Pfr. Martin Dubberke

Gründonnerstag

Gestern fragte mich eine unserer Auszubildenden, was denn Gründonnerstag sei. Und wie es so meine Art ist, fragte ich sie zurück: „Wissen Sie, was greinen ist?“

Sie schaute mich mit großen Augen an, weil sie sich darunter noch weniger vorstellen konnte als unter Gründonnerstag. Also, begann ich, ihr das Wort zu erklären. „Greinen“ ist ein wunderbares altes Wort, das mittlerweile aus der Mode gekommen ist. Es bedeutet weinen, jammern, klagen, heulen.“

„Und warum wird dann an dem Donnerstag geweint?“

„Das ist eine gute Frage“, antworte ich. „Was machen Sie denn, wenn sie von jemandem Abschied nehmen, von dem sie wissen, dass er morgen sterben wird?“

Wir schauen uns beide tief in die Augen und ich nicke mit dem Kopf: „Genau, weinen. Am Gründonnerstag hat Jesus zum letzten Mal mit seinen Jüngern zu Abend gegessen. Sie haben zum letzten Mal alle gemeinsam um einen Tisch herumgesessen, Jesus und die zwölf Jünger. Nie wieder sollten sie in dieser vollständigen Runde zusammensitzen, denn zwei von ihnen würden nie wieder in ihrer Runde sein. Jesus, der am kommenden Tag, dem Karfreitag einen grausamen Tod am Kreuz sterben würde und Judas Iskariot, der Jünger, der ihn an seine Mörder verraten und verkauft hat, wird sich das Leben nehmen, weil er nicht mit der Last des Verrats leben konnte.“

Die Jünger waren traurig und hatten ehrlicherweise auch Angst vor der Zeit ohne Jesus. Sie waren Schüler, hatten viel gelernt und sollten nun selbst Lehrer und Meister sein. Jesus hatte ihnen eine gewisse Sicherheit und auch Schutz geboten. Nun wären sie auf sich angewiesen. Naja, nicht wirklich auf sich selbst. Gott, darf man an der Stelle nicht unterschätzen. Aber man darf nicht vergessen, was es bedeutet, wenn man eine ganze Weile mit einem Mann unterwegs war, der wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich war. Das ist schon eine ganz andere Hausnummer. Und wenn der dann nicht mehr leibhaftig dabei ist, dann löst das schon Ängste aus, vor allem, wenn Jesus durch das Wirken der Hohepriester zum Tode verurteilt wurde. Was soll dann aus ihnen werden, wenn selbst Jesus dem Wirken seiner Mörder ausgeliefert ist? Hätte er nicht fliehen können oder ein Wunder bewirken können, das seine Hinrichtung verhindert?

Ich kann mir gut vorstellen, dass jeder einzelne von ihnen die Angst hatte, der Nächste zu sein. Erinnern wir uns doch nur an die dreimalige Leugnung durch Petrus. Aber das war nur die eine Sorge. Die andere Sorge galt dem Vertrauen untereinander. Ausgerechnet einer aus ihren Reihen hatte Jesus an die Hohepriester verraten.

Hatte er denn gar nichts bei Jesus gelernt. War er vielleicht schon die ganze Zeit ein U-Boot, ein Agent der anderen, ein Spion, eine Art IM? Was hatte er den Hohepriestern noch verraten? Wer würde der nächste Verräter in ihrer Gruppe sein? Wer würde als nächster einknicken, um seine Haut zu retten?

Die eingeschworene Gruppe hatte mit einem Male ein Vertrauensproblem. Sie waren darauf angewiesen, ein eingeschworenes Team zu bleiben, um die Sache Jesu, die gemeinsame Sache am Leben zu halten. Wer wird durchhalten? Wer wird abspringen?

Vor diesem Hintergrund bekommt die Geschichte von der Fußwaschung aus dem Johannes-Evangelium noch einmal eine ganz andere Bedeutung. Jesus wäscht allen Jüngern die Füße und am Ende sagt er:

Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.
Johannes 13, 34-35

Sich untereinander zu lieben, heißt einander zu vertrauen. An dieser Liebe, die auch bedeutet einer für alle und alle für einen, wird jedermann erkennen, dass sie die Jünger Jesu sind. Das galt damals wie heute. Wir sind als seine Jünger, als Christinnen und Christen, als seine Kirche nur dann erkennbar, wenn wir untereinander lieben und aus Liebe zusammenhalten. An dieser Liebe soll man uns erkennen. Diese Liebe soll andere anziehen, andere einladen.

Diese Liebe erkennt man auch, wenn man gemeinsam an einem Tisch sitzt und gemeinsam isst. Als es darum geht, wer der Verräter ist, sagt Jesus:

Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht.
Markus 14, 20

Wer das Gebot Jesu nicht hält, den wird man beim gemeinsamen Essen erkennen, weil er nicht mehr wirklich zur Tischgemeinschaft gehört.

Das letzte Abendmahl mit Jesus unterstreicht den Zusammenhalt der Jünger, sie sind eine Gemeinschaft und nur in dieser Gemeinschaft werden sie stark, so stark, dass sie Jesu Botschaft auch ohne seine leibliche Gegenwart  leben und in die Welt hinaustragen können.

Und es hat gewirkt, sonst kämen wir heute nicht hier zusammen, um gemeinsam zu singen, zu beten, das Wort Jesu zu hören und das Abendmahl zu feiern.

Jesus hat mit seinen Jüngern beim letzten Abendmahl einen Bund geschlossen:

Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.
Markus 14, 24

Er hat diesen Bund, aber nicht nur mit Ihnen geschlossen, sondern auch mit uns:

Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.
1. Korinther 11, 26

Damit hat Jesus deutlich gemacht, dass er mit uns verbunden ist und wir mit ihm. Wir sind nicht allein. Er hat uns nicht allein gelassen. Er hat uns mit dem Abendmahl Gemeinschaft geschenkt, die uns stärkt, uns Mut macht, wenn es uns mal schwerfällt, seine Gebote zu halten, wenn unsere Nächstenliebe herausgefordert ist.

Das Abendmahl erinnert uns auch immer daran, einander lieb zu haben. Jeder von uns hat das schon mal erlebt, wie sich Konflikte auf den Magen schlagen, den Appetit verderben. Das Essen will dann einfach nicht schmecken. Mit dem Abendmahl lädt Jesus daher auch dazu ein, bestehende Konflikte zu lösen, sie anzusprechen, wenn man sich an einen Tisch setzt.

Jesus sagt: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ – So sprechen wir es auch in den Einsetzungsworten.

Durch Jesu Tod sind unsere Sünden vergeben. Wer wären wir, wenn wir vor diesem Hintergrund dem anderen unsere Vergebung verwehren würden? Wir würden miteinander aus dem Gebot der Liebe fallen.

Und damit bekommt für mich ein Satz aus dem Markus-Evangelium eine ganz neue Bedeutung:

Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.
Markus 14, 21

Jesus akzeptiert, den Weg, der ihm vorgegeben ist, wenn er sagt: „Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht…“ Doch dann kommt das „Aber“- „Weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird!“ – Ich weiß es nicht, aber ich werde mit einem Male irgendwie das Gefühl nicht los, dass diese Ansage nicht nur Judas Iskariot galt, sondern auch allen anderen, und damit auch uns heute. Wer sich einmal zu Jesus bekannt hat, hat sich zu Jesu Gebot einander, untereinander und jedermann zu lieben bekannt.

Das Abendmahl erinnert uns daran, welch großes Opfer Gott auf sich genommen hat, damit Liebe unter uns möglich wird und bleibt. Er hat damit aber auch deutlich gemacht, dass Liebe, harte Arbeit ist, die uns an unsere eigenen Grenzen bringen kann, die wir mit seiner Hilfe überwinden können. Im Abendmahl sind wir mit Jesus um einen Tisch herum versammelt. In seiner realen Gegenwart spüren wir die Kraft, die aus seiner grenzenlosen Liebe heraus erwächst und durch uns in die Welt getragen wird. Wenn das mal kein Grund zur Freude ist.

Amen.

Passionsnotiz Nr. 44 vom 13. April 2017

Predigt am Gründonnerstag 2017 in der Königin-Luise-Gedächtniskirche