Liebe Geschwister, als ich heute Morgen wach wurde und mein Blick nach draußen ging, waren das Wettersteingebirge und die Zugspitze verschwunden. Die Wolken hatten sie versteckt. Und ich fragte mich, wie wohl das Wetter gewesen ist, als Jesus Christus in den Himmel aufgefahren ist und ob sich die Himmelfahrt gegebenenfalls wegen Nebels verschoben hätte. Ja, auf so komische Gedanken kann man kommen, wenn man morgens aus dem Fenster schaut.
Aber ich habe auch jede Menge Erinnerungen an Himmelfahrt, den Tag, den ich zuerst als Vatertag kennengelernt habe. An dem Tag ging es ins Grüne. Ihr wisst ja, dass ich aus Berlin komme und da gab es die Tradition des Kremserfahrens. Ein Kremser ist ein geräumiger und gefederter Planwagen mit Längsbänken, den 1825 der Berliner Fuhrunternehmer Simon Kremser als eine Art Pferdeomnibus eingesetzt hat. So ein Kremser wurde immer wunderbar geschmückt und dann sind die Männer mit so einem Kremser ins Grüne hinausgefahren. Natürlich waren auf dem Kremser auch jede Menge Bier und Schnaps, saure Gurken und – wie der Berliner zum belegten Brot sagt – Stullen und Bouletten – also Fleischpflanzerl mit an Bord.
Am sogenannten Vatertag ging es hinaus ins Grüne. In meiner Familie haben wir uns auf die Räder geschwungen und sind in den Grunewald gefahren, also dahin, wo man als West-Berliner hingefahren ist. Und wir wohnten ja nur wenige Fahrradminuten vom Wald entfernt. Ich sag’s Euch, in dem Wald war da immer ein Treiben, tausende von Menschen waren da immer unterwegs. Und es war schön.
Erst später erfuhr ich, dass es sich an diesem Tag eigentlich nicht um den Tag für die Väter handelt, wo Kinder ihren Vätern kleine Geschenke machen, sondern dass es sich um Himmelfahrt handelt, den Tag, an dem der auferstandene Jesus Christus zu seinem Vater in den Himmel aufgefahren ist.
Auch wir feiern heute Christi Himmelfahrt im Freien. Und das hat sicherlich seinen Hintergrund genau darin, dass Jesus mit seinen Jüngern auch im Freien war. Und ich glaube, dass man Christi Himmelfahrt nur dann erfassen kann, wenn man draußen in der Natur ist, wenn man in den Himmel schaut, wenn man die Wolken beobachtet und sich vorstellt, dass Jesus Christus an jenem Tag von so einer Wolke aufgenommen worden ist und gen Himmel gefahren ist. Also, eigentlich ist Wolkenwetter das richtige Himmelfahrtswetter.
Himmelfahrt bedeutet Abschied zu nehmen. Der auferstandene Jesus Christus hat noch vierzig Tage lang seine Jünger begleitet, hat ihnen vom Reich Gottes erzählt und sie in besonderer Weise auf die Zeit vorbereitet, in der er nicht mehr unter ihnen sein würde.
Das hat im Grunde genommen auch etwas mit einem guten väterlichen Handeln zu tun. Irgendwann werden Kinder flügge und leben ihr eigenes Leben, weil sie erwachsen geworden sind. Doch auf dem Weg dorthin werden sie von uns Eltern und damit auch den Vätern begleitet.
Es ist doch interessant, wie auch hier wieder die Zahl Vierzig eine Rolle spielt. Waren es nicht auch vierzig Tage, die Jesus in der Wüste gefastet hatte, an deren Ende er dann vom großen Versucher versucht wurde, sich von seinem Vater zu lösen, die Macht zu übernehmen und seine Möglichkeiten zu missbrauchen?
Die vierzig Tage, die der Auferstandene mit seinen Jüngern verbracht hat, waren eine exklusive Zeit. Eine Zeit, in der er seine Schüler auch darauf vorbereitet hat, der Versuchung durch die Macht zu widerstehen. Schon allein die Ankündigung, dass sie die Kraft des Heiligen Geistes empfangen werden, macht deutlich, dass es um das Wirken des Heiligen Geistes durch die Apostel gehen würde, dass der Heilige Geist am Ende das Entscheidende sein würde, das ihnen die Weisheit und den Mut verleihen würde, das zu leben und weiterzutragen und zu mehren, was Jesus sie gelehrt hatte. Der Heilige Geist sollte sie nicht nur erfüllen, sondern auch die Lücke ausfüllen, die die physische Abwesenheit Jesu Christi bei den Jüngern hinterlassen würde. Die Kraft des Heiligen Geistes zu empfangen, darauf lief alles Wirken des Auferstandenen hinaus. Die Vierzig Tage dienten der Vorbereitung seiner Jünger auf diesen nächsten Schritt, diese nächste Erfahrung in ihrem Leben.
Der Tag, an dem Jesus Christus in den Himmel gefahren ist, ist der Tag, an dem seine Jünger, seine Apostel gewissermaßen erwachsen geworden sind. Es war ein Abschied und jeder Abschied ist ein Anfang. Von jetzt an galt es, dem nachzuspüren und zu vertrauen, was Jesus einem beigebracht hatte. Von jetzt an galt es, dem versprochenen Geist nachzuspüren. Noch war der Heilige Geist ja nicht auf sie übergegangen. Noch war nicht Pfingsten, aber sie waren von Jesus Christus nachhaltig auf die Spur dorthin gesetzt worden.
Doch was bedeutet das für uns heute? Was bedeutet das in unseren wilden Zeiten, in denen die Religion auf dem Rückzug ist, die Menschen den Zugang zur Religion, zum Glauben, zur christlichen Kirche mehr und mehr verlieren? – Ich glaube, wir sind eine entgleiste Welt. Eine Welt, die den Zugang zum Heiligen Geist verloren hat und damit auch sich selbst verlieren wird. Das klingt nun wenig hoffnungsfroh. Ich glaube, dass Christi Himmelfahrt uns Jahr um Jahr daran erinnern soll, woher wir unsere Kraft beziehen und, dass wir sie beziehen. Jesus Christus hat seinen Jüngern und damit auch uns, die wir als Getaufte den Heiligen Geist empfangen haben, zugemutet, in dieser Welt zu leben, diese Welt aus unserem Glauben heraus mitzugestalten und dazu beizutragen, dass es ein Ort wird, der sich dem ursprünglichen Schöpferwillen wieder annähert. Ja, „zugemutet“ ist das richtige Wort, weil Jesus in den vierzig Tagen vor seiner Himmelfahrt seine Jünger gecoacht hat, mit ihnen noch einmal durchgegangen ist, was wichtig ist, um in dieser wilden Welt, die auch heute noch das Gute töten will, wie sie einst Jesus Christus getötet haben, weil ihnen das Gute, das von ihm ausging, zu gefährlich wurde. Doch die Welt darf noch immer zweitausend Jahre nach seiner brutalen Ermordung am Kreuz erfahren, dass man das Gute nicht killen kann, sondern, dass sich das Gute immer und immer wieder Bahn brechen wird. Und wir als Christinnen und Christen dürfen uns dessen immer wieder aufs Neue bewusstwerden. Wir sind keine Lämmer, die zur Schlachtbank geführt werden, sondern wir sind mutige Böcke – und jetzt gendere ich mal – Böckinnen, die gegen den Widerstand des Bösen, das Gute in dieser Welt leben wollen und werden, jede und jeder einzelne von uns wird, darf und soll das mit den Gaben tun, die ihm der liebe Gott geschenkt hat. Christi Himmelfahrt soll uns auch daran erinnern, dass Jesus Christus uns damit beauftragt hat und uns mit dem Mut dazu versehen hat, unsere Stimme mutig zu erheben.
Und genau dafür hat uns Jesus Christus seinen Segen gegeben:
Er führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.
Lukas 24,50-53
Amen.
Pfarrer Martin Dubberke, Predigt an Christi Himmelfahrt, 9. Mai 2024, über Apostelgeschichte 1, 3-11, Perikopenreihe VI, am Schmölzer See
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