Pfr. Martin Dubberke
Erster Advent 2024 - Zeit der Erwartung | Bild: Martin Dubberke ©

Zeit der Erwartung

Liebe Geschwister, ich wünsche Euch allen ein gesegnetes neues Jahr. Mit dem Ersten Advent gehen wir in ein neues Kirchenjahr. Mit dem Ersten Advent beginnt die Zeit der Erwartung. Wir erwarten Jesus Christus. Eine Zeit, die einen ganz besonderen Zauber hat. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich Kind war. Da holte meine Mutter alle Adventsfiguren aus dem Keller, die in Pappkartons waren und den typischen Duft hatten, wenn man Sachen aus dem Keller geholt hat. Da gab es den roten Ständer, an dem der Adventskranz aufgehangen wurde. Mein Vater steckte die vier roten Kerzen auf den Kranz und meine Mutter und meine Schwester schmückten ihn. Und dann band mein Vater die roten Bänder um den Kranz, an denen er aufgehangen wurde. Das war immer eine gewisse Balance-Arbeit, bis er dann richtig gerade hing. Dann kamen das Räucherhäuschen, das Zwetschgenmannderl, das Karussel, der Rauschgoldengel und viele andere kleine Figuren aus dem Karton heraus, die auf dem Sideboard in der immer gleichen Formation aufgestellt wurden. Und zum Rauschgoldengel erzählte mein Vater immer, wie er ihn bei einer Tournee auf dem Nürnberger Christkindlmarkt entdeckt hätte und ob der blonden Haare sofort an meine Schwester gedacht hätte, so dass er ihn einfach kaufen musste. Heuer werde ich zum ersten Mal in meinem Leben auch über den Nürnberger Christkindlmarkt gehen und ich bin schon ganz gespannt, was ich mitbringen werde.

Bei allen Mahlzeiten stand dann der Adventskranz auf dem Esstisch, vor jedem Teller stand eine kleine Weihnachtsszene mit einer kleinen Kerze. Die wichtigste Mahlzeit war aber der Adventskaffee. Da war es dann schon immer dunkel und wenn alle Kerzen auf dem Tisch brannten, durften wir Kinder ins Speisezimmer kommen. Das ganze Zimmer lag im Kerzenschein. Mein Vater holte die große Schatzkiste aus Metall hervor, in der die Lebkuchen von Otto E. Schmidt aus Nürnberg drin waren und dann saßen wir zusammen, sangen Lieder und mein Vater las uns Adventsgeschichten vor. Das Buch habe ich heute noch. Damals ging so ein magischer Zauber vom Advent aus. Der Advent war wie ein Countdown. Jeden Morgen öffnete man ein neues Fenster am Adventskalender und freute sich darauf, dass man am 24. Dezember dann das große Türchen aufmachen konnte. Man öffnete gewissermaßen mit jedem Türchen das große Tor von „Macht hoch die Tür die Tor macht weit“ um einen weiteren Spalt. Und mit jeder Kerze wusste und erlebte ich, dass Weihnachten wieder um eine Kerze, um eine Woche näher gerückt war und von Tag zu Tag, von Woche zu Woche stieg meine kindliche Vorfreude und Spannung. Irgendwann war die Spannung kaum noch auszuhalten. Und wenn dann das Lied „Einmal werden wir noch wach“ dran war, wussten wir, dass es jetzt fast so weit war. Endlich war Heiligabend, das Fest der Geschenke, der Überraschungen. Gingen dann alle Wünsche in Erfüllung?

Als Kind war der Advent für mich eine Zeit der Erwartung. Meine Eltern gestalteten diese Zeit für uns so, dass wir auf den Heiligen Abend mit aller Spannung und Aufregung vorbereitet wurden. Wir wurden, auch wenn mein Vater kriegsbedingter Atheist war, gut und liebevoll auf die Ankunft Christi vorbereitet. Diese Zeit war eine ganz besondere Zeit.

Heute hat der Advent für mich viel von diesem Zauber verloren und ich sehne mich immer wieder nach dem Advent meiner Kindheit, als die Welt irgendwie für mich heil war und im Advent dieses heil sein in besonderer Weise spürbar war. Ihr merkt, der Advent meiner Kindheit lebt noch immer tief in mir drin und dafür bin ich meinen Eltern bis heute dankbar. Der Advent meiner Kindheit ist verbunden mit einer tiefen Sehnsucht nach Frieden, nach Liebe und Frieden. Aber die Welt ist leider nicht Friede, Freude, Lebkuchen, auch wenn sie es sein könnte und es auch der Wille Jesu Christi ist. Und das liegt daran, dass die Impulse, die es schon vor rund zweitausend Jahren gegeben hat, als Jesus in Jerusalem eingezogen ist, noch immer gibt.

Das ist vielleicht ein guter Moment, um an dieser Stelle die Predigt für einen Moment zu unterbrechen und miteinander das Lied „Wie soll ich dich empfangen?“ zu singen:

EG 11, 1-2+6 – Wie soll ich Dich empfangen

Jesus zieht in Jerusalem ein. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes auf das Finale seines irdischen Wirkens zu. Jesu Einzug in Jerusalem bindet die Passionszeit und die Adventszeit zusammen. Beides ist eine Zeit der Erwartung, eine Zeit des Übergangs. Zweimal kommt der Einzug in Jerusalem in unserem Kirchenjahr vor, einmal am Ersten Advent und einmal am Palmsonntag, dem Sechsten Sonntag der Passionszeit.

Die Menschen sind begeistert, als Jesus auf einem Eselsfüllen in Jerusalem einzieht. Eine Machtdemonstration des Understatements. Er ironisiert gleichsam die Attitüden der Macht und stellt damit die Mächtigen bloß. Er konfrontiert die Mächtigen mit dem, worauf es ankommt, mit einer Botschaft, die die Menschen frei macht, die ihnen neue Perspektiven öffnet und den Weg zum Frieden durch Liebe freimacht. Keine Staatskarosse mit Panzerglas. Kein Chauffeur, keine Bodyguards, sondern seine Jünger folgen ihm.

Die Menge ist begeistert. Sie ist enthusiasmiert. Alle Hoffnung werfen sie auf ihn. Sie begrüßen ihn wie einen König und in diesem Moment ist er auch für sie der König. Sie folgen ihm auf seiner Route durch Jerusalem. Sie rufen „Hosianna!“, was eigentlich „Rette jetzt!“ bedeutet. Sie erkennen in Jesus Christus, diesem Mann, der da auf einem Eselsfüllen in Jerusalem einzieht, den Retter. Und damit wird der Hosianna-Ruf zugleich zu einem Ruf des Lobes und der Anbetung. Sie erkennen in diesem Moment Jesus als den Messias und den König an, der im Namen des Herrn kommt. Sie preisen Gott dafür, dass er den Retter gesandt hat, und bitten im gleichen Moment um Erlösung.

Doch noch sitzt Jesus nicht auf dem Thron. Und es stellt sich die Frage, ob Jesus überhaupt auf diesem Thron sitzen wollte. Demonstrierte er nicht mit seiner Art des von allen Attitüden der Macht befreiten Einzugs in Jerusalem zugleich auch, dass es nicht auf die Mächtigen ankommt, sondern auf die Ohnmächtigen, diejenigen, die keine Macht haben? Ist dieser Einzug nicht auch zugleich Ausdruck der Ermächtigung des Volkes?

Erinnern wir uns an die Heilige Nacht. Wer hat zuerst von der Geburt Jesu als dem Heiland und Retter erfahren? – Genau, die Hirten auf dem Feld. Die Hirten, die damals zu den Randständigen gehörten, die am untersten Ende der Gesellschaft standen.

Und genau darin liegt die Botschaft. Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Er ist als Mensch einer von uns. Er ist als Mensch jemand, der sich auf unsere Ebene begeben hat, dem wir von Angesicht zu Angesicht begegnen können. Jesus treibt kein falsches Spiel, um an der Macht zu bleiben oder an die Macht zu kommen. Er braucht keine Machtspiele. Und genau das demonstriert er an dem Tag, als er in Jerusalem einzieht. Seine Macht ist das befreiende Wort. Seine Macht ist die Liebe, mit der er allen Menschen begegnet. Sie schließt die Herzen auf und verändert Menschen.

Doch wenige Tage später hängt Jesus Christus am Kreuz. Die gleichen Menschen, die eben noch Hosianna gerufen haben, rufen nun „Kreuzige ihn!“. Sie sind Opfer einer Propaganda machtlüsterner und machtgeiler Menschen geworden, die erkannt haben, welche Gefahr für sie von Jesus Christus ausgeht. Und auch heute noch haben Politiker und Regierungen in anderen Regionen Angst vor Jesus Christus und drängen das Christentum und die Kirche zurück, sperren Christinnen und Christen ins Gefängnis oder ermorden sie.

Ganz anders bei uns im Land. Die Menschen wenden sich von Kirche und Religion ab. Das alles hat für sie an Bedeutung verloren, an Relevanz für ihr Leben.

Mehr denn je, sind wir in unserer Gesellschaft mit der Frage der Relevanz von Jesus Christus und seiner Botschaft für unser Leben, unsere Gesellschaft und unsere Politik konfrontiert. Und damit stellt sich die Frage, was uns gegebenenfalls davon abhält, in dieser Welt Farbe zu bekennen, Jesus Christus zu bekennen, unseren Glauben aktiv zu bekennen?

Es ist Advent. Es ist die Zeit der Erwartung. Was erwarten wir von Jesus Christus und was erwartet Jesus Christus von uns?

Wir haben es vor wenigen Minuten gesungen:

O Jesu, Jesu, setze
mir selbst die Fackel bei,
damit was dich ergötze,
mir kund und wissend sei.

Jesus hat uns die Fackel beigesetzt. Jesus Christus ist das Licht der Welt. Wer ihm nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Uns ist kund und wissend, worauf es ankommt:

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Vernunft. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Das Zweite ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängen das ganze Gesetz und die Propheten.

Matthäus 22,37‑40

Wenn wir das konsequent leben, wenn es uns gelingt, das auf die Reihe zu bekommen – und ich sage Euch, das ist nicht so einfach wie es sich anhört. Ihr glaubt nicht, wie oft ich selbst daran scheitere. Aber Jesus Christus fragt nicht, wie oft wir daran scheitern, sondern wie oft es uns gelingt. Lasst es uns in diesen Zeiten gelingen. Lasst uns unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern auf einen Leuchter, damit es alle Welt sehen kann.

Das gilt für jeden und jede von uns. Und das gilt auch für den neuen Kirchenvorstand, den wir heute einführen und verpflichten werden. Eine Welt, in der wir das Licht unseres Glaubens weithin zum Leuchten bringen, wird eine bessere Welt werden.

Lasst die Sehnsucht, die wir als Kinder in dieser Zeit hatten, wieder in uns lebendig werden und diese Zeit zu einer besonderen Zeit werden lassen, zu einer Zeit der Liebe.

Wir leben in der Zeit der Erwartung und diese Zeit erwartet Liebe von uns.

Amen.

Pfarrer Martin Dubberke

Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke

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