Pfr. Martin Dubberke
Not. Name. Neuanfang. | Bild: Martin Dubberke unter Verwendung von KI

Not. Name. Neuanfang

Liebe Geschwister, unsere Not ist groß. Die Welt, in der wir leben, kommt nicht zur Ruhe. Der Enkel eines bayerischen Auswanderes in den Vereinigten Staaten versetzt uns mit täglich anderen Haltungen und Positionen also seiner Volatilität in gefährliche Unruhe. Und auf der anderen Seite ist ein ehemaliger KGB-Offizier, der sich von all dem so gar nicht beeindrucken lässt. Und dazwischen sitzen wir als Europa und als Deutschland. Ein lebensgefährliches Sandwich, mit vielen wenig schmackhaften Beilagen.

Ich könnte jetzt natürlich alle anderen Nöte noch aufzählen und beschreiben, aber ich weiß ja nicht, wie viel Zeit Ihr mitgebracht habt, weil wir dann sicherlich noch bis morgen oder übermorgen noch hier säßen. Also lasst mich bei diesem einen Beispiel bleiben. Es reicht aus, um alles, wirklich alles zu illustrieren.

Und was können wir in unserer Not heute am 12. Sonntag nach Trinitatis lernen, als tröstende und mutmachende Botschaft mit nach Hause nehmen?

Es sind natürlich auch heute wieder drei Dimensionen, drei Blickwinkel, die wir wahrnehmen dürfen:

Not. Name. Neuanfang.

Not.

Beginnen wir also mit der Not. Alle biblischen Geschichten dieses Sonntags schildern uns Nöte und wie diese Nöte ein Ende gefunden haben.

Der Psalm 147, den wir heute miteinander gebetet haben, ist die Ausdruck des Lobes Gottes und der totalen Zuversicht, dass auch die – seid’s mir nicht böse – beschissenste Zeit, die man sich vorstellen kann, in der Menschen durch Krieg und Not in alle Welt verstreut werden, ein Ende haben wird und Gott alle einsammeln wird. Eine Zeit, in der Gott alle Wunden verbinden wird und alle die zerbrochenen Herzens sind, heilen wird. Gott wird die Elenden aufrichten und die Frevler zu Boden stoßen.

Niemand steht nämlich über der Größe und Kraft und vor allem Weisheit Gottes. Ob Menschen wie jener Enkel und jener Ex-KGB-Offizier auch nur den blassesten Schimmer davon haben, was das letzten Endes für sie bedeuten kann?

Psalm 147 gehört zu den Psalmen, die nach dem Babylonischen Exil entstanden sind. Also nachdem das Volk Israel um 538 v. Chr. wieder aus der Gefangenschaft zurückkehren durfte.

Dieser Psalm ist ein starker und stärkender Beweis des Wirken Gottes in der Geschichte. Warum sollte Gott das heute nicht wieder tun?

Aber vielleicht ist hier erst einmal eine Antwort auf die Frage, warum Gott dieses Desaster, diese Katastrophe nicht verhindert hat, interessant? Was war seine Intention, diese Katastrophe nicht zu verhindern?

Darauf gibt es eine ganz einfache und vielleicht auch ersteinmal erschreckende Antwort, die uns auch heute wieder den Spiegel vor Augen hält?

Das Volk Israel hatte sich immer und immer wieder von Gott abgewandt und nicht nur das, sondern sie hatten sich zu allem Überdruss auch noch anderen Göttern zugewandt.  So wie wir uns dem Gott der Selbstverständlichkeit und damit bequemen Verantwortungslosigkeit des „es geht immer weiter so“ zugewandt haben und so unseren Glauben und die damit verbundenen Werte haben schleifen lassen, soweit, dass der Glaube und damit auch die Kirche in dieser Welt, uns unserer europäischen und deutschen Welt kaum noch eine Rolle spielt, was andere – auch politische Gruppierungen – nutzen, um diesen Rest auch noch aus unserem Leben zu vertreiben und zu verbannen, um ihre eigene Deutungshoheit durchzusetzen und damit auch ihre eigenen Spielregeln zu definieren.

Das Volk hat damals Gottes Gebote missachtet. Und Gott hat sein Volk immer wieder durch seine Propheten gewarnt. Aber seine Warnungen wurden ignoriert. Sie wurden in den Wind geschossen. Eben wie ein Kind, das den Eltern erst dann glaubt, dass man sich an einer heißen Herdplatte die Finger verbrennen kann, wenn man sich die Finger an ihr verbrannt hat. Und so haben wie wir nichts aus 2014 gelernt, als ein ehemaliger KGB-Offizier die Krim annektiert hat. So wie wir auch nichts aus Corona gelernt haben.

Gottes Intention, sein Volk 70 Jahre lang ins Exil zu schicken, liegt also auf der Hand.  Es geht ihm um Erziehung und Umkehr. Das Babylonische Exil war eine Konsequenz, die sich aus der Abkehr von Gott ergab. Und zugleich war es auch eine Chance zur Umkehr, denn Gott wollte sein Volk nicht loswerden, sondern wiederhaben, weil er es so unsagbar liebt.

Das Exil sollte das Volk mit den Konsequenzen ihrer Abkehr von Gott konfrontieren und erkennen lassen, dass nicht Gott an ihrem Leiden schuld ist, sondern sie selbst, weil sie glaubten, ohne diesen Gott besser zu leben. Sie sollten erkennen, dass Gott es mit ihnen gut meint. Natürlich wäre es Gott ein Leichtes gewesen, das alles zu verhindern, aber zur von Gott gegebenen Freiheit gehört es auch, zu akzeptieren, dass des Menschen Wille sein Himmelreich ist, und zwar mit allen Konsequenzen.

Wir haben von 1945 bis 2014 weitestgehend im Frieden gelebt, also rund siebzig Jahre im Guten gelebt. Aber was haben wir daraus gelernt?

Lasst uns über einen Mann reden, der viel Not über die Christinnen und Christen gebracht hat: Saulus, den wir heute als Paulus kennen. Der Mann war ein Christenfresser und Christenhasser. Er hat sie verfolgt und aufgespürt, wo er nur konnte und sie gefesselt nach Jerusalem geführt, foltern und auch zum Tode verurteilen lassen. Was ist passiert, dass aus Saulus dieser Paulus geworden ist, der der schließlich der berühmteste und wichtigste Verbreiter des Christentums wurde, der überall in der alten Welt neue Gemeinden gründete und selbst oft genug wegen seines Glaubens eingesperrt und gefoltert wurde und später wahrscheinlich während der Christenverfolgung unter Kaiser Nero in Rom als Märtyrer starb?

Was lässt uns zuweilen die Augen vor dem, was um uns herum geschieht, verschließen? Vor welcher Not verschließen wir die Augen? Was lässt uns nicht mehr hinhören und taubwerden? Was nimmt uns die Stimme und lässt uns stumm werden, wo wir eigentlich laut und kräftig reden müssten?

Das ist die Frage, die uns das Evangelium heute stellt. Welche Nöte wollen wir nicht mehr hören? Und welche Not wollen wir wegschweigen?

Und vor allem: Warum tun wir das immer wieder? Weil wir uns ohnmächtig fühlen? Weil wir uns unfähig fühlen? Weil uns das Hinsehen, Hinhören und das An- und Aussprechen in noch größere Not bringen könnte?

Im Evangelium begegnet heute Jesus einem Menschen, der taub ist und kaum sprechen kann. Diese doppelte Not ist mehr als eine körperliche Einschränkung – sie steht sinnbildlich für: nicht hören können, was andere sagen, und nicht sagen können, was einen selbst bewegt. Isolation, Sprachlosigkeit, Ausgeschlossensein.

Auch wir kennen diese Not: wenn Worte nicht mehr durchdringen, wenn Menschen aneinander vorbeireden, wenn Einsamkeit und Sprachlosigkeit das Leben bestimmen.

Und damit komme ich zur Not des gelähmten Mannes in unserem Predigttext. Dieser Mann war von Geburt an gelähmt. Wer damals gelähmt war, konnte kein Handwerk, keinen Beruf lernen, konnte nicht für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Einen Sozialstaat, wie wir ihn heute kennen, gab es damals nicht. Wollte er überleben, musste er um Almosen bitten. Glücklicherweise hatte er Bekannte und Freunde, die ihn Tag für Tag zum Schönen Tor am Tempel brachten, wo er um Almosen betteln konnte. Das Betteln war gewissermaßen die einzige berufliche Tätigkeit, die er ausüben konnte, um das LebensNOTwendige zu erhalten.

Wie sieht es denn mit unseren Lähmungen aus? Wo fühlen wir uns selbst gelähmt? Wo glauben wir wie der Gelähmte, unsere Lähmung nie überwinden zu können, weil wir nicht die Kraft haben, aufzustehen? Wo können wir nicht standhalten, weil unsere Füße und Knöchel wie bei dem Gelähmten nicht fest sind?

Name.

Und damit komme ich nun zur zweiten Dimension, dem Namen.

HERR, so übersetzt Luther den Namen Gottes, mit dem sich Gott einst Mose offenbart hat, als er zu ihm sprach:

„Ich werde sein, der ich sein werde.“
2. Mose 3,14

Und mit „Lobet den HERRN“ – also einem Halleluja beginnt der Psalm 147. Wer Gott lobt, ist zu Gott zurückgekehrt. Wer Gott lobt, hat Gottes Wirken in dieser Welt wiederentdeckt.  Und so sind alle NOTwendenden Momente im Psalm mit dem Namen Gottes verbunden:

  • Der HERR baut Jerusalem wieder auf.
  • Der HERR bringt die Verstreuten Israels zusammen.
  • Der HERR heilt die zerbrochenen Herzens sind.
  • Der HERR verbindet ihre Wunden.
  • Der HERR zählt die Sterne und nennt sie mit Namen.
  • Der HERR ist groß.
  • Der HERR ist von großer Kraft.
  • Der HERR ist unermesslich in seiner Weisheit.
  • Der HERR richtet die Elenden auf.
  • Der HERR stößt die Frevler zu Boden.
  • Der HERR hat Gefallen an denen, die ihn fürchten.
  • Der HERR hat Gefallen an denen, die auf seine Güte Hoffen.

Mit anderen Worten: All das ist mit nur einem einzigen Namen verbunden, mit dem Namen Gottes, der das alles möglich machen kann, der über diese Fähigkeiten verfügt, mit dem das Heil in die Welt kommt und die Frevler zu Boden gehen lässt, ihnen jede Macht nimmt, so dass keine Gefahr mehr von ihnen ausgeht. Und weil das so ist, sollte man sich an ihn halten. Und das Volk Israel hat genau das 538 vor Christus erlebt.

Und wie war das bei Saulus? Der steht auf einmal in einem hellen Licht, das vom Himmel kommt, so dass er auf den Boden fällt, weil er nicht weiß, wie ihm geschieht. Und dann hört er in diesem Licht eine Stimme, die ihn fragt, warum er den Träger dieser Stimme verfolgt.

Paulus erkennt sofort, dass er mit jemandem zu tun hat, der über ihm steht und fragt: „Herr, wer bist Du?“ Und da antwortet die Stimme: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Die Stimme hat nun einen Namen. Und Jesus sagt zu ihm, dass er aufstehen soll und in die Stadt Damaskus gehen solle, wo man ihm sagen würde, was er tun soll. Saulus richtet sich nun auf, aber kann nichts mehr sehen. Seine Blindheit endet nach drei Tagen, aber nicht einfach so, sondern als ihm Hananias die Hände auflegt und zu ihm spricht: „Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest.“

Die Heilung Sauls geschieht im Namen Jesu Christi und nicht nur das: Saul wird auch mit dem Heiligen Geist erfüllt. Kaum, dass Saul wieder sehen kann, lässt er sich taufen und bekennt sich damit zu dem, der den Namen Jesus Christus trägt.

Die Heilung des Mannes, der taub und sprachgestört war, macht deutlich: Jesus heilt nicht durch eine große Inszenierung, sondern durch Berührung und ein einziges Wort: „Effata – Tu dich auf!“ Dieses Wort wird im Evangelium überliefert, als bleibendes Zeichen der Kraft, die im Namen Jesu wirkt.

Während in der Apostelgeschichte die Heilung im Namen Jesu Christi geschieht, ist es bei Markus die unmittelbare Nähe Jesu selbst, sein persönliches Wort, das die Ohren öffnet und die Zunge löst.

Der Name Jesu steht für Gegenwart, Nähe, Zuwendung. Er ist mehr als eine Formel – er ist die Zusage: Da ist einer, der dich ansieht, dich anrührt, dich befreit. Also wieder einmal ein Dreischritt.

Und wie sieht es mit dem Gelähmten in unserem Predigttext aus? Was sagt Petrus zu dem gelähmten Mann?

Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! 7 Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, 8 er sprang auf, konnte stehen und gehen…

Apostelgeschichte 3,6-8a

Die Heilung des Gelähmten geschieht im Namen Jesu Christi. Was gäbe unsere Bundesgesundheitsministerin wohl darum, wenn alle Kranken in unserem Land so einfach geheilt werden könnten. Wir bräuchten keine Krankenhäuser und Kliniken mehr, wo uns dafür – wie wir ja an unserem eigenen Klinikum sehen – das Bilder und Gold fehlt. Aber Spaß beiseite. Petrus handelt, wie auch Hananias, im Namen und damit Auftrag Jesu Christi. Und was ist die Folge daraus?

Neuanfang.

Genau! Es erwächst daraus ein radikaler Neuanfang. Aller Neuanfang ist für uns mit dem Namen Gottes, dem Namen Jesu Christi und dem Heiligen Geist verbunden.

Manche brauchen – wie einst das Volk Israel – siebzig Jahre Exil, um zu erkennen, dass es ohne diesen Gott nicht geht. Eine Erkenntnis die mit der Rückkehr in die Heimat verbunden ist und mit dem Lob des Namens Gottes.

Und Paulus brauchte das sprichwörtlich gewordene Damaskus-Erlebnis, die persönliche Begegnung mit Jesus Christus und drei Tage des Fastens, um zu erkennen, dass er einen Irrweg gegangen ist. Jesus Christus hat ihm die Augen geöffnet, so dass er nun den richtigen Weg gehen konnte.

Und wie sah es bei dem Mann aus, der taub war und nicht sprechen konnte? Jesus öffnete ihm die Ohren und löste die Fessel seiner Zunge. Nach der Heilung beginnt für den Mann ein neues Leben: der Mann hört, er kann sprechen, er tritt neu in Beziehung zu seiner Umwelt.

Es ist ein echter Neuanfang – nicht nur körperlich, sondern existenziell. Das Leben ist nicht mehr von Not bestimmt, sondern von Beziehung, Kommunikation, Teilhabe – also drei zentralen Dimensionen unseres Seins.

Auch für die Umstehenden ist es ein Neuanfang: sie geraten ins Staunen, sie spüren die schöpferische Kraft Gottes mitten unter ihnen.

Und wie schaut der Neuanfang für den Gelähmten aus? Er ging mit Petrus und Johannes in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.

Und was bedeutet das nun für uns?

Liebe Geschwister, was heißt das nun für uns, hier und heute, am 12. Sonntag nach Trinitatis im Jahre 2025 nach Christus? Wir brauchen auch heute dieses eine Wort: Effata – tu dich auf!

Wir brauchen es, weil wir so oft in unserer Not gefangen sind, weil wir sprachlos und handlungsunfähig geworden sind, weil wir uns gelähmt fühlen von den täglichen Schreckensmeldungen und Herausforderungen.

Doch der Neuanfang geschieht nicht erst in der großen Politik, nicht erst auf den Weltbühnen, wo die Mächtigen ihre Spiele treiben. Der Neuanfang beginnt viel kleiner – und zugleich viel größer: Er beginnt im Namen Jesu Christi.

Im Namen Jesu Christi einander zuhören, wo sonst nur noch Parolen und Schlagworte regieren.

Im Namen Jesu Christi die Stimme erheben, wo andere übersehen, überhört, an den Rand gedrängt werden.

Im Namen Jesu Christi die drei wesentlichen Schritte tun – Schritte der Versöhnung, Schritte des Mutes, Schritte der Hoffnung.

Das ist kein Traum. Das ist kein ferner Wunsch. Das ist Auftrag. Das ist Zusage. Das ist Wirklichkeit, wo wir uns auf den Namen Jesu Christi verlassen.

Und deshalb gilt: Jeder Neuanfang hat einen Namen. Und dieser Name ist Jesus Christus.

Lasst uns also in seinem Namen aufstehen – und neu anfangen.

Heute. Hier. Jetzt.

Amen.

Pfr. Martin Dubberke

Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke

Predigt am 12. Sonntag nach Trinitatis in der Markuskirche zu Farchant & Johanneskirche zu Partenkirchen am 7. September 2025, Perikopenreihe I, Apostelgeschichte 3,1-10

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