Pfr. Martin Dubberke
Johanneskirche - Zeit zu beten | Bild: Martin Dubberke

Wir wollen uns gerne wagen

Liebe Geschwister, wir gehen als Kirchengemeinde und als Kirche keinen einfachen Zeiten entgegen. Der liebe Gott möchte, dass wir uns auf den Weg machen. Nicht auf den Weg raus aus der Kirche, sondern auf den Weg in die Welt, um den Menschen das Evangelium nahe zu bringen, sie das Evangelium zu lehren und vor allem, sie zu lehren, das zu halten, was Jesus uns befohlen hat.  Wir haben es ja gerade erst als Lesung des Evangeliums gehört:

Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.

Matthäus 28,19-20

Wie anders sieht unsere Situation aus? Die Menschen treten aus der Kirche aus. Sie wenden sich von der Kirche ab, weil sie mit ihr nichts mehr anfangen können. Sie gehen nicht nur zur Kirche auf Distanz, sondern können auch mit der Religion nichts mehr anfangen. Die aktuelle Kirchenmitgliedschaftsstudie hat es deutlich herausgearbeitet. Und das ist ein Problem, das im wahrsten Sinne des Wortes ökumenisch ist.

In unserem Land sind mittlerweile weniger als die Hälfte aller Menschen noch Mitglied einer der beiden großen Kirchen. Doch groß sind wir immer noch, weil sich uns noch immer mehr Menschen verbunden fühlen als den Parteien oder den Fußballvereinen in unserem Land. Aber es ist natürlich ein Problem. Je weniger Menschen in unseren Kirchen sind, desto weniger Kirchensteuern gibt, desto weniger Geld kommt in den Gemeinden an. Desto weniger Pfarrerinnen und Pfarrer gibt, desto mehr Kirchen werden geschlossen oder zu großen Einheiten fusioniert, weil es gar nicht mehr anders geht.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich damals als junger Theologiestudent beim persönlichen Referenten meines Bischofs gesessen habe, weil ich den Antrag zu Aufnahme auf die Landesliste der Berliner Theologiestudenten gestellt hatte. Der Platz auf dieser Liste war die Voraussetzung, um später in den kirchlichen Dienst eintreten zu können. Dieser Referent hieß Zipser. Und Herr Zipser fragte mich, ob ich wirklich Pfarrer werden wolle, weil man mich doch, wenn ich einmal mit dem Studium und dem Vikariat fertig sein würde, nicht mehr brauchen würde. Innerlich zeigte ich ihm damals einen Vogel und sagte, dass ich von meinem Wunsch, Pfarrer zu werden nicht ablassen würde.

Pfr. Zipser sollte aber Recht behalten. Als ich mit meinem Vikariat fertig war, brauchte uns die Kirche damals nicht mehr und schickte uns in die Arbeitslosigkeit, so auch mich. Und so nahm mein Leben eine ganz andere Wende, eine ganz andere Spur auf, als ich es mir einst gedacht hatte. Ich wollte doch nur ein einfacher Gemeindepfarrer werden und mein ganzes Berufsleben in einer Gemeinde bleiben, die Menschen über Generationen hinweg begleiten. Aber meine Kirche sah das anders und heute kann ich sagen, dass der liebe Gott das anders gesehen hat. Er hatte mit mir etwas anderes vor.

Er schickte mich auf einen ganz anderen, als von mir geplanten Lebensweg. Und ich sage es Euch ehrlich: Mir war damals zum Heulen und Zähneklappern. Ich hatte doch nur Predigen gelernt. Wovon sollte ich leben? Und das Arbeitsamt glaubte, dass wir die Kollekte geklaut hätten oder andere schlimme Dinge getan hätten, weil man doch sonst nicht als Kirchenbeamter entlassen würde. Wir waren damals in Berlin der erste Jahrgang, der zum Arbeitsamt geschickt wurde.

Und so konfrontierte mich der liebe Gott knallhart mit der Realität, mit der Realität, die damals viele Menschen in unserem Lande kannten, denn es war noch lange, bevor wir das Wort Fachkräftemangel kennenlernten.

Es gab eine Zeit, in der ich nicht wusste, wie ich meine Miete bezahlen soll, ob das Geld noch bis zum Monatsende reichen würde und vor allem, wie meine Zukunft aussehen sollte, womit ich mein Geld verdienen könnte. Ich fing an, mich auf alle möglichen Stellen zu bewerben. Aber wer brauchte damals schon einen Theologen? Was sollte man mit einem ausgebildeten Pfarrer anfangen?

Von mir war Kreativität gefordert, aber auch Flexibilität. Stillstand wäre mein Untergang gewesen. Gott hatte mich eingeladen, dem neuen Weg zu trauen. Und ganz ehrlich, mir wurde mehr und mehr bewusst, dass Gott mich prüfen wollte. Er wollte von mir wissen, wie ernst ich das mit dem Pfarrer meinen würde, ob ich durchhalten würde. Denn ich war mir innerlich immer sicher, dass ich eines Tages Pfarrer sein würde. Ich trug in meinem tiefsten Innern immer die Gewissheit, dass ich einmal Pfarrer sein würde.

Und so schickte mich Gott auf eine lange Reise, die mehr als ein viertel Jahrhundert dauerte, bis ich endlich Gemeindepfarrer werden durfte. Und mir wurde mehr und mehr deutlich, dass Gott einen Plan mit mir hatte. Ich sollte lernen, mich in dieser Welt da draußen, in die uns Jesus zum Lehren und Taufen geschickt hatte, zu behaupten.

Der liebe Gott, wollte mich mit der totalen Realität unserer Kirche konfrontieren und damit mit der absoluten Realität unserer Welt. Er wollte, dass ich lerne, mich in dieser Welt zu behaupten, als Christ zu behaupten, meinen Glauben zu leben und über meinen Glauben zu reden, meinen Glauben zum Selbstverständlichsten werden zu lassen, was es gibt.

Und ich rede gerne über meinen Glauben, über unseren Glauben. Gott hat mir gezeigt, dass ich die Amtskirche nicht brauche, um über den Glauben zu sprechen, mit anderen Menschen über meinen Glauben zu sprechen. Gott hat mir gezeigt, dass ich keine Kirchengebäude brauche, um mit Menschen meinen Glauben zu teilen, sie zu lehren, was mir der Glaube bedeutet, ihnen nahezubringen, wie Glaube die Welt verändern kann.

Und ich bin zutiefst dankbar dafür, dass mich Gott auf diesen Weg geschickt hat, der mich schließlich hierher zu Euch nach Garmisch-Partenkirchen geführt hat, um Euer Pfarrer zu sein.

Und so, wie mich Gott vor drei Jahrzehnten auf den Weg geschickt hat, so schickt er uns alle heute auf den Weg. Er will wissen, wie ernst es uns mit dem Glauben und der Kirche ist.

Er stellt uns die Frage, ob wir auf dem gewohnten Weg bleiben wollen, oder ob wir glaubensmutig sind und neue Wege wagen. Er stellt uns die Vertrauensfrage, ob wir ihm vertrauen, aufzubrechen. So wie einst das murrende israelische Volk nicht aus Ägypten aufbrechen wollte und dann doch loszog, aber immer wieder an ihren inneren und äußeren Widerständen zu scheitern drohte. Nicht umsonst war der Weg in das nahegelegene Israel so lang und weit.

Wir haben uns sehr gut eingerichtet in unserem Leben, in unserem Gemeindeleben und doch haben sich viele von uns noch nicht daran gewöhnt, dass es nicht mehr wie früher ist und wie früher sein kann. Aber wir dürfen neben der Nächstenliebe von Jesus noch etwas lernen: Nachfolge. Erinnert Euch nur daran, wie das mit den ersten Jüngern war. Die gingen alle ihren Jobs nach und Jesus sprach einen nach dem anderen von ihnen an und lud sie ein, sich ihm anzuschließen und ihm zu folgen.

Jesus ist nicht gekommen, damit wir bequem in den uns so lieb gewordenen Verhältnissen und Strukturen leben, sondern Jesus ist gekommen, damit wir aufbrechen. Jesus hat seine Jünger dem gewohnten Trott entrissen. Er hat sie von ihrem Alltagstrott befreit und sie haben sich auf eine ganz spannende Reise mit ihm begeben. Hätten sie das nicht getan, würden wir heute nicht hier an diesem Ort zusammenkommen, um unseren gemeinsamen Glauben zu bekennen, sein Evangelium zu hören und unsere Herzen entzünden und brennen zu lassen.

Und genau in dieser Situation befinden wir uns heute wieder. Gott will, dass wir aus dem gewohnten Trott ausbrechen und das Evangelium da draußen in der Welt wirken zu lassen. Und wie notwendig das ist, sehen wir am Zustand unserer Welt, den Kriegen und Katastrophen und nicht zuletzt an den leeren Kirchenbänken. Nur gemeinsam können wir das ändern. Wir müssen uns gemeinsam auf diesen Weg machen. Jesus ist diesen Weg ja auch nicht alleine gegangen, sondern er hat sich zwölf Menschen gesucht, die ihn auf diesem Weg begleitet haben, damit sie lernen, damit sie ihm nachfolgen, damit sie Multiplikatoren werden. Deshalb hat er sie auch in die Welt gesandt, damit sie das Evangelium lehren, damit sie taufen, damit sie lehren das Evangelium zu halten. Und wie wenig das, was Jesus uns gelehrt hat, heute gehalten wird, das sehen und erleben wir jeden Tag.

Nikolaus von Zinzendorf hat ein wunderbares Lied gedichtet:

Wir wollen uns gerne wagen,
in unsern Tagen,
der Ruhe abzusagen,
die’s Tun vergisst.

Gott will, dass wir der Ruhe absagen. Immer wieder bin ich darüber begeistert, was im Ersten Petrusbrief steht:

Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.

1. Petrus 2,5

Es geht nicht um Gebäude, sondern es geht darum, dass jede und jeder von uns ein lebendiger Stein in einer lebendigen Kirche ist. Wir gemeinsam bilden diese Kirche. Wir gemeinsam sind Kirche. Wir gemeinsam leben Kirche.

Das Wort »Kirche« leitet sich vom griechischen Wort »kyriake« ab. Und das hat nichts mit einem Kirchengebäude zu tun, sondern bedeutet »dem Herrn gehörig«. Es lässt sich also von Kirche nur im Sinne der Gemeinde sprechen, die »kyriake« ist. Der Raum hat also seine Bedeutung nur von der sich darin treffenden Gemeinde her.

Ich weiß, dass vor uns ein schwieriger Weg liegt. Aber ich vertraue Gott bei alledem. Ich glaube ganz fest aus der Erfahrung meines Lebens mit Gott an meiner Seite, dass es sich lohnt, aufzubrechen.

Und Ihr kennt ja mein Lieblingszitat von Dietrich Bonhoeffer:

Ein schwerer, verhängnisvoller Irrtum ist es, wenn man Religion mit Gefühlsduselei verwechselt. Religion ist Arbeit. Und vielleicht die schwerste und gewiß die heiligste Arbeit, die ein Mensch tun kann.

Dietrich Bonhoeffer – Barcelona, Berlin, Amerika 1928-1931, DBW Band 10, Seite 484

In diesem Sinne und in dieser Gewissheit, sage ich aus tiefstem Innern heraus: Amen.

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias in der Johanneskirche zu Partenkirchen, am 21. Januar 2024 mit anschließender Gemeindeversammlung

Pfr. Martin Dubberke

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