Pfr. Martin Dubberke
Frieden | Bild: Martin Dubberke

Es muss ernstlich sein

Liebe Geschwister, im vergangenen Jahr habe ich auch am 19. Sonntag nach Trinitatis hier in unserer Johanneskirche Gottesdienst gehabt. Und auch im vergangenen Jahr habe auf den Text aus dem Jakobus-Brief in meiner Predigt Bezug genommen. Mich hatte damals das dazu bewogen, was mir heute wieder durch den Kopf gegangen ist, als ich den Text gelesen habe:

Ich habe das Gefühl, dass die ganze Welt gerade krank ist.

Ja, ich finde nach wie vor, dass die ganze Welt krank ist, dass sie im Laufe dieses Jahres sogar noch kranker geworden ist. Und dabei denke ich jetzt gerade nicht an Corona, obwohl das auch wieder mehr wird, sondern an all die Kriege. Seit 21 Monaten erleben wir den Krieg in der Ukraine, der kein Ende finden will. Vor einigen Wochen dann Bergkarabach und nun seit einer Woche Israel.

Jakobus, der der Bruder Jesu gewesen soll, hat uns diesen Brief geschrieben. Und er schreibt uns mahnende und zugleich ermutigende Worte:

Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. 14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. 15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. 16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
Jakobus 5,13-16

Ja, wir leiden. Die Menschheit leidet unter diesen Kriegen. Tagtäglich wird das Leben, wird die Existenz von Menschen zerstört. Millionen Menschen können sich in ihrem Leben nicht entfalten, weil sie in einer Situation leben, die nur noch wenige unter uns selbst erlebt haben. Der Verlust von Heimat ohne die Möglichkeit in die Wohnung zurückkehren zu können, die sie einmal auf dem Weg nach Schutz und Sicherheit verlassen haben, weil die Wohnung, das Haus zerstört ist.

Der Krieg zieht wie ein Krebsgeschwür durch die Welt und die Menschen, die politische Verantwortung tragen, finden keine Lösungen, die dem ein Ende bereiten können. Und sie finden die Lösungen nicht, weil sie vielleicht miteinander verstritten oder uneins sind, sondern weil sie überfordert sind, so wie jeder von uns mehr und mehr mit dem, was in dieser Welt geschieht, überfordert ist, weil niemand von den Bildern, die uns die Medien zeigen, unberührt bleibt, weil diese Kriege sich auch auf unser Leben auswirken.

Es erschreckt mich, dass in meiner Heimatstadt Berlin Menschen die Wohnungstüren mit Davidssternen markieren, hinter denen sie Juden vermuten. Es erschreckt mich, dass Menschen in Berlin auf die Straße gehen und die brutalen Angriffe, das Morden der Hamas bejubeln und Süßigkeiten auf der Straße verteilen, als wäre es Karneval. Das sind nicht meine Werte. Das sind nicht unsere Werte. Wir hatten einander geschworen: „Nie wieder!“ Und deshalb müssen wir dem klar und wirksam eine Grenze setzen, indem wir unsere Werte leben und für sie eintreten. Unser Christlicher Glaube sieht keinen Hass vor. Das hat uns Jesus Christus immer und immer wieder deutlich gemacht.

Ich glaube, wo der Mensch überfordert ist, wird deutlich, was ihm fehlt. Jakobus sagt sehr genau, was in einer solchen Situation zu tun ist:

Leidet jemand unter euch, der bete;
ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.

Überforderung ist Leiden, weil man seine eigene Ohnmacht erlebt, weil man an die Grenzen der eigenen Möglichkeiten geraten ist. Der Moment der Grenzerfahrung ist der Moment, in dem ich Gott am nächsten bin, weil an meinen Grenzen seine Möglichkeiten beginnen. Und genau deshalb ist es so wichtig, in solchen Situationen zu beten, die eigene Ohnmacht auszusprechen und um seine Hilfe zu bitten.

Und was für Politikerinnen und Politiker gilt, das gilt auch für uns, so wie wir hier sitzen. Wir sitzen doch hier, weil wir hoffen, von Oben, vom lieben Gott eine Energiespritze zu bekommen, die uns Mut macht, die uns Kraft gibt, die uns Perspektiven eröffnet.

Und wir sind hier, um Gott mit Psalmen zu loben für das, was er uns hat gelingen lassen, wo wir Mut gefunden haben.

Und Jakobus macht eines sehr, sehr deutlich, dass das Gebet des Glaubens dem Kranken helfen wird. Also hat Beten eine Wirkung und damit eine existentielle Bedeutung.

Jakobus weist aber auch noch auf etwas anderes hin. Und ich glaube, dass das der zentrale Aspekt dieser Verse ist: Nämlich das Bekennen und Vergeben der Sünden.

Dass Krieg herrscht, ist eine Sünde. Da gibt es nichts daran zu deuteln. Krieg ist eine Sünde. Es gibt keinen guten und auch keinen schlechten Krieg, weil Krieg das ist, was er ist: Töten, Land stehlen und vieles andere mehr, was die zehn Gebote und vor allem das Doppelgebot der Liebe verhindern wollen.

Und einem Krieg gehen in aller Regel andere Sünden voraus. Wenn man diese nicht erkennt, oder sie zwar erkennt, aber nicht benennt, weil man selbst vielleicht einen Vorteil daraus zieht, macht man sich mitschuldig.

Der Beginn jeglicher Umkehr, ist die Beendigung eines Krieges, um einen gemeinsamen Weg in die Zukunft zu finden, auf dem man Vertrauen aufbauen kann. Ohne Vertrauen ist kein Frieden möglich. Und ohne Vergebung ist kein Frieden möglich. Auch das hält uns Jakobus vor Augen. Ohne Vergebung ist auch in persönlichen Beziehungen kein Frieden möglich. Wie oft erlebe ich das in Trauergesprächen, wie tief verstritten Familien sein können und sich Konflikte selbst angesichts des Todes nicht schlichten lassen wollen. Es gibt so viele offene Rechnungen, die man miteinander schließen könnte, wenn man wollte.

Und oft braucht man einen Vermittler, so wie Jakobus es auch sagt:

Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.

Es braucht jemanden, der beim Beten hilft, wenn man selbst noch nicht beten kann, der für einen betet.

Will eine Beziehung wieder gesunden, wieder heil werden, müssen wir auch über unsere Sünden sprechen und sie einander bekennen. Nur so können wir wieder gesund werden. Es geht nicht darum, dem anderen seine Sünden vorzuhalten, sondern darum, sie einander zu bekennen, zu vergeben und gemeinsam Vertrauen aufzubauen und in eine friedliche Zukunft miteinander aufzubrechen.

All das kann gelingen, wenn die Bedingung des Jakobus erfüllt wird:

Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Es muss ernstlich sein. Es muss ernstgemeint sein. Und so schließe meine Predigt auch an diesem 19. Sonntag nach Trinitatis, wie schon im vergangenen Jahr, mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer:

Ein schwerer, verhängnisvoller Irrtum ist es, wenn man Religion mit Gefühlsduselei verwechselt. Religion ist Arbeit. Und vielleicht die schwerste und gewiß die heiligste Arbeit, die ein Mensch tun kann.
Dietrich Bonhoeffer – Barcelona, Berlin, Amerika 1928-1931, DBW Band 10, Seite 484

In diesem Sinne: Amen.

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis, 15. Oktober 2023, über Jakobus 5,13-16, Perikopenreihe V, in der Johanneskirche zu Partenkirchen

Pfr. Martin Dubberke
Pfr. Martin Dubberke

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