Pfr. Martin Dubberke
Karfreitag | Bild: Martin Dubberke

Karfreitag

Heute ist Karfreitag, ein Karfreitag mit einem grauen Himmel. Irgendwie passt das Wetter zum Tag. In meiner Jugend und auch, als ich noch ein junger Erwachsener im alten West-Berlin war, fiel der Karfreitag anders als nur im Kalender oder freier Tag auf. Dabei ist das noch gar nicht so lange her. Wenn ich damals aus der Georg-Wilhelm-Straße – wo ich wohnte und aufgewachsen bin – an den Kurfürstendamm ging, fuhr da nicht viel mehr als alle Jubel Jahr mal ein Bus. Die Geschäfte waren zu, ja auch die Kinos und Theater am Kurfürstendamm und ebenso auch alle Imbissbuden. Sogar die Damen, die ab einer bestimmten Uhrzeit zwischen den Schaukästen am Kurfürstendamm standen, fehlten.

Wenn ich dann so oben auf dem Henriettenplatz stand, glich der Kurfürstendamm einer großen Geisterstadt, in der ich fast der einzige auf der Straße war. Und ich war da nur, weil ich auf dem Weg zum Karfreitagsgottesdienst in der Hochmeisterkirche war.

Und auch im Radio und Fernsehen war das Programm ein anderes als heute. Damals wurde besonders gerne „Quo vadis“ oder „Die zehn Gebote“ im Fernsehen gezeigt. Heute? Naja, schau selbst in die Fernsehzeitung – falls Du noch eine haben solltest.

Karfreitag ist neben dem Volkstrauertag und Totensonntag einer von drei sogenannten „Stillen Feiertagen“, an denen Clubs, in denen man tanzen kann, und Spielhallen geschlossen bleiben und auch laute Umzüge nicht erlaubt sind.

Dieses Tanzverbot löst immer wieder Diskussionen bei denen aus, die nicht an Gott glauben oder nicht der Kirche angehören, die sich von 46 Millionen Christinnen und Christen in Deutschland einmal im Jahr bevormundet sehen. Mehr als die Hälfte der 82 Millionen Bundesbürger gehören einer der beiden großen Kirchen an. Zum Vergleich: In der SPD sind bundesweit 446.000 Mitglieder, der Deutsche Fußballbund hat 6,9 Millionen Mitglieder und der Humanistische Verband Deutschlands, der die Interessen der konfessionslosen Menschen in Deutschland vertritt, hat 21.000 Mitglieder.

Was meinst Du, ich würde jetzt mit Zahlen um mich werfen, um zu argumentieren?

Nein, ich war nur neugierig. Ich wollte einfach mal wissen, wie sich das mit den Zahlen und Verhältnissen verhält. Aber eigentlich ärgert es mich, wenn die Menschen, die sich über die Einschränkungen an einem „Stillen Feiertag“ wie dem Karfreitag aufregen, uns Christen vorwerfen, dass wir ihnen etwas vorschreiben würden, aber gleichzeitig den freien Tag genauso wie den Ostermontag, den Himmelfahrtstag, Pfingstmontag, den ersten und den zweiten Weihnachtsfeiertag fröhlich genießen. Sechs freie Tage, die es ohne den grausamen Tod Jesu am Kreuz nicht geben würde. Ach ja, nicht zu vergessen, den Reformationstag, den es in manchen Bundesländern nicht gibt. Mit ihm kämen wir dann schon auf sieben Feiertage.

Ich will jetzt nicht die Geschichte des Christentums und der Kirche mit einer rosafarbenen Brille sehen, dafür haben wir als Kirche und Christen aus Dummheit, Unverständnis, blindem Eifer und purem Machtstreben selbst eine viel zu lange Blutspur hinterlassen und uns nicht besser verhalten als diejenigen, die Jesus ans Kreuz genagelt haben und ihn auf diese Weise verraten haben.

Ich sehe den Ausdruck deines Überraschtseins in deinen Augen. Ja, wir haben selbst über eine lange Zeit als Täter gelebt, nachdem wir als Christen in der Antike zuerst Opfer waren, Opfer von Verfolgung, weil die Herrschenden in Staat und Religion Angst vor uns hatten. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Opfer zu Tätern werden, um nie wieder Opfer zu werden. Aber das war nicht das, was Jesus wollte. Dafür hat Jesus nicht den Tod am Kreuz auf sich genommen.

Beim letzten gemeinsamen Abendmahl sagte er zu seinen Jüngern:

Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.
Markus 14, 21

Das, was mit den Kreuzzügen geschah, der Inquisition, den Hexenverbrennungen und vielem anderen mehr, war nichts anderes als den Menschensohn zu verraten. Und ja, es wäre für diese Menschen besser gewesen, wenn sie nie geboren worden wären. Sie haben mit ihrem Verrat dazu beigetragen, dass diese Verbrechen Kirche, egal, ob sie nun katholisch oder evangelisch ist, noch heute anhängen und das Bild der Menschen bestimmen, die nicht der Kirche angehören.

Karfreitag, der Tod Jesu Christi am Kreuz, sollte für uns alle, egal ob Christ oder Nicht-Christ, Mahnung und Erinnerung dafür sein, was geschieht, wenn Dogmatismus, Angst und Egoismus den Umgang zwischen Menschen bestimmen, wenn Respektlosigkeit und Geringschätzung anderen gegenüber das Leben bestimmen. Karfreitag darf uns allen innerhalb der Kirche und außerhalb der Kirche in unserer Straße, in unserer Stadt, unserem Land und der ganzen Welt dazu einladen, still zu werden und dem Menschen Jesus dafür zu danken, dass er uns mit seinem Tod in letzter Konsequenz gezeigt hat, was es bedeutet, wenn es keinen Respekt vor Andersdenkenden gibt. Der Tod Jesu ist der Kern unserer Freiheit, in der wir heute leben. Und dafür einen Tag im Jahr auf Spiel und Spaß zu verzichten, ist ein geringer Preis für ein so großartiges Geschenk.

Du meinst ich habe mich gerade ein wenig in Rage geredet?

Ja, das stimmt, da hast Du recht. Manchmal muss auch ich mich aufregen und Dampf ablassen.

Wie, Du meinst, dass das ok war?

Naja, wenn Du das sagst, will ich Dir nicht widersprechen.

Passionsnotiz Nr. 45 vom 14. April 2017