Pfr. Martin Dubberke
Zu Herzen nehmen | Photo: Martin Dubberke

Lasst uns einander lieb haben

Liebe Geschwister, wir haben gerade die Aufforderung des 1. Johannesbriefes gehört:

Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist aus Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennte Gott nicht, denn Gott ist die Liebe.
1. Johannes 4,7-8

Das mit dem lieb haben ist ja nicht so ohne. Da stellt sich mir doch zuerst die Frage, wen ich alles nicht liebhabe? Und vor allem: Warum nicht?

Johannes stellt uns auf diese Weise die Frage nach dem, was wir glauben und vor allem nach unserer Glaubwürdigkeit. Wir müssen uns das nicht so vorstellen, als sei zwischen den ersten Christinnen und Christen Friede, Freude, Eierkuchen gewesen. Nein, da ging es zum Teil ganz schön hoch her. Deshalb ist ja der 1. Johannesbrief geschrieben worden, damit der Gemeinde wieder bewusst wir, worauf es ankommt. Das gilt – nebenbei gesagt – 2000 Jahre später auch noch für uns und unsere Welt, in der wir leben, weil Glaube und Liebe nämlich zeitlos sind. Es geht also heute um nichts anderes, als unsere Glaubwürdigkeit. Wie glaubwürdig bin ich als Christ?

Und damit stellt sich jedem von uns nach wie vor die Frage, wen ich nicht liebhabe und warum ich ihn nicht liebhabe. Die Frage nach dem Warum ist nämlich entscheidend. Ich weiß, es wäre viel einfacher, zu sagen, wen ich liebe. Aber die Antwort auf die Frage, warum ich jemanden nicht liebhabe, ist die alles entscheidende Frage, denn die Antwort darauf, macht deutlich, vor welcher Herausforderung ich selbst stehe.

Denkt nur mal an den Gesetzeslehrer, der Jesus versuchte und sprach:

Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?

Und dann hat ihn Jesus selbst die Antwort finden lassen, indem er ihn fragte, was geschrieben steht? Und da antwortete der Gesetzeslehrer erwartungsgemäß:

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.

Und dann glaubt der Gesetzeslehrer ganz schlau zu sein und fragt Jesus, wer denn nun sein Nächster sei. Auf diese Frage antwortet Jesus nun in der von ihm gewohnten Weise mit einer Geschichte, und zwar der vom Barmherzigen Samariter.

Jesus macht dem Gesetzeslehrer damit deutlich, dass für einen Menschen, der Gott liebt, jeder Mensch sein Nächster ist, egal welche Sprache er spricht, egal, was er glaubt, egal was er getan hat.

Nächstenliebe ist die größte Herausforderung, vor die uns Gott, vor die uns Jesus Christus in unserem Leben gestellt hat.

Wie weit diese gehen kann, habe ich bei den Bonhoeffers gelernt. Am 2. Februar 1945 wurde der Schwager von Dietrich Bonhoeffer, Rüdiger Schleicher, vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler zum Tode verurteilt. Am Tag darauf wurde Roland Freisler während eines amerikanischen Luftangriffs tödlich verletzt. Der von der Straße herbeigerufene Arzt war der Bruder von Rüdiger Schleicher, der sich um Roland Freisler kümmerte und schließlich seinen Tod feststellte. Der Bruder von Rüdiger Schleicher beschrieb der Familie gegenüber, welche Herausforderung das für ihn gewesen ist, aber auch, was ihn letzten Ende davon überzeugt hat, für die medizinische Versorgung dieses Mannes bereit zu sein: Die Nächstenliebe und sein Hippokratischer Eid.

Ich weiß, das ist ein sehr extremes Beispiel und kaum einer von uns wird in seinem Leben in eine vergleichbare Situation kommen oder vielleicht auch gewesen sein, wie es der Bruder von Rüdiger Schleicher war.

Und damit komme ich wieder auf meine Frage zurück: Wen habe ich nicht lieb und warum habe ich ihn nicht lieb?

Ja, denkt mal darüber einen kurzen Moment darüber nach? Wer fällt Euch als erster ein?

Nein, wir wollen heute mal die Politiker außen vor lassen. Also kein Putin oder kein Landes- oder Lokalpolitiker, kein Bundeskanzler. Das wäre viel zu einfach.

Gut, hat jeder von Euch jemanden im Kopf, den er nicht lieb hat oder, bei dem es ihm schwer fällt ihn lieb zu haben?

So, und warum habt Ihr diesen Menschen nicht lieb? Habt Ihr die Antwort dafür auch vor Augen? – Prima, dann wisst Ihr nun, wo Eure eigene Schwachstelle in der Nächstenliebe ist und wo Eure Nächstenliebe am meisten gefordert ist.

Aber was bedeutet das nun? Was macht Ihr denn alles, wenn Ihr jemanden nicht liebhabt?

Das Einfachste ist, ihm aus dem Weg zu gehen. Ihn nicht zu beachten. Aber in der Regel machen wir doch noch das ein oder andere mehr.

Und damit stellt sich z.B. die Frage: Wo bin ich der Versuchung erlegen, schlecht über einen Kollegen oder eine Kollegin zu reden, weil ich mich einfach geärgert habe, weil er mich genervt hat und andere auch nervt, so dass man miteinander sich auf der einen Seite zwar miteinander auskotzt, weil man über ihn lästert, aber sich keinen Gedanken darüber macht, wie man die Situation ändern könnte. Das sind Momente, die es nicht nur am Arbeitsplatz gibt. Das kann auch in Gemeindekreisen vorkommen, das kann in Nachbarschaften vorkommen und an vielen anderen Orten mehr.

In diesem Zusammenhang hat mich gestern ein Artikel über Joschka Fischer in der Welt beeindruckt. Der Autor dieses Artikel – Ulrich Exner – schreibt:

„Es unterscheidet den grünen Ex-Politiker Joschka Fischer positiv von vielen anderen Ex-Politikern, dass er sich gut zurücknehmen kann in der Öffentlichkeit. Dass er sich nicht in jedwede Talkshow setzt und alles besser weiß. Dass er auch im Umgang mit seinen Nachfolgern nicht vor sich hin ätzt, was er sicher ganz gut könnte, sondern entweder lobt oder schweigt.“
(Exner, 2023)

Tja, da habe ich mir die Frage gestellt: „Warum gelingt es mir manchmal nicht, einfach nur zu schweigen?“

Es gibt so viele Momente, Situationen und Menschen, die meine Nächstenliebe herausfordern. Und es gibt kaum etwas, an dem ich mehr scheitern kann als an der Nächstenliebe, wenn ich der Herausforderung nicht gewachsen bin.

Und es gibt auch politische Richtungen oder Strömungen, die mein Versagen in der Nächstenliebe dafür nutzen, Stimmen zu bekommen, die daraus politisches Kapital schlagen und damit unserer mangelnden Nächstenliebe auch noch eine Legitimation geben.

Wo muss ich selbst umdenken? Wo muss ich mich selbst mit meinen Auffassungen in Frage stellen?

Und genau deshalb weiß ich, dass das mit der Nächstenliebe nicht so einfach ist, wie es sich sagt, sondern an die eigene Substanz gehen kann und auch muss, weil die Nächstenliebe nämlich mich selbst hinterfragt.

Nebenbei gesagt: Jesus hat uns ja immer wieder vorgelebt, was Nächstenliebe und das Durchbrechen von Vorurteilen, schlechten Meinungen usw. bedeutet. Denken wir nur an die Geschichte vom Zöllner Zachäus und wie sich das Leben für alle anderen zum Positiven gewendet hat, weil Jesus auf diesen Menschen zugegangen ist und sich dieser Mensch um 180 Grad gewendet hat. Diese 180-Grad-Wende nennt man Umkehr. Umkehr bedeutet Beichte, bedeutet, erkannt zu haben, wo ich vom Weg Gottes abgewichen bin, wo ich den Weg der Liebe verlassen habe. Und das ist Zachäus gelungen, denn er hat eingesehen und zugegeben, dass der die Leute ausgenommen hat und er hat dann zugesagt, es in Zukunft nicht nur anders zu machen, sondern auch den entstandenen Schaden mit Zins und Zinseszins zu ersetzen. Das nennt man Wiedergutmachung, was auch ein wesentlicher Teil von Beichte, Buße und Umkehr ist, an deren Ende ein neuer Sinn steht.

Es geht um unsere Glaubwürdigkeit als Christinnen und Christen, denn unser Christsein wirkt sich auch in unserem Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen und desgleichen unserer Schöpfung aus. Jeder einzelne von uns ist da ein Botschafter oder eine Botschafterin Jesu. Und je mehr ich mich nach außen hin als Christ bekenne und zu erkennen gebe, desto mehr bin ich auch herausgefordert, das in meinem Lebenswandel, in meinen Entscheidungen, in meinen Äußerungen, in meinem Umgang mit anderen Menschen glaubhaft erkennbar werden zu lassen. Das ist nicht immer einfach.

Auch und ganz besonders das letzte Abendmahl macht es deutlich: Jesus hatte Judas nicht vom Abendmahl ausgeschlossen, sie saßen miteinander am selben Tisch, aßen vom selben Brot und tranken vom selben Wein, so wie wir das auch heute tun werden. Und wenn Jesus uns das vorgelebt hat, dürfen wir es nachleben.

Niemand hat gesagt, dass Christsein ein Leichtes sei. Ja, im Neuen Testament wird sogar immer wieder darauf hingewiesen, dass es nicht ungefährlich sein kann, Christ zu sein und sich zu ihm zu bekennen. Lasst uns miteinander die Herausforderung annehmen, vor die uns Jesus Christus gestellt hat.

Lasst uns einander lieb haben!

Amen.

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt über 1. Johannesbrief 4,7-12 am 13. Sonntag nach Trinitatis, 3. September 2023, Perikopenreihe V in der Markuskirche zu Farchant und der Johanneskirche zu Partenkirchen.

Pfr. Martin Dubberke
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