Pfr. Martin Dubberke

Das Ende aller Ausgrenzung

Was ist eigentlich Epiphanias? Ist das das eigentliche Weihnachtsfest? Unsere orthodoxen Geschwister feiern ja heute Weihnachten. Also, was feiern wir dann heute? Vielleicht die drei heiligen Könige, deren Gebeine im Kölner Dom aufbewahrt werden? Nein, nicht unbedingt, auch wenn sie heute als die Weisen oder Magier aus dem Morgenland eine wichtige Rolle spielen werden.

„Gewiss ist, dass von jeher vier verschiedene Ereignisse an diesem Tag Gegenstand des Gedenkens waren: die Geburt Christi, die Taufe Christi, die Hochzeit zu Kana und die Ankunft der Magier aus dem Morgenland.“ (Bonhoeffer, 1998, S. 22)

Ich glaube, dass der Predigttext aus dem Brief an die Epheser, Kapitel 3, die Verse 1 bis 7 sehr gut auf den Punkt bringt, worum es heute geht:

1 Deshalb sage ich, Paulus, der Gefangene Christi Jesu für euch Heiden – 2 ihr habt ja gehört von dem Auftrag der Gnade Gottes, die mir für euch gegeben wurde: 3 Durch Offenbarung ist mir das Geheimnis kundgemacht worden, wie ich zuvor aufs Kürzeste geschrieben habe. 4 Daran könnt ihr, wenn ihr’s lest, meine Einsicht in das Geheimnis Christi erkennen. 5 Dies war in früheren Zeiten den Menschenkindern nicht kundgemacht, wie es jetzt offenbart ist seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist; 6 nämlich dass die Heiden Miterben sind und mit zu seinem Leib gehören und Mitgenossen der Verheißung in Christus Jesus sind durch das Evangelium, 7 dessen Diener ich geworden bin durch die Gabe der Gnade Gottes, die mir nach seiner mächtigen Kraft gegeben wurde.

Der Autor des Epheserbriefes legt dem Apostel Paulus hier folgende Worte in den Mund: „Durch Offenbarung ist mir das Geheimnis kundgemacht worden.“ Also, das Fest der Erscheinung des Herrn bedeutet, dass Gott seine Herrlichkeit offenbart. Und wenn er dies tut, bleibt nichts, wie es war. Dann ist es so, wie es der Spruch des Tages aus dem 1. Johannesbrief, Kapitel 2, Vers 8b zum Ausdruck bringt:

„Die Finsternis vergeht
und das wahre Licht scheint schon.“

Aber wieder zurück zum Predigttext, denn wir wollen uns nun anschauen, was genau dem Paulus offenbart worden ist. Der Autor des Epheserbriefes schreibt nämlich:

Daran könnt ihr, wenn ihr’s lest, meine Einsicht in das Geheimnis Christi erkennen. 5 Dies war in früheren Zeiten den Menschenkindern nicht kundgemacht, wie es jetzt offenbart ist seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist; 6 nämlich dass die Heiden Miterben sind und mit zu seinem Leib gehören und Mitgenossen der Verheißung in Christus Jesus sind durch das Evangelium…

In diesen Zeilen liegt echter Sprengstoff: Auch die Heiden sind Miterben und gehören zum Leib Christi. Und mit Heiden sind all die gemeint, die nicht zum jüdischen Kulturkreis gehören, also keine Israeliten sind. Was also damals der Gegensatz von Israeliten und dem Rest der Welt und Menschheit war, ist durch Jesus Christus aufgelöst worden.

Durch Christus wird deutlich, dass die Exklusivität Gottes auf ein einziges Volk bezogen, aufgelöst worden ist und nun uneingeschränkt allen Menschen gilt.

Wenn ich mir diesen Satz aus heutiger Sicht betrachte, gelange ich für mich zu einer interessanten Analogie: Jesus ist nicht nur für das Kirchenvolk da, sondern für alle. Und damit stellt sich die Frage, was das für uns als Kirche im praktischen Vollzug unseres Lebens bedeutet?

Und damit springe ich jetzt mal rasch rüber zum Evangelium für Epiphanias. Hier lesen wir ja bei Matthäus im 2. Kapitel, den Versen 1 bis 3:

1 Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: 2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten. 3 Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem…

Herodes erschrak zu Recht, als er von den Weisen aus dem Morgenland erfuhr, dass es einen neugeborenen König der Juden gab.

Auch heute ist das noch so, auch wenn vielleicht heute niemand mehr in unserem Land Angst vor der Kirche oder den Christinnen und Christen hat. Aber an anderen Orten der Welt sieht das ganz anders aus. Denken wir an die Christen in China oder im Iran oder Nordkorea, das Open Doors zu folge das gefährlichste Land für Christen ist (Open Doors, 2020). Christinnen und Christen wurden nicht nur im alten Rom verfolgt, sondern auch heute noch – mehr als wir das zuweilen glauben oder glauben wollen. Unter der Überschrift „Wenn Christenverfolgung zur „Säuberung“ wird“ hat Matthias Kamann das Thema 2018 in der Welt beleuchtet (Kamann, M. (10. Januar 2018). welt.de. Von Wenn Christenverfolgung zur „Säuberung“ wird). Diese Überschrift löst die Erinnerung an die massenhafte Kindstötung unter Herodes aus.

Christinnen und Christen stehen immer und überall und zuerst unter dem Einfluss des dreieinigen Gottes und nicht unter dem Diktat einer Partei, eines Ismus oder einer wie auch immer gearteten Regierung. Christinnen und Christen sind im Kern ihres Glaubens nämlich genau davon befreit. Durch ihr Handeln will Gott wirken. Dazu gehören auch die unbequemen Fragen, die wir von Jesus gelernt haben. Als Christinnen und Christen stellen wir vor dem Hintergrund unseres Glaubens Verhältnisse, Zustände, politische Entscheidungen und soziale Umstände in Frage. Gefährlich wird es, wenn ich meine Entscheidungen parteipolitisch im Wissen um den Gegensatz zu dem, was mein Glaube fordert, treffe.

Deshalb werden heute in unserem Land Christinnen und Christen auch gerne mal als Glaubensromantiker oder Träumer ohne Realitätssinn disqualifiziert oder – egal wie man zur Flüchtlingsschiff-Initiative unserer Kirche steht – mit Morddrohungen attackiert, so wie wir das gerade bei unserem Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm erleben müssen (Wirsching, 2020).

Christen treffen das Problem im Herz und das hat einen ganz einfachen Grund. Wir sehen die Welt im Lichte von Epiphanias:

„Die Finsternis vergeht
und das wahre Licht scheint schon.“

Und wo Christinnen und Christen disqualifiziert oder verfolgt werden, geschieht das aus der gleichen Motivation heraus wie bei Herodes: Aus der bloßen Angst, die eigene Macht zu verlieren.

Und noch etwas wird aus der Geschichte mit Herodes deutlich: Dass die Mächtigen glauben, sie könnten uns Christinnen und Christen einwickeln, so wie es Herodes mit den Weisen aus dem Morgenland versucht hat. Die aber haben den Braten gerochen und haben Jesus nicht dem Mächtigen ausgeliefert, sondern sind im wahrsten Sinne des Wortes einfach einen anderen Weg gegangen. Und dieser Weg war ein aktives Bekenntnis zu Jesus und ein begründetes Misstrauensvotum Herodes gegenüber. Vor diesem Hintergrund dürfen wir uns ruhig einmal die Barmer Theologische Erklärung von 1934 in Erinnerung rufen, die gegen den Ausverkauf dessen, was christlicher Glaube bedeutet, und die Gleichschaltung der Evangelischen Kirche durch die Nationalsozialisten verfasst wurde und somit zur Gründungsurkunde der Bekennenden Kirche wurde und zu einer der Bekenntnisschriften unserer Kirche.

Epiphanias macht für mich einfach noch einmal deutlich, dass ich mir das Christliche nicht einfach wie ein schmückendes Accessoire um den Hals hängen oder an die Brust heften kann, sondern, dass Christsein mit dem aktiven Bekenntnis zum dreieinigen Gott verbunden ist und dieses Bekenntnis mit einem entsprechenden Handeln verbunden ist. Dietrich Bonhoeffer hat es einmal so gesagt:

„Den Weg zu wissen, auf dem rechten Wege zu sein, erleichtert niemals Verantwortung und Schuld, sondern erschwert sie.“ (Bonhoeffer, 1998, S. 21)

Soviel zum Thema „weltfremde, religiöse Träumer“.

Und so vorbereitet, wende ich mich jetzt wieder dem Predigttext aus dem Epheserbrief zu. Wir erinnern uns? Auch die Heiden sind Miterben und gehören zum Leib Christi. Das ist das Sensationelle für uns Christinnen und Christen: Es gibt kein „Wir hier und Ihr dort.“ Das heißt: Es gibt auch nicht das damit verbundene „Wir sind die Richtigen und die anderen nicht.“ Für Christinnen und Christen schließt sich damit alles Völkische aus. Auch das macht der Autor des Epheserbriefes an dieser Stelle deutlich. Wenn wir also vom „christlichen Abendland“ sprechen, kann das nicht Ausgrenzung bedeuten, sondern nur das Ende aller Ausgrenzung.

Wer anderes damit meint, hat nicht verstanden, was Christsein bedeutet, sondern missbraucht den Namen Gottes.

Uns Christenmenschen ist der andere, der unser Nächster ist, anvertraut. Anders geht es nicht und anders können wir auch nicht.

Das christliche Leben ist ja voll von Symbolen, die wir heute zuweilen selbst nicht immer sofort verstehen. Wenn heute und in diesen Tagen die Sternsinger durch unser Garmisch-Partenkirchen ziehen, ist das nicht einfach christliche Folklore, sondern Ausdruck globaler Zusammengehörigkeit und Verantwortung, was sich auch jeweils im Motto der Sternsingeraktion manifestiert. In diesem Jahr lautet es: „Frieden! Im Libanon und weltweit.“

Die drei Weisen sind Ausdruck der Globalität der Offenbarung Gottes und damit der globalen Zusammengehörigkeit, kommen sie doch der Legende folgend aus den damals bekannten Erdteilen Europa, Asien und Afrika. Mit anderen Worten: Fremde kamen, um Gott selbst zu schauen und Fremde – also Heiden – haben diese Nacht weiterverbreitet. Das darf uns ruhig an die Heilige Nacht erinnern, als mit den Hirten, diejenigen, die auf der geringsten sozialen Stufe der Gesellschaft standen, die ersten waren, die von der Geburt Jesu erfuhren und auch als erste die frohe Botschaft in die Welt trugen. Allen gilt die Offenbarung und Zuwendung Gottes in Jesus.

Epiphanias steht damit auch für das Thema Aufbruch. Die Geburt Jesu, der Aufbruch der Hirten und der Aufbruch der Weisen aus dem Morgenland, machen deutlich, dass mit all dem eine grundlegende Veränderung in unser aller Leben verbunden ist und zwar egal in welcher Schicht und wo immer in der Welt. Die Heilige Nacht und Epiphanias stehen dafür, aus dem Alten und Vertrauten aufzubrechen und mit der neuen Perspektive die Sinnhaftigkeit des Gewesenen und Aktuellen im Licht des Neuen, im Lichte Jesu zu betrachten und zu hinterfragen, ob es nicht gegebenenfalls eher verhindert und dem Wirken der Botschaft im Wege steht.

Im Lichte von Epiphanias wird noch einmal deutlich, dass alle Menschen Gottes Geschöpfe sind. Und damit gehören auch die Heiden dazu oder anders gesprochen: Wir glauben, dass jeder Mensch von Gott geschaffen und gewollt ist. Sprich: Gott macht keinen Unterschied, ob jemand Mitglied der Kirche ist oder nicht, weil er entweder nicht daran glaubt oder einer anderen Religion angehört. Und wenn Gott das nicht tut: Welchen Grund sollten wir dann haben, es ihm nicht gleichzutun?

Das heißt, wir als Christen dürfen nicht schweigen, wenn andere ausgegrenzt werden. Wir dürfen uns als Christinnen und Christen auch nicht daran beteiligen, andere auszugrenzen. Hier die Stimme zu erheben, heißt die Botschaft der Heiligen Nacht auszusprechen:

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. (Lukas 2, 14)

In der Konsequenz des Autors des Epheserbriefes wird sehr deutlich, dass auch wir als Christinnen und Christen keine Vorrangstellung haben, sondern Miterben sind. Miterben zu sein und zu haben, bedeutet, zu teilen, mit anderen gemeinsam Anteil zu haben. Das ist eine sehr emotionale Angelegenheit und wir kennen jeder genug Geschichten von Erbstreitigkeiten, auch und gerade, wenn ein unbekannter Erbe plötzlich auftaucht. Das Wunderbare aber an dem Erbe Jesu Christi ist, dass – egal wie viele unbekannte und fremde Erben hinzukommen – es für alle mehr als reichen wird, mehr als genug.

Dass sich dieses kleine, kaum sichtbare Christentum in der Welt jener Zeit nach dem Tod Christi so durchsetzen konnte, dass seine im Epheserbrief zum Ausdruck kommende Globalität heute eine Normalität ist, liegt wahrscheinlich daran, dass Menschen über die Jahrtausende hinweg, die christlichen Werte und Verhaltensweisen als Ausdruck ihrer eigenen Überzeugung aus dem Glauben heraus inmitten ganz anderer Werte und Verhaltensweisen vorgelebt haben. Das sollte uns zu denken geben, wenn wir heute erleben, dass dieser Glaube für immer weniger Menschen eine Relevanz zu haben scheint.

Epiphanias ist die herzliche Einladung, aufzubrechen und jenem Stern der Heiligen Nacht zu folgen und sich auf diesem Weg die Frage zu stellen, welche Rolle Jesus Christus in meinem Leben und auf meinem Lebensweg gespielt hat und spielt und gegebenenfalls gehört dazu auch die Antwort auf Frage, wann, wo und warum ich diese Orientierung mal verloren haben könnte.

In diesem Sinne: Amen.


Pfr. Martin Dubberke, Predigt über Epheser 3, 1-7 (Predigtreihe II) an Epiphanias, 6. Januar 2020 in der Johanneskirche Partenkirchen