Pfr. Martin Dubberke
Beten - Krankenhauskapelle Garmisch-Partenkirchen Bild: Martin Dubberke

Gebet und Umkehr gehören zusammen

Liebe Geschwister, betet, betet, betet! Es ist Sonntag Rogate – im Mittelpunkt steht heute das Gebet und die Gewissheit, dass es von Gott erhört wird:

„Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet.“

So bekennt es der Beter im Psalm 66, 20. Und auch der Predigttext macht deutlich, worum es Jesus im Gebet geht: Um Demut und die Verhältnisbestimmung zu Gott.

Jesus macht deutlich, dass das Gebet nicht der Selbstdarstellung dient, sondern Ausdruck eigner Demut vor dem Willen Gottes ist, gegen den ich doch nicht ankomme, so dass ich ihn annehmen und als Herausforderung meines Lebens verstehen kann, der ich mich sonst freiwillig wohl nicht gestellt hätte. Und nehme ich diese Herausforderung an, so bringt sie mich näher zu Gott und lässt mich in meinen Fähigkeiten, die mir Gott geschenkt hat, reifen, wachsen und auch sicherer meinen eigenen Möglichkeiten gegenüber werden.

Gottes Wille stärkt – so gesehen – mein Selbstbewusstsein und lässt meine Beziehung zu Gott noch tiefer, noch intensiver werden. Aus der Demut heraus erwachsen so Zuversicht und heitere Gelassenheit, die ihren Ursprung im Vertrauen auf und zu Gott haben.

Ich kann also wachsen, wenn ich mich auf den Willen Gottes einlasse. Und den Willen Gottes erfahre ich im Evangelium und im Gebet, das nicht bläht, frömmelnd oder bigott daherkommt.

Wir sehen das Leid, das sich Menschen antun. Wenn wir uns nur Ansatz an das halten würden, worum wir im Vaterunser bitten und was wir auch in diesem Gebet versprechen, wäre diese Welt eine andere.

Es wird sich Vieles dauerhaft ändern und wohl weltweit zu einer neuen Tradition werden. Gaben wir uns noch vor wenigen Wochen die Hände um einander zu begrüßen oder zu verabschieden, so tun wir das heute nicht mehr. Das Händegeben hat seinen Ursprung darin, dem anderen zu signalisieren, dass man selbst waffenfrei ist und dem anderen nichts Böses wolle. Heute geben wir uns aus nahezu dem gleichen Grund nicht mehr die Hände, weil wir dem anderen nichts Böses wollen.

So hat jede HANDlung – welch ein wunderbares Wort, über das sich nachzusinnen auch lohnen würde. So hat jede HANDlung ihren Ursprung, der in eine später unhinterfragte Tradition als Selbstverständlichkeit in Fleisch und Blut übergeht.

Der Predigttext führt in die Mitte des Evangeliums. Dein Wille geschehe, nicht mein Wille.

Millionen Menschen sprechen dies Tag für Tag, ohne sich so zu fühlen, als hätten sie ihren freien Willen abgegeben.

Gott hat an unserer Not teil. Und wir leben in einer Not. Das Selbstverständliche können wir gerade nicht so recht leben. Auch wenn nun immer mehr Lockerungen kommen.  Stellen wir uns einmal vor, dass Merkel, Söder, Laschet und Co nur Werkzeuge in dieser Pandemie sind. Stellen wir uns einfach nur mal vor, dass die Maske, die wir tragen, ein Bußgewand ist. Dann stellt sich nämlich eine ganz andere Frage jenseits von Verordnungen und Verschwörungstheoretikern:

Welche Schuld habe ich auf mich genommen, um deren Vergebung ich bitte?

Wo bin ich einer Versuchung erlegen, in die mich Gott geführt hat?

Dann werde ich feststellen, dass ich bei jeder Versuchung, der ich erlegen bin, nicht nur mit selbst und meiner eigenen Schwäche erlegen bin, nur meinen eigenen Vorteil im Blick hatte und dabei meinen Nächsten aus dem Blick verloren habe. Mein Vorteil wird nämlich zum Nachteil für einen anderen. Und damit wird klar, dass es sich hierbei nicht mehr um eine ausgeglichene Bilanz handelt, sondern im Ernstfall auch zu einer Insolvenz meines Nächsten führen kann. Sprich: Am Ende kann die gesellschaftliche und ethische Insolvenz einer ganzen Gesellschaft  stehen und – wie die Pandemie deutlich macht – auch eine weltweite Insolvenz, die letzten Endes zu einem Ausverkauf aller Werte führen kann und damit zu einer viel schrecklicheren Pandemie werden kann, als die uns angrinsende Fratze des Coronavirus.

Wenn ich also – mal so als Gedankenspiel – die Nase-Mund-Maske, die Community-Maske als Bußgewand verstehe und das Virus als Indikator unserer Schuld, dann könnten wir jetzt das berühmte fünf vor Zwölf haben.

Dieses Bild habe ich in letzter Zeit immer wieder in meinem Kopf. Und ich denke in letzter Zeit auch immer wieder an Ninive. Woran haben die eigentlich gemerkt, dass die sprichwörtliche K…  am Dampfen war?

Es war Jona, der auf den Ernst der Lage deutlich hinwies. Jona war ein bekannter Fachmann für Prophetie. Also, ähnlich den Spezialisten und Virologen vom Robert-Koch-Institut.  Wobei ich die weder mit einem Propheten Gottes gleichstellen möchte, noch ihnen einen göttlichen Auftrag unterstellen möchte.

Also, Jona, der auch ein brillanter PR-Fachmann war, ging durch Ninive und zählte gewissermaßen den Countdown runter – so ein wenig, wie wir heute immer den sogenannten R-Faktor hören: „Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört!“

Das Volk warf sich sofort in Bußgewänder, denn sie glaubten, dass Gott das wirklich tun würde. Und sie riefen ein Fasten aus. Auch der König legte seinen Königsmantel ab und zog sich ein Bußgewand an. Er legte damit nicht nur das äußere Zeichen seine Macht ab, den Königsmantel, sondern er verließ auch seinen Thron als Ort seiner Macht und stellte sich unter die Macht Gottes. Was für ein weiser König und Staatsmann, von dem sich mancher Staatsmann der Gegenwart eine dicke Scheibe abschneiden könnte. Und dann ruft er zusammen mit seinem Kabinett aus:

Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Rinder noch Schafe etwas zu sich nehmen, und man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen; und sie sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh, und heftig zu Gott rufen. Und ein jeder kehre um von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände!  Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben. (Jona 3, 7-9)

Also, wenn das kein Lockdown ist, dann weiß ich’s auch nicht. Ninive hat in absoluter Einmütigkeit das gemacht, was wir heuten einen Lockdown nennen. Alle – und zwar ausnahmslos alle bis rauf zum König haben das Bußgewand getragen und haben Buße geleistet. Sie sind alle in einer unglaublichen Solidarität miteinander und Gott gegenüber umgekehrt und haben sich vollkommen neu ausgerichtet. Auf diese Weise sind sie der totalen Vernichtung entgangen.

Ninive hat deutlich gemacht, dass es ohne einen Lockdown, ein Innehalten, gewissermaßen ein Anhalten der Zeit nicht geht. Und wir können noch ein weiteres aus der Geschichte lernen: Ohne Buße gibt es kein Weiterleben.

Lockdown und Bußgewand waren damit nicht die Rettung als solche, sondern der Doppelpunkt. Es ging darum, ein dauerhaft anderes Leben, das aus der Buße, aus der Umkehr, dem aufrichtigen Bekennen und Erkennen der Ursachen heraus geschieht, zu leben. So wurde ein anderes Handeln und Leben, in dem diese Ursachen beseitigt worden waren, möglich.

Und dann kam noch ein ganz anderer Faktor hinzu. Die Niniviten meinten es ernst. Sie waren aufrichtig und glaubhaft einsichtig, so dass ihnen Gott seine Gnade wieder zuteilwerden ließ.

Maske und Lockdown sind äußere Zeichen für den NOTwendigen   – wieder so ein schönes Wort – NOTwendigen vollkommenen Wandel, den wir durchmachen müssen, um nicht unterzugehen.

Tja, und dann schauen wir uns mal an, was so alles die letzten Tage geschehen ist und geschieht. Da kommen wir nicht mehr an den Verschwörungstheorien und -theoretikern vorbei, die uns alle von der Einsicht in das Notwendige ablenken wollen. Die Verschwörungstheorien sind so gesehen die Versuchungen, die uns vom Weg der Umkehr abbringen sollen.

Verschwörungstheoretiker suchen die Ursache, die Schuld nicht bei sich selbst, sondern bei den anderen und können daher kaum umkehren. Lesen Sie mal den Propheten Jona. Das dritte Kapitel ist diesbezüglich vollkommen ausreichend. Dort ging die Bewegung vom Volk bis zum König. Sie alle hatten ein Einsehen. Hätte es dort Verschwörungstheoretiker gegeben, würden wir heute wahrscheinlich eine weitere Geschichte a la Sodom und Gomorra in der Bibel haben.

Zum Thema Verschwörungstheoretiker finden wir im Zweiten Petrusbrief 2, 1-2 einen wertvollen Hinweis:

Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer, die verderbliche Irrlehren einführen und verleugnen den Herrn, der sie losgekauft hat; die werden über sich selbst herbeiführen ein schnelles Verderben. Und viele werden ihnen folgen in ihren Ausschweifungen; um ihretwillen wird der Weg der Wahrheit verlästert werden.

Manchmal habe ich das Gefühl, als hätte sich die Menschheit gegen Gott verschworen und damit den Kampf gegen Gott aufgenommen, weil sie sich der Schöpfung Gottes ohne Gott ermächtigen will, der sie nur irgendwo stört. Es erinnert mich zuweilen an das Gleichnis von den bösen Weingärtnern, die gewissermaßen versuchen, Gott zu enteignen und das am Ende mit ihrem Leben bezahlen (Matthäus 21, 33-41).

Also, wir lernen heute viel und sehr schmerzhaft über unsere Verletzbarkeit in der Wirtschaft, im Handel, in unserem Leben und über unsere Abhängigkeiten. Was reden wir noch über Kartellbildung, wenn z.B. zwei Pharmaunternehmen in Deutschland fusionieren wollen, wo wir doch schon ein weltweites Kartell haben, bei dem an je einem Standort in China und Indien alles produziert wird. Risikoverteilung sieht anders aus.

Wir lernen gerade viel über die Verstrickungen, die Dinge, die zusammenwirken, die Kurzarbeit, Freistellungen, Insolvenzen, Homeschooling, Social Distancing zur Folge haben. – Schau mir in die Augen, gewinnt heute eine ganz neue Bedeutung.

Wir erleben gerade, dass wir gewissermaßen Teil einen gigantischen Dominoeffektes sind, dem wir nur mit Standhaftigkeit und Umdenken von allem, was wir tun, denken, leben, handeln verbunden ist, begegnen können. Wir leben in einer Not, die verschiedene Dimensionen hat: Emotion und Existenz.

Wir erleben, dass Freiheit mit einem Mal ein ganz großes Thema ist. Doch was ist Freiheit?

Wir erleben an unseren Seen und Ausflugsschönheiten die Folgen der Versuchung und der sogenannten Freiheit, wenn der R-Wert an manchen Orten wieder über EINS geht.

Das macht deutlich, dass wir noch weit von der Umkehr und dem vorbildlichen Umkehrwillen Ninives entfernt sind. Da liegt noch eine Menge vom Duft Sodoms und Gomorras in der Luft.

Die Not in unserer Wirtschaft und der globalen Wirtschaft machen deutlich, dass hier etwas nicht stimmen kann und wir nach Formen suchen müssen, mit denen Menschen nicht um ihre Existenz fürchten müssen und in ihrer Not Verzweiflungstaten begehen.

Auch wir als Kirche und Gemeinde müssen uns miteinander und im Gebet dieser Frage stellen.

Ja, natürlich kann ich all das, was wir gerade erleben, theologisch aufladen, aber als gläubiger Christenmensch stelle ich mir schon die Frage, was das alles zu bedeuten hat. Und so lande ich immer wieder bei Ninive.

Die Bedrohung der Existenz – unserer Existenz – hat nämlich schon viel früher begonnen. Nur war sie nicht für alle sicht- oder erkennbar. Erst – und das ist gewissermaßen die Ironie an der der ganzen Geschichte – ein Virus, der mit bloßem Auge nicht sichtbar ist, hat alles andere sichtbar gemacht und damit allen anderen leidvoll vor Augen geführt. Welch ein hoher und schmerzvoller Preis.

Und damit komme ich zum Schluss: Das Vaterunser, das Gebet aller Gebete macht uns deutlich, dass Gebet und Umkehr, Gebet und Vergebung zusammengehören. Vergebung erfahren und selbst vergeben gehören zusammen. Hoffen und Handeln bilden eine Einheit.

Dein Reich komme.
Es ist nicht mein Reich, sondern Dein Reich.
Deshalb geschehe Dein Wille wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib und heute.
Gib uns die Sicherheit, nicht zu hungern an Leib und Seele.
Lass uns unsere Schuld und unsere Verstrickungen erkennen und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern,
damit im Miteinander Zukunft möglich wird.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen,
das wir nicht immer sehen und einsehen wollen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft in Ewigkeit.

Amen.


Pfarrer Martin Dubberke, Predigt über Matthäus 6, 5-15 (Perikopenreihe II) am Sonntag Rogate 2020, 17. Mai, in der Johanneskirche Partenkirchen