgetrockneten Nadelwälder weinen. Nach Angaben der UN haben allein im Jahr 2018 wetterbedingte Katastrophen wie Stürme, Wirbelstürme, Überschwemmungen, Dürren, Waldbrände und Erdrutsche rund 16,1 Millionen Menschen vertrieben. So vorbereitet, lese ich Euch, liebe Geschwister, jetzt den Predigttext vor:

Die große Dürre

1 Dies ist das Wort, das der Herr zu Jeremia sagte über die große Dürre: 2 Juda liegt jämmerlich da, seine Städte verschmachten. Sie sinken trauernd zu Boden, und Jerusalems Wehklage steigt empor. 3 Die Großen schicken ihre Diener nach Wasser; aber wenn sie zum Brunnen kommen, finden sie kein Wasser und bringen ihre Gefäße leer zurück. Sie sind traurig und betrübt und verhüllen ihre Häupter. 4 Die Erde ist rissig, weil es nicht regnet auf das Land. Darum sind die Ackerleute traurig und verhüllen ihre Häupter. 5 Selbst die Hirschkühe, die auf dem Felde werfen, verlassen die Jungen, weil kein Gras wächst. 6 Die Wildesel stehen auf den kahlen Höhen und schnappen nach Luft wie die Schakale; ihre Augen erlöschen, weil nichts Grünes wächst.

7 Ach, Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben. 8 Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer. Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? 9 Warum bist du wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann? Du bist ja doch unter uns, Herr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!

Jeremia 14, 1-9

Mal ganz abgesehen davon, dass hier bei Jeremia nicht nur die Folgen für den Menschen, sondern auch für die Tiere beschrieben werden, entstehen hier vor dem inneren Auge Bilder, die wir seit 60 Jahren von der Katastrophenhilfe der Diakonie kennen. Die Bilder der von Trockenheit aufgerissenen Ackererde, dem verdorrten Getreide, den großen Augen hungernder Kindern. Die Dürre ist zugleich auch Ausdruck unserer globalen Zerrissenheit. Aber ich verrate Euch etwas: Heute geht es nicht um die Klimakatastrophe, sondern um etwas ganz anderes, eine ganz andere Katastrophe oder zumindest Krise:

7 Ach, Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben.

Die Dürre ist bei Jeremia die Folge der Sünde: „Denn der Ungehorsam ist groß.“ Das klingt nach einem Sündenbekenntnis oder zumindest ansatzweise nach einer Einsicht. Ich sage ganz bewusst „ansatzweise“, denn kaum, dass man zugegeben hat, wider Gott gesündigt zu haben, kommt ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss:

8 Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer. Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? 9 Warum bist du wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann? Du bist ja doch unter uns, Herr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!

Es wird die Abwesenheit Gottes beklagt. Das entbehrt doch nicht einer gewissen Ironie. Da sagen die Leute, dass die Dürre eine Folge ihrer Sünde sei, nämlich der, Gott nicht ernstgenommen zu haben, ihm nicht gehorcht zu haben und werfen ihm dann im gleichen Atemzug noch vor, sich wie ein Fremder auf der Durchreise zu benehmen. Mal ehrlich: Warum sollte sich Gott dann noch daran abrackern? Würden die Leute, die sich da beklagen, es nicht genauso machen, wenn niemand an ihnen Interesse hat, sie nicht beachtet? Also, unsereins würde doch wohl im Stillen bei sich denken: Du kannst mir mal im Mondschein begegnen!

Ist doch spannend, oder? Erst interessieren sie sich nicht für Gott, fahren selbst den Karren in den Dreck und dann, in der Not, rufen sie wieder nach ihm. Und dann wollen Sie Hilfe! Hier, jetzt und sofort auf der Stelle. Ja, dann wird noch rasch was von Sünde gesagt und, dass man sich nicht ok verhalten hat und dann soll Gott es richten. Ich glaube, dass das falsch verstandener Glaube ist. Wir erinnern uns noch einmal an den vergangenen Sonntag, an Johannes den Täufer, der die Umkehr gepredigt hat. Hier, hinter mir, in unseren Kirchenfenstern können wir Johannes den Täufer bei der Arbeit sehen. Umkehr heißt, das Alte wirklich hinter sich zu lassen und sein Leben vollkommen neu auszurichten. Diese Katastrophen kommen nicht von Gott und warum sollte Gott sie dann wieder richten? „Papa, ich habe mein Spielzeug kaputt gemacht, mach es wieder heil“, klingt da ein wenig durch. Und wir kennen die Antwort: „Kind, wie oft habe ich Dir gesagt, dass man es nicht ständig auf den Boden werfen soll?“

Etwas anderes wäre es – um bei diesem Bild zu bleiben – , wenn das Kind sagen würde: „Papa, Du hast Recht gehabt. Ich hätte es nicht auf den Boden werfen sollen. Kannst Du es mir bitte trotzdem wieder heile machen?“

Die Dürre steht für den Ungehorsam, das nicht hören wollen. Da schlägt immer wieder die Ursünde von Adam und Eva durch, es besser wissen zu wollen als Gott. Dabei müsste man eigentlich auch aus der gleichen Geschichte heraus wissen, dass das Konsequenzen hat.

„Der Gehorsam gegen Gott allein, ist die Begründung unserer Freiheit“ (Bonhoeffer, Konspiration und Haft 1940-1945, Dietrich Bonhoeffer Werke Band 16, 1996, S. 490), hat Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt. Und bei Jeremia wird deutlich, dass die Freiheit von Gott in Gestalt des Ungehorsams in die Katastrophe führt. Und damit wird deutlich, dass es um den Glaubensgehorsam geht. Bonhoeffer schreibt an anderer Stelle: „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.“ (Bonhoeffer, Bonhoeffer Brevier, 1998, S. 52)

Und damit bin ich beim zentralen Thema dieses Sonntags angekommen: Der Krise des Glaubens. Sie zieht sich durch alle Texte dieses Sonntags hindurch.

In der alttestamentlichen Lesung aus dem 2. Buch Mose, Kapitel 33, die Verse 18 bis 23 hören wir die Geschichte von Mose, der von Gott ein Zeichen fordert. Er will unbedingt Gottes Herrlichkeit sehen. Gott aber sagt, dass er sein Angesicht nicht sehen kann, weil kein Mensch leben wird, der ihn gesehen hat. Also, gewährt er ihm die Möglichkeit, ihn von hinten zu sehen. Mose brauchte allem Anschein ein solches Zeichen, um weiterhin gehorsam bleiben zu können, um glauben zu können. Es war gewissermaßen Belohnung und Motivation für seine Treue, seinen Glauben.

Im Predigttext aus Jeremia sieht es so aus, dass die Leute, Gott erst gar nicht sehen wollen und dann jammern, als das Kind in den Brunnen gefallen ist und Gott die Karre nicht aus dem Dreck fährt. Hier sieht das Zeichen für die Existenz Gottes eher bedrohlich und tödlich aus. Die Dürre, die das Leben bedroht, als Ausdruck eines dürren Glaubens.

Und dann das Evangelium, die Geschichte der Hochzeit zu Kana. Diese Geschichte hebt sich schon von den anderen Geschichten deutlich ab. Niemand fordert hier ein Zeichen, um die Göttlichkeit Jesu zu erkennen. Er hat es einfach getan. Und es war nicht so, dass seine Mutter zum ihm gesagt hat: „Junge, nun mach mal ein Wunder! Setze ein Zeichen!“ – Nein! Sie sagt quasi nichts anderes als: „Junge, tu was, der Wein geht aus.“

Nahezu lapidar hält Johannes fest: „Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat.“ (Johannes 2, 11) Und dann schließt die Geschichte mit dem Satz: „Und seine Jünger glaubten an ihn.“ (Johannes 2, 11)

Einzig und allein auf diese Feststellung läuft das ganze Weinwunder hinaus. Der Speisenmeister realisiert gar nicht, dass es sich hierbei um ein Wunder gehandelt hat. Er wundert sich nur über die Qualität des Weines, und dass er erst ausgeschenkt wird, als alle anderen betrunken sind. Das heißt auch, dass die ganze Hochzeitsgesellschaft überhaupt nichts von dem Wunder realisiert hat, das Jesus da vollbracht hat. Und damit wird deutlich, dass das Weinwunder einzig und allein an seine Jünger gerichtet war und auf diese Weise gewissermaßen so etwas wie eine vertrauensbildende Maßnahme war.

Ich könnte auch sagen, dass die Jünger so etwas wie Premium-Christen waren, die es deutlich leichter hatten, an Gott zu glauben, weil sie in der physischen Nähe zu Jesus lebten.

Die Menschheit hat sich – wie wir in den Geschichten des Alten Testaments, insbesondere auch bei den Propheten immer wieder lesen können – stets von Gott entfernt und dafür die Rechnung kassiert. Früher hat man gesagt, dass Gott gestraft hat. In Wirklichkeit war es nur die logische Konsequenz des Ungehorsams. Eben: Wer nicht hören will, muss fühlen.

Auch wenn Jesus durch seine Wunder, seine Heilungen und seine Predigten einen unwahrscheinlichen Zulauf hatte, der weltumspannend wurde, entfernt sich die Menschheit mehr und mehr auch von Jesus. „Der ist ja nicht zu sehen!“ Oder: „Der lässt sich hier ja nicht blicken!“ Oder „Nenn mir einen Grund, warum es ihn geben soll, wenn weltweit so viele Menschen ermordet werden oder Opfer der Machtspiele und -interessen der Herrschenden werden, der Mächtigen, die nicht mehr wissen, wie viele Menschen sie auf dem Gewissen haben, wieviel Blut sie vergossen haben.“ – auch in der westlichen Welt.

Ich bin kein Politiker und will auch keiner sein. Mein Predigerseminar-Direktor sagte einmal zu uns jungen Vikarinnen und Vikaren, dass wir einst das Prophetenamt wahrnehmen würden. Und schon seit einer ganzen Weile entdecke ich mehr und mehr die Propheten für mich, die mich auch mit dem konfrontieren, was passiert, wenn die Erde durch uns Menschen nicht rund läuft. Mein Glaube und mein Wissen um den Glauben lassen mich Zusammenhänge erkennen, die es mir möglich machen Entwicklungen vorauszusehen und die möglichen Gefahren zu erkennen, um dann mit meinen Möglichkeiten zu handeln. Das gilt auch für Euch, die Ihr glaubt.

Und manchmal denke ich, dass Jesus, vielleicht durch seine Wunder die Erwartungshaltung der Menschen so sehr in die Höhe getrieben hat, dass Menschen auf die Idee kommen gekommen sind, dass alles, was nicht funktioniert, Gottes Versagen ist. Und am Ende sagen Sie dann auch noch – als hätten sie nun den Beweis dafür: „Tja, wenn es einen Gott geben würde, hätte er das doch verhindern können…“

Lasst mich genau an dieser Stelle mit Paulus folgendes festhalten: Die Herrscher haben die Weisheit Gottes nicht erkannt, denn sonst hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt, wie Paulus es im 1. Brief an die Korinther, Kapitel 2, Vers 7 bis 8 schreibt.

Der Prophet Jeremia nennt als Ursache für die tödliche Dürre – also eine kapitale Klimakatastrophe – den Ungehorsam gegenüber Gott.

Und Jesus bewirkt mit dem Weinwunder zu Kana den Gehorsam seiner Jünger.

Das bedeutet doch unterm Schlussstrich, dass der Glaubensgehorsam die nicht enden wollende Fülle zur Folge hat. Denken wir nur an die Speisewunder. Es blieb immer genug übrig. Der Glaube und mehr noch der Glaubensgehorsam wirkt dem Mangel entgegen. Wer teilt, hat mehr. Wer nicht teilt, hat weniger. Daran erinnert auch die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus. Das Wort Gottes ist wie ein Schatz, den wir in unseren Herzen tragen. Denn wenn wir Gottes Wort hören und es bewahren, dann leben wir auch das Wort Gottes untereinander und miteinander. Dieser Schatz ist der einzige Schatz auf dieser Erde, der erst durch das Teilen zu einem Schatz wird und so seinen Wert gewinnt. Und weil dieser Schatz aus unserem Herzen heraus kommt, wird dadurch ein herzliches Miteinander möglich. So ist das Miteinander der Gradmesser für den Wert und die Wertschätzung dieses Schatzes, also des Wortes Gottes.

Wer diesen Schatz in seinem Herzen trägt und ihn nicht teilt, bewahrt ihn nicht.

Also, die Geschichte bei Jeremia macht deutlich, dass die Folgen des Ungehorsams alle ohne Ausnahme betreffen, auch die Tiere.

So, aber jetzt kommt die zentrale Botschaft, die der Wochenpsalm (Psalm 105, 8) für uns bereithält:

Er gedenkt ewiglich an seinen Bund,
an das Wort, das er verheißen hat für tausend Geschlechter.

Nicht Gott wird untreu, sondern der Mensch. Der Glaube ist in eine Krise geraten. Nicht gestern, nicht heute, sondern ganz allmählich, weil die Menschen mehr und mehr die Notwendigkeit – welch schönes Wort, das wir immer viel zu beiläufig benutzen – des Glaubens nicht mehr verstehen, weil sie glauben zu wissen, dass Glaube einengt und beschneidet. Dabei ist es der Glaube, der alles möglich werden lässt und Not wenden lässt. Was sagte doch Jesus immer, wenn er jemanden geheilt hatte?

Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Und die Frau wurde gesund zu derselben Stunde.

Matthäus 9, 22

Und Jesus sprach zu ihm: Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach auf dem Wege.

Markus 10, 52

Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!

Lukas 7, 50

Er aber sprach zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Geh hin in Frieden!

Lukas 8, 48

Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

Lukas 17, 19

Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.

Lukas 18, 42

Insgesamt sechsmal ist uns dieser Satz aus dem Munde Jesu überliefert: „Dein Glaube hat Dir geholfen.“ Der Glaube erschließt alle Möglichkeiten, die wir mit Gott haben. Daran erinnert uns auch die Geschichte der Heilung des besessenen Knaben, aus der die Jahreslosung stammt:

Jesus aber sprach zu dem Vater: Du sagst: Wenn du kannst! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. 24 Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Der Vater kam in einer absoluten Krisensituation zu Jesus. Er ist zwischen Glauben und Unglauben hin und her gerissen. Und so schreit er Jesus in seiner Verzweiflung entgegen, dass er seinem Unglauben zum Glauben verhelfe. Er würde so gerne glauben können, aber er schafft es nicht beim Anblick des Leidens seines Sohnes. Da steckt wieder die Frage dahinter, ob es einen Gott geben kann, der so etwas zulässt.

Interessant an dieser Stelle ist auch, dass es hier im Gegensatz zu allen anderen Heilungsgeschichten, nicht um den Glauben des Kranken geht, sondern um den des Bittenden, des Fürbittenden. Jesus schafft im Vater den Glauben und deckt so seinen Unglauben auf. Und genau das ist das eigentliche Zeichen in dieser Geschichte. Das Zeichen geschieht also, um dem Vater deutlich zu machen, was mit dem Glauben alles möglich ist.

Das gilt auch uns heute angesichts der Krise des Glaubens als Ermutigung. Und Jesus hat mit der Heilung des besessenen Knaben noch etwas gezeigt, nämlich welche Macht das Gebet hat, als er sagt, dass diese Art durch nichts ausfahren kann als durch Beten.

Somit ist das Gebet nicht mehr und nicht weniger Ausdruck unseres Glaubens und unserer Beziehung zu Gott. Und so bilden Glaube und Beten eine Einheit, mit der wir mit Gott und miteinander und füreinander in Beziehung bleiben. Das Gebet ist Zeichen unseres Glaubens.

Amen.


Pfr. Martin Dubberke, Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias 2020 über Jeremia 14, 1-9
Perikopenreihe II in der Johanneskirche Partenkirchen, 19. Januar 2020