Pfr. Martin Dubberke

Wie wär’s mal wieder mit Beichte?

Im Moment können wir im Fernsehen einen Jahresrückblick nach dem anderen sehen. Da gibt es kabarettistische, politische, Society-Rückblicke und ähnlich wie man am Totensonntag im Gottesdienst namentlich der Toten gedenkt, gibt es in diesen Tagen auch den Rückblick auf alle verstorbenen Promis eines Jahres. Im ZDF heißt diese Sendung „Adieu – Menschen, die wir nicht vergessen.“ Und auch das Tagblatt hat für unseren Landkreis ein Sonderheft mit einen 48 Seiten umfassenden Rückblick gemacht.

Und dann ist ja immer auch ganz spannend, wie so die Gewichtung in so einem Rückblick ausschaut, wer oder was es in den Rückblick geschafft hat oder nicht. Wir haben es jedenfalls nicht geschafft, weder der Umbau des Gemeindehauses noch der neue Pfarrer – ach, das bin ja ich – sind hier relevant gewesen. Dafür aber ein Schwarzbau oder die Evakuierung eines Supermarktes oder gar ob gelber Sack oder gelbe Tonne… Was wichtig ist, liegt immer im Auge des Betrachters.

Und damit stellt sich auch schon die Frage, wer oder was es in unseren persönlichen Jahresrückblick schafft oder auch nicht schafft. Machen Sie überhaupt einen Jahresrückblick? Und wenn nicht, warum?

Karl Bonhoeffer – zum Beispiel – hat zeitlebens Silvester einen Jahresrückblick geschrieben. Sprich, er setzte sich Silvester an seinen Schreibtisch und schrieb eine reflektierende Jahreschronik auf. Doch 1918 unterbrach er diese Tradition für ein Jahrzehnt. Was war geschehen? Walter, der zweitälteste Sohn, war im Ersten Weltkrieg gefallen. Ein so einschneidendes Erlebnis, das alles verändert hat, dass jeder Blick zurück schmerzhaft war. Dafür trat aber eine neue Tradition an diese Stelle. Am Heiligen Abend wurde ein Zweig des Weihnachtsbaumes abgeschnitten und die Familie ging dann an das Grab und legte dort den Weihnachtsbaumzweig nieder, so dass Walter immer ein lebendiger Teil der Familie blieb.

Und Sie? Und Ihr? Wie haltet Ihr es, liebe Geschwister, am Jahresende mit der Rückschau? Ich selbst schreibe schon mehr als vierzig Jahre Tagebuch und – weiß Gott seit wann – ziehe ich mich auch um den Altjahrsabend herum an meinen Schreibtisch zurück und schreibe meinen Rückblick. Und der ist dann eher wie ein Gespräch mit dem lieben Gott. Ich erzähle ihm, wie es mir so im zu Ende gehenden Jahr ergangen ist, was mich geprägt, was mich herausgefordert hat, was mir Sorgen bereitet oder auch bereitet hat, wofür ich ihm dankbar bin und natürlich auch das, wo es mir noch schwerfällt, dankbar zu sein. Ich lasse so das Jahr mit ihm gemeinsam Revue passieren – natürlich auch die politischen Dinge, denn es heißt ja auch in der Bibel, dass wir der „Polis“ – also der Stadt – Bestes suchen mögen. Und schaue mir dabei an, wie ich mit meinen Möglichkeiten dazu beigetragen habe und wo ich es, warum nicht getan habe.

Wir haben ja heute bei den Lesungen einen meiner Lieblingstexte gelesen, der aus gutem Grund für heute in der Perikopenordnung steht. Der Prediger Salomo hat uns mal wieder daran erinnert, dass alles seine Zeit, also seine Dauer hat. Was hat begonnen und was ist zu Ende gegangen? Für meinen Teil kann ich das in diesem Jahr besonders gut sagen, schließlich stehe ich heute hier auf der Kanzel nicht mehr in Berlin.

Was ich aber auch interessant finde, ist, dass es allem Anschein keinen religiösen oder spirituellen Jahresrückblick gibt, der das, was geschehen ist, in einen theologischen oder spirituellen Zusammenhang stellt. Würde das geschehen, würde einem sehr schnell klar, dass es bei einem solchen Rückblick, nicht allein um das bloße Aufzählen von Fakten ginge oder solchem, wofür ich dankbar bin, sondern auch darum, wo ich Fehler gemacht habe und vor allem warum? Die Propheten des Alten Testaments sind ja hier hervorragende Vorbilder. Sie ordnen das Geschehene entsprechend ein und es wird deutlich, dass der Grund dafür die Gottvergessenheit oder vielmehr die Gott-Ignoranz war, das Verlassen, des aus gutem Grund vorgeschlagenen Weges Gottes.

Und genau in diesem Moment wird deutlich, dass es sich bei einem Jahresrückblick aus christlicher Sicht auch immer um eine Beichte handeln muss. Martin Luther hat einmal gesagt: „Das Jahr kennt seinen letzten Tag, der Mensch nicht.“ Umso drängender ist es, heute Bilanz zu ziehen, um zu sehen, was ich anderen Menschen gegenüber schuldig geblieben bin, was ich Gott schuldig geblieben bin und dann umzukehren und im neuen Jahr auf den Weg zurückzukehren. Das heißt auch, nicht nur Gott gegenüber zu sagen, wo man auf falschen Wegen gewandelt ist, sondern auch den Menschen gegenüber, die es betrifft oder betroffen hat. Das neue Jahr ist damit nicht der Anfang für eine neue Diät oder das Aufhören mit dem Rauchen, sondern der Moment, seine Beziehungen zu klären. Nicht umsonst – als kleine heitere Anmerkung am Rande – spielt in vielen Liebesfilmen Silvester eine so bedeutende dramaturgische Rolle.

Die Jahreswende ist zugleich auch ein Symbol für die Lebenswende oder den Lebenswandel, die Wandelung des Lebens durch die Beichte, die damit verbundene Reue und Umkehr auf dem Weg in das neue Leben, das neue Miteinander. Und all das wird möglich durch die Gnade Gottes.

Ach so, ehe ich es vergesse: Paulus schreibt in seinem Brief an die Hebräer, Kapitel 13, die Verse 8-9b – zufälligerweise heute auch der Predigttext – im Grunde genommen genau das, was ich Euch heute erzählt habe – nur viel kürzer:

Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.

Und in diesem Sinne sage ich: Amen! So sei es.


Pfr. Martin Dubberke, Predigt am Altjahrsabend 2019 über Hebräer 3, 8-9b, Predigtreihe II, in der Markuskirche Farchant und der Johanneskirche Partenkirchen