Liebe Geschwister, das mit der Liebe ist schon nicht so einfach, oder? Lasst uns heute doch mal ehrlich sein! Gibt es jemanden unter uns, der wirklich alle Menschen liebt? – Also, wer unter uns liebt z.B. Putin? Naja, ich will es Euch mal nicht ganz so einfach machen. Wie schaut es mit all den Flüchtlingen aus, die so zu uns ins Land, in unseren Ort kommen? Dieser Tage – so erzählte es mir jemand – sollen drei Reisebusse vor der Erstaufnahme in der Villa Nova gestanden haben. Wie schaut es mit all den Bürgergeldempfängerinnen und -empfängern aus? Wie schaut es mit unserer Ampelkoalition aus? Wer liebt den Mann, der seine Frau schlägt? Wer liebt den Missbraucher? Ihr merkt schon. Ich führe Euch heute ganz schön in Versuchung. Also: Wer von Euch liebt alle Menschen? Wenn das so ist, so hebe dieser Mensch doch bitte seine Hand. [Was bin ich erleichtert, dass jetzt keine Hand nach oben gegangen ist und wir in unserer Gemeinde ehrliche Christinnen und Christen haben.]
Die Liebe ist die größte Herausforderung, vor die uns Gott, vor die uns Jesus Christus gestellt hat.
Was das praktisch bedeutet, werden wir heute am Beispiel des 1. Johannesbriefes beleuchten. Der Verfasser des Briefes formuliert ja gewissermaßen eine Liebesformel:
Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
1. Johannes 4,16
Was bedeutet das für unsere eigene Existenz, für unseren Glauben, für unser Handeln? – Ihr Lieben, nicht, dass Ihr denkt, dass ich hier heute eine Mahnpredigt halten will, aber der Erste Johannesbrief ist ein Mahnschreiben. Und so stellt sich die Frage, ob wir uns durch diesen Brief noch ermahnt fühlen. Ganz unvermittelt fragt uns dieser Brief: Wie haltet Ihr es mit der Liebe, mit dem Glauben? Oder ganz persönlich gesprochen: Wie halte ich es mit der Liebe, mit dem Glauben?
Folgt dem Glauben das Handeln? Wie müsste mein Handeln und Denken eigentlich aussehen, wenn ich mich konform zu dem verhalten würde, wie es der Verfasser dieses Briefes von mir, von uns fordert? Damit ist ja auch die Frage verbunden, was es denn sein könnte, das mich davon abhalten könnte, so zu sein, zu denken, zu handeln?
Der Autor des Ersten Johannesbriefs schreibt:
Darin ist die Liebe bei uns vollendet, auf dass wir die Freiheit haben, zu reden am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.
1. Johannes 4,17
Da ist sie, die herausfordernde Erwartungshaltung. Die Liebe ist in uns vollendet und deshalb haben wir die Freiheit am Tag des Gerichts zu reden, denn wie Jesus ist, so sind auch wir in dieser Welt. Der Johannesbriefschreiber legt die Messlatte enorm hoch an. Er erwartet von uns, in dieser Welt so zu handeln, wie es Jesus selbst getan hat. Das riecht nach Überforderung. Da steht uns die Furcht ins Gesicht geschrieben, dem auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Aber der Autor des Johannesbriefs lässt sich da nicht beirren und legt nach:
Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Denn die Furcht rechnet mit Strafe; wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
1. Johannes 4,17-18
Das sitzt! Wovor habe ich Angst? Vor der Reaktion der anderen, wenn ich das wirklich konsequent durchziehe! Ist die Frucht nicht Ausdruck der eigenen Unsicherheit, der Angst, dem von Gott in mich gesetzten Vertrauen, nicht gerecht werden zu können oder Gott selbst nicht zu vertrauen?
Eigentlich ist doch alles ganz einfach und liegt genauso klar auf der Hand: Man muss nur tun, was Gott von uns erwartet. Es geht doch um das Sichtbare, in dem das Unsichtbare sichtbar wird. Töte ich meinen Bruder, töte ich auch etwas von Gott, denn der Mensch ist von Gott nach seinem Bilde geschaffen. Verletze ich einen Menschen fahrlässig oder mit Vorsatz, verletze ich so auch die Integrität Gottes. Was ist dann nach dieser Auffassung im Ersten Johannesbrief ein Mann, der so etwas wie die Katastrophe von Kachowka auslöst und sich mit all den Folgen für Mensch und Natur – also der Schöpfung Gottes – zu verantworten hat? Ein Mensch, der sich als Christ bezeichnet, der Kathedralen gebaut hat, der sich beim Beten und beim Gottesdienstbesuch zeigen lässt. Kaum ein Christenmensch ist in der Gegenwart so sehr zu einem in die Tiefe der Sünde gefallenen Menschen geworden wie dieser.
Ab morgen wird es in unserem Land die größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Bestehen der Nato geben. 250 Flugzeuge, davon 190 Kampflugzeuge, aus 25 Nationen beteiligen sich an der Übung „Air Defender 2023“. Eine deutliche Ansage oder ein Hinweis darauf, wie sehr die Luft brennt?
All das ist Ausdruck der Furcht und Furcht führt letzten Endes zu Krieg und Gewalt.
In dieser Woche haben sich die EU-Innenminister auf neue Asylregeln verständigt. Es sind Regeln der Furcht. Und alle diskutieren nur noch über die geplanten Aufnahmelager an den Außengrenzen der EU, die mit Gefängnissen verglichen werden. Doch was sind die EU-Außengrenzen? Jeder von uns hat nicht nur seine Staatsbürgerschaft, sondern auch eine EU-Bürgerschaft. Merkt Ihr was? Die Situation sähe anders aus, wenn wir mehr als EU-Bürger denn als Staatsbürgerinnen fühlen und handeln würden, sprich: Mehr in der Liebe als in der Furcht blieben.
Asyl bedeutet, dass wir als Weltgemeinschaft nicht vermocht haben, erfolgreich dazu beizutragen, dass die Situation in anderen Ländern so ist, dass die Menschen ihr Land nicht verlassen. Die Ursachen dafür, dass Menschen in einem anderen Land Asyl suchen, haben meist eine längere Geschichte, als wir sie auf den ersten Blick erfassen können oder manchmal auch wollen. Ich kann Asyl nur durch Frieden, Freiheit und einen gerechten Umgang mit der Schöpfung vermeiden oder reduzieren. Asyl bedeutet für mich, dem Geringsten zu helfen, weil ich im Geringsten Jesus selbst begegne:
Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Matthäus 25,40b
Aber, und das dürfen wir am Beispiel des Barmherzigen Samariters lernen, kostet Geld. Der Samariter hatte damals dem Wirt Geld gegeben, damit er den verletzten Mann pflegt, bis er selbst wieder zurückkommt. Und sollte das Geld nicht reichen, würde er dann die Differenz nachzahlen.
Wenn ich jemandem Asyl gewähre, bedeutet das auch, dass ich ihn aufnehme, indem ich ihn integriere; ihm die Möglichkeit gebe, hier auch anzukommen und sich am Gemeinwesen zu beteiligen. Auch das bedeutet Würde. Und Integration beginnt mit der Sprache, mit dem Verstehen. Und genau hier beginnt das Problem. Wir haben weniger Plätze in Integrationskursen als wir Menschen haben, denen wir Aufnahme gewährt haben. Was bedeutet das? – Wir entkleiden auf diese Weise Menschen ihrer Würde für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen, ihre Kenntnisse, Fähigkeiten, ihr Können einzubringen und in dem Land, in den sie leben, zu kommunizieren. Deutschland ist eines der EU-Länder, in denen die wenigsten Menschen mit einen Flucht- und Asylhintergrund für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Und was höre ich, wenn ich mit Geschäftsleuten, mit Unternehmern ins Gespräch komme? – Ihnen fehlen die Mitarbeiter, auch solche, bei denen die Sprache zweitrangig ist.
Eines der berühmtesten Integrationsbeispiele der Bibel ist die Geschichte von Josef und seinen Brüdern. Josefs Brüder kamen, weil sie vor dem Hunger flohen. Doch bevor Josef sie in Ägypten aufnahm, unterzog er sie einem Prüfverfahren:
Daran will ich merken, ob ihr redlich seid: Einen eurer Brüder lasst bei mir und nehmt für eure Häuser, wie viel ihr bedürft, und zieht hin und bringt euren jüngsten Bruder zu mir, so merke ich, dass ihr nicht Kundschafter, sondern redlich seid; dann will ich euch auch euren Bruder wiedergeben und ihr mögt im Lande Handel treiben.
1. Mose 42,33-34
Und das war nicht die letzte Prüfung. Wir erinnern uns daran, wie Josef seinen silbernen Becher in das Gepäck seines jüngsten Bruders Benjamin hat legen lassen. Die Brüder bestanden alle Prüfungen und Josef gab sich zu erkennen und sorgte für die Integration seiner Brüder in den Arbeitsmarkt des alten Ägyptens, damit sie für sich selbst sorgen konnten.
So entwickelten sie sich mit der Zeit zu einem wesentlichen Faktor des wirtschaftlichen Erfolgs Ägyptens, was auch einer der zentralen Gründe war, weshalb der Pharao später die Israeliten nicht mehr ziehen lassen wollte.
Asyl bedeutet also auch immer, den Menschen in die Lage zu versetzen, für seinen eigenen Lebensunterhalt aufzukommen. Das ist integraler Bestandteil der Würde eines Menschen. Und darüber wird mir in unserem Land gerade zu wenig gesprochen und so entstehen Missverständnisse. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen: Vor anderthalb Wochen kam vor der Johanneskirche eine junge Kurdin auf mich zu. Sie war an der Tafel abgewiesen worden, weil wir dort aktuell keine neuen Kunden aufnehmen können. Nun versuchte sie über mich, weil sie sah, dass ich an dem Tag ein Collarhemd trug, doch noch an die Tafel kommen zu können. Wir unterhielten uns via Google Translator. Sie sagte zu mir, dass sie und ihre vierköpfige Familie keine Lebensmittel bekämen. Und so fragte ich sie, ob sie bei der Asylberatung der Caritas sei, weil diese ihnen doch bei den Anträgen für Unterstützung helfen könnten. Dann sagte sie, dass sie von denen auch nichts zu essen bekäme. Und so ging das Ganze nun eine Weile weiter, bis sie sagte, dass sie vom Landratsamt 1000 Euro bekämen aber kein Essen. Als ich Ihr dann antwortete, dass das Geld dazu da sei, sich Lebensmittel zu kaufen, sagte sie, dass das doch zu wenig sei. Woraufhin ich Ihr antwortete, dass ich viele in unserem Ort kennen würde, die arbeiten gehen und für ihre vierköpfige Familie sogar manchmal weniger als tausend Euro im Monat hätten. Ich möchte dieses Gespräch jetzt nicht verallgemeinern, aber ich führe an der Tafel häufiger ähnliche Gespräche hinsichtlich der Erwartungs- und Anspruchshaltung. Und wenn ich Euch eine solches Erlebnis erzähle, weiß ich, dass Ihr es nicht falsch verstehen oder wie eine bestimmte Partei missbrauchen werdet, um Angst zu schüren.
Und jetzt stelle ich noch einmal die Frage, nach der Liebe zu Menschen, die bei uns Schutz suchen. In welchem Licht sehen wir diese Frage jetzt? – Ich für meinen Teil bin dieser jungen Frau ohne Groll begegnet, weil sie ein Symptom unserer Gesellschaft, unserer Politik und Verwaltung ist, die falsche Erwartungshaltungen wecken.
Liebe bedeutet nicht, Menschen die Verantwortung für ihren Lebensunterhalt abzunehmen, sie existenziell zu entmündigen. Liebe bedeutet Menschen an die Hand zu nehmen und sie in ein Leben zu führen, in dem sie als Teil der Gemeinschaft leben und arbeiten können und so Befriedigung und Wertschätzung erfahren können.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an einen jungen Mann, den ich mal vor vielen Jahren beraten habe. Er stammte aus einem guten Elternhaus. Vater und Mutter waren beruflich extrem erfolgreich, hatten ein schönes großes Haus in Berlin und sie zeigten die Liebe zu ihrem einzigen Kind darin, dass sie ihm jeden Tag einhundert Euro auf den Tisch legten, damit er sich was zu essen kaufen konnte und alles andere, was er so brauchte, und dann waren die Eltern beruflich in ihrer Welt unterwegs. Er erzählte mir, dass er Geld für selbstverständlich nahm, sich dann auch in der Schule keine Mühe mehr gab, mehr und mehr auf die schiefe Bahn geriet, Drogen nahm und manches mehr. Irgendwann kam der erste Prozess, die erste Verurteilung, der Absturz. Er fing sich Jahre später irgendwann einmal und wurde Masseur. Und dann sah er mir in meine Augen und sagte: „Aus heutiger Sicht wäre mir die Liebe meiner Eltern lieber gewesen als ihr Geld.“
Merkt Ihr etwas? Wir diskutieren in den Medien, in der Politik oder unseren Stammtischen und überhaupt über die falschen Themen, die falschen Ursachen, die falschen Perspektiven. Und so vergessen wir mehr und mehr, was uns eigentlich ausmachen sollte: Die Liebe.
Also lasst uns die Mahnung des Johannesbriefautors ernst- und annehmen:
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.
1. Johannes 4,19-21
Ach Gott, schenke uns die Kraft und den Mut zu dieser Liebe! Amen.
Pfarrer Martin Dubberke, Predigt über 1. Johannes 4,13-21, Perikopenreihe V, am 11. Juni 2023 – 1. Sonntag nach Trinitatis – in der Johanneskirche zu Partenkirchen
Wenn Sie mit mir Kontakt aufnehmen wollen oder mit mir ins Gespräch kommen möchten oder ein Feedback zu meiner Predigt geben wollen, schreiben Sie mir bitte einfach eine kurze Nachricht:
Kleiner Buchtipp am Rande
- als gebundene Ausgabe direkt beim Verlag
- als eBook bei der Buchhandlung meines Vertrauens
- oder als gebundene Ausgabe oder eBook bei Amazon