Liebe Geschwister, gestern sind eine Mutter und ihr zweijähriges Kind gestorben. Sie haben um ihr Leben gekämpft und am Ende ihr Leben verloren. Es gibt einen Vater, es gibt Eltern und Geschwister, die nun um ihre Frau, ihr Kind, ihre Tochter, das Enkelkind, ihre Schwester trauern. Es gibt noch 37 weitere Menschen, die Opfer eines jungen Mannes geworden sind, der in einen Demonstrationszug in München gefahren ist. Sie alle werden ihr Leben lang durch diese Tat miteinander verbunden bleiben. Ihr Leben wird nun anders sein als noch vor drei Tagen.
All das erfüllt mich mit Trauer und zugleich auch Ratlosigkeit.
Wieder wird die Frage nach Schuld und Verantwortung gestellt. Wieder wird die Frage gestellt, ob man das nicht hätte verhindern können, wenn man die Grenzen dicht gemacht hätte. Es wird die Frage nach moralischer Schuld und Verantwortung gestellt. Und es steht die Frage im Raum, wie Gott das zulassen konnte. Hat Gott es zugelassen?
Vielleicht hilft uns in dieser Situation der Blick in den Predigttext aus dem Prediger Salomo:
Von der wahren Weisheit
Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit. 16 Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. 17 Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. 18 Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.
Prediger Salomo 7, 15-18
Der Prediger Salomo gehört zur Alttstamentlichen Weisheit, genauso wie das Buch Hiob. Die Alttestamentliche Weisheit ist von dem Gedanken des Tun-Ergehens-Zusammenhangs geprägt, der Vorstellung, dass dem Tun des Guten ein gutes Leben folgt und dem Tun des Schlechten ein schlechtes Leben folgt. Eine Vorstellung, die im Buch Hiob in der sogenannten Krise der Weisheit mündet. Die alttestamentliche Weisheit bietet Einsichten in das Leben und Glauben.
Die Weisheit im Alten Testament bedeutet mehr als nur intellektuelles Wissen. Sie umfasst praktisches Können und die Fähigkeit, das Leben in Übereinstimmung mit Gottes Ordnung zu führen. Sie ist also nicht bloße Theorie, sondern lebt durch die Tat. Alttestestamentliche Weisheit will und soll gelebt werden, soll uns Orientierung in unserem Handeln geben, so dass wir immer bei Gott bleiben und Gott bei uns und wir beim Nächsten, damit alle miteinander ein gutes Leben führen können. Es gibt eine Ursache und eine Wirkung. Weisheit ist also nicht nur theoretisches Wissen, sondern Wissen, das im Handeln, im praktischen Vollzug lebendig wird.
Unterm Schlussstrich geht es darum, Gott zu vertrauen und seine Gebote zu leben, um ein erfülltes und erfolgreiches Leben zu führen.
Der Prediger Salomo reflektiert über die Vergänglichkeit des Lebens und die Suche nach Sinn. Er stellt die Frage, was wirklich von Bedeutung ist, und kommt zu dem Schluss, dass das Leben ohne Gott letztlich leer ist.
Und Hiob geht darin sogar noch einen Schritt weiter, indem er die Frage des Leidens aufnimmt und reflektiert. Hiob macht auf beeindruckende Weise in seinem Leiden deutlich, dass Weisheit auch bedeutet, Gott zu vertrauen, selbst wenn wir das Leid nicht verstehen.
Und so lädt uns auch heute immer noch die alttestamentliche Weisheit ein, über unser eigenes Leben nachzudenken: Wie können wir in unserer oft verwirrenden Welt weise leben?
Vor diesem Hintergrund konfrontiert uns heute der Predigttext mit der Realität der Ungerechtigkeit und den Widersprüchen des Lebens. Der Prediger spricht von der Beobachtung, dass Gerechte leiden und Ungerechte gedeihen. Diese Worte sind besonders schwer zu verstehen im Angesicht von Tragödien wie den Attentaten in Aschaffenburg und nun auch in München.
Solche Ereignisse werfen die Frage nach der Theodizee auf. Sprich: Wie kann ein guter und allmächtiger Gott Leid und Ungerechtigkeit zulassen? Und wenn es eine Frage gibt, die nicht leicht zu beantworten ist, dann ist es diese. Und diese Frage kann auch nicht mal so eben beantwortet werden. Sie beschäftigt uns Menschen schon durch die Jahrhunderte hindurch.
Der Prediger Salomo rät:
16 Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. 17 Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. 18 Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.
Der Predigttext bietet uns keine einfache Antwort, sondern eher eine Einladung, nämlich die, nach Weisheit und Mäßigung zu suchen. Die Reaktionen und Statements in den Medien, die aus den unterschiedlichen politischen Richtungen und Positionen kommen, machen deutlich, wie wichtig diese Einladung ist, nach Weisheit und Mäßigung zu suchen. Verlieren sich die einen in warmen Worten der Betroffenheit, fordern die anderen die härtesten Maßnahmen, die Schließung von Grenzen, die Ausweisung, für die manche auch andere Worte finden. All diese Reaktionen bringen nur eines zum Ausdruck: Unsere Ohnmacht und Hilflosigkeit. Es geht darum, sich gemeinsam hinzusetzen und gemeinsam Lösungen zu finden, die Lösungen der Probleme sind und keine kosmetische Symptombehandlung. Dafür braucht man Weisheit und Mäßigung. Der Prediger Salomo warnt davor, sich in extremer Gerechtigkeit oder Bosheit zu verlieren. Stattdessen fordert er uns auf, in Ehrfurcht vor Gott zu leben und zu erkennen, dass wir nicht alle Antworten haben.
Im letzten Satz des Predigttextes verbindet der Prediger das mit einer Aufforderung oder besser Erkenntnis:
…denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.
Das bedeutet, dass sich unsere Entscheidungen ändern, wenn wir Gott fürchten. Wir treffen Entscheidungen, die dem Leben dienen. Wir berücksichtigen in unseren Entscheidungen die Ordnung und die Gebote Gottes. Dieses mit letzter Konsequenz zu tun ist nicht Weltfremdheit, sondern Weltzugewandtheit.
Leider gehört Vers 19 nicht mehr zum Predigttext, aber ich zitiere ihn an dieser Stelle, weil er noch einmal alle Möglichkeiten der Weisheit und die Kraft der Weisheit unterstreicht und genau deshalb Mut macht:
Die Weisheit macht den Weisen stärker als zehn Gewaltige, die in der Stadt sind.
Für die Opfer und Hinterbliebenen des Attentats ist der Schmerz real und tief. Sie stehen vor der Herausforderung, mit Verlust und Trauer umzugehen. In solchen Zeiten ist es wichtig, dass wir als Gemeinschaft zusammenstehen, Trost spenden und einander unterstützen. Wir können die Fragen und den Schmerz nicht wegnehmen oder politische Sonntagsreden wegreden und Aktionismus wegwischen, aber wir können füreinander da sein.
Gott verspricht, bei uns zu sein, auch in den dunkelsten Zeiten. In Jesus Christus sehen wir, dass Gott selbst Leid und Ungerechtigkeit erfahren hat. Er ist unser Tröster und unsere Hoffnung.
Lasst uns in dieser Hoffnung leben und sie weitergeben. Möge Gottes Frieden unsere Herzen und Gedanken erfüllen, während wir uns bemühen, in einer unvollkommenen Welt seine Liebe zu leben.
Pfr. Martin Dubberke
Predigt am Sonntag Septuagesiimae 2025, Perikopenreihe I am 16. Februar 2025 in der Friedenskirche zu Burgrain und der Heilandkirche zu Oberau über Prediger Salomo 7, 15-18
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