Pfr. Martin Dubberke
Stephansdom mit Werbung | Bild: Martin Dubberke

Wer, wenn nicht wir?

Liebe Geschwister, das mit der Liebe ist ja so eine Sache. Die ist uns in diesem Jahr mit der Jahreslosung gewissermaßen ins Jahrbuch geschrieben worden:

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe

So lautet die Jahreslosung 2024 aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinther. Eine spannende Jahreslosung. Eine zeitgemäße Jahreslosung, die uns mahnt, die uns einlädt, die uns anspornt, das zu tun, wonach sich so viele Millionen Menschen in unserer Welt sehen und worum sie beten.

Das ist eine große Herausforderung. Mancher Mensch wird manchem Menschen eine große Herausforderung im Hinblick auf diese Liebe. Und manches Mal muss man auch über seinen eigenen Schatten springen, wenn einem der andere nicht wirklich sympathisch ist. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Und wir haben vor allem das Große immer wieder im Blick. Was bedeutet die Jahreslosung im Hinblick auf die großen Konflikte, die es in dieser Welt gibt? Was bedeutet es im Umgang mit Menschen, die in unserem Land Schutz suchen? Was bedeutet das im Umgang mit Waffen? Was bedeutet das im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen? Was bedeutet das im Umgang unter uns Christinnen und Christen egal welcher Konfession wir auch seien? Was bedeutet das im Umgang mit der Schöpfung Gottes, deren Teil wir sind? Was bedeutet das für all die Wahlen, die in diesem Jahr anstehen? Werden da die Wählerinnen und Wähler von der Liebe getrieben sein oder vielleicht von etwas ganz anderem, z.B. der geschürten Angst oder einfach der Enttäuschung?

Ich spüre, wie mir manches Mal die Liebe schwerfällt, weil mir meine Vernunft etwas anderes sagt. Und ich glaube, dass genau darin eine große Herausforderung liegt, beides miteinander zusammenzubringen, damit am Ende die Liebe nicht blind macht.

Die Liebe ist das naheliegendste, was es gibt und dennoch können wir sie manchmal nicht fassen, nicht glauben, nicht leben, weil wir mit uns selbst oder mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind und dann die Liebe zu kurz kommt. Und ehrlicherweise muss man ja gestehen, dass dann auch wir selbst zu wenig geliebt werden.

Wir haben es gerade im Evangelium gehört. Da fragt ein Gesetzeslehrer Jesus, was er tun muss, um das ewige Leben zu erhalten.

Jesus – gewitzt wie immer – stellt ihm zwei Gegenfragen:

Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest Du?

Die Frage, was er liest, gefällt mir schon sehr gut. Denn die Frage müssen wir uns ja auch immer wieder stellen, was wir lesen, welche Zeitung wir lesen? Welche Meinung wir annehmen oder übernehmen? Wie wir einen Text oder eine Situation oder das Handeln eines Menschen verstehen…

Aber was steht denn nun im Gesetz, lieber Herr Gesetzeslehrer, müsstest Du das nicht besser wissen als Jesus selbst?

Und natürlich antwortet der Gesetzeslehrer vollkommen korrekt:

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“

Ich glaube und vermute, dass die meisten von uns diese Bibelstelle genauso gut auswendig können, wie dieser Gesetzeslehrer. Aber, und das ist nun die entscheidende Frage: Beherzigen wir das auch im wahren und wirklichen und richtigen Leben?

Ich persönlich glaube, dass wir oft glauben, dass das nicht funktioniert, weil wir der Liebe nicht so wirklich über den Weg trauen. Wir haben ja alle in unserem Leben so unsere Erfahrungen mit der Liebe gemacht. Wir haben entweder selbst enttäuscht, weil wir uns plötzlich in jemand anders verliebt haben und fremd gegangen sind oder weil wir selbst durch jemanden enttäuscht worden sind, den wir geliebt haben.

Jeder von uns ist auf seine Weise ein gebranntes Kind der Liebe.

Und was sagt nun Jesus zu dem Gesetzeslehrer, als er ihm die richtige Antwort gegeben hat, nämlich das doppelte Gebot der Liebe?

Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.

Und dann tat der Gesetzeslehrer das, was wir auch gerne tun, nämlich sich zu rechtfertigen. Denn die Antwort auf die Frage, wer mein Nächster ist, ist nicht so einfach wie es auf den ersten Blick scheint. Manchmal ist mir mein nächster Nachbar ja weiter entfernt, als der Staub auf dem Mond. Hört Euch nur auf der Straße um, wenn Ihr auf den Markt geht und manchen Gesprächsfetzen mithört, während Ihr beim Käsehändler ansteht. Was man da so alles hören kann:

„Hör mir auf mit diesen ganzen Flüchtlingen. Ich kann es nicht mehr ertragen. Die sollte man alle in die Arbeit schicken!“

Oder:

„Also das mit dem Bürgergeld! Hör mir damit auf. Da lohnt sich doch das Arbeiten kaum mehr. Ich geh arbeiten und bezahle die alle. Die leben auf meine Kosten.“

Und das sind nur zwei Gesprächsfetzen von vielen, die ich höre. Ist denn nun der Flüchtling mein Nächster? Ist der Bürgergeldempfänger mein Nächster? Wer ist denn nun mein Nächster? Vielleicht der, mit dem ich die gleiche Meinung teile?

Und so fragt der Gesetzeslehrer Jesus, wer denn sein Nächster sei.

Tja, und wie es so Jesu Art ist, antwortet er mit einer Geschichte: Da ist ein Mann unterwegs, der unter die Räuber gefallen ist. Zusammengeschlagen, ausgeraubt, blutüberströmt, dem Tode nahe. Und die Menschen gehen an ihm vorüber. Sie gehen an ihm vorüber, weil sie blind sind, weil sie keinen Bock haben, sich an so einem blutigen Menschen schmutzig zu machen, weil sie glauben, dass das nur eine Falle ist und sie dann selbst überfallen werden. Das würde jetzt bei uns in Garmisch-Partenkirchen wohl weniger passieren, aber in so einer Stadt wie Berlin, wo ich herkomme, kann das vorkommen und kommt es auch vor. Da hat sich seit Jesu Zeiten nichts geändert.

Die Brisanz bei dieser Geschichte ist aber die, dass es ein Priester ist, der die Straße entlangkommt und einfach weitergeht. Wie ist es um seine Glaubwürdigkeit bestellt? Wie ist das, wenn wir Pfarrer die Liebe predigen aber ganz anders handeln? – Ich meine, wir sind auch nur Menschen. Aber wenn wir das tun, leidet die Glaubwürdigkeit der ganzen Kirche. Schauen wir, was geschehen wird, nachdem nun auch endlich die Evangelische Kirche und Diakonie eine Missbrauchsstudie vorgestellt hat.

Aber schauen wir, wie die Geschichte, die Jesus erzählt, weitergeht. Nachdem der Priester seines Weges gezogen war, kam ein Levit die Straße entlang. Wieder flammte in dem zusammengeschlagenen, halbtoten Mann die Hoffnung auf, dass nun seine Rettung nahen würde, aber auch der Levit ließ den Mann in seiner Blutlache liegen.

Schließlich kommt ein Samariter die Straße entlang und der bleibt stehen. Er macht eine Erstversorgung, hebt den Verletzten auf sein Tier und bringt ihn zur nächsten Herberge, wo der Mann richtig versorgt werden kann. Und der Samariter bezahlt auch dafür, dass der Mann in der Herberge bleiben kann, um wieder zu Kräften zu kommen.

Die Antwort, wer mein Nächster ist, liegt also überraschend nah, wenn uns Jesus mal wieder fragen sollten, wer uns denn der Nächste sei.

Und – mal so ganz nebenbei gesagt – die Geschichte vom Barmherzigen Samariter passt wunderbar, wenn Ihr das nächste Mal auf dem Markt oder in der Gemeinde so komische Sätze hört, wer nicht der Nächste sein kann oder gar soll.

Und wenn wir dann so hören und lesen, dass es Menschen gibt, die von Remigration reden oder diese fordern, dann wissen wir, dann kennen wir auch die Antwort auf die Frage Jesu: Wer den nun der Nächste sei.

Ich habe heute in der Mittagszeit mit meiner Frau, einer lieben Freundin – nebenbei gesagt – beide Frauen sind katholisch, zusammengesessen und wir haben uns Gedanken darüber gemacht, wie wir in diesem Jahr mit dem Weltgebetstag umgehen werden, der von Christinnen in Palästina vorbereitet worden ist. Und dann kamen wir über unsere Konfessionen ins Gespräch und stellten mal wieder gemeinsam fest, dass doch alle miteinander fröhlich zusammengehören.

Die Einheit der Christinnen und Christen ist in einer Zeit und Welt, in der es so viel Uneinheit, so viel Trennung, so viel Gewalt, Mord und Todschlag gibt, wichtiger denn je, weil wir gemeinsam nicht nur Liebe predigen können, sondern auch in der Gesamtheit der Christenheit Liebe üben und leben können, damit auch der letzte Kriegstreiber es endlich kapiert, dass die Liebe Gottes das Einzige ist, was mehr wird, wenn man es miteinander teilt. Die Liebe ist stärker als das Böse. Die Liebe verbindet Menschen und Völker. Die Liebe verbindet auch die Menschen mit der Schöpfung. Gemeinsam finden wir die Stärke dem Nächstenhass durch Nächstenliebe die Stirn zu bieten.

Ich wünsche Euch allen von Herzen ein gesegnetes neues Jahr, ein Jahr, in dem die Liebe in Euch und durch Euch wirken möge. Und diese Liebe kann möglich werden, weil wir alle von einem und dem gleichen geliebt werden: Vom dreieinigen Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Lasst uns einfach die Liebe geschehen.

Amen.

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt im Gottesdienst zur Woche der Einheit der Christinnen und Christen am 25. Januar 2024 in der FEG Garmisch-Partenkirchen über Lukas 10,25-37

Pfr. Martin Dubberke

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