Pfr. Martin Dubberke
Exaudi 2025 | Bild: Martin Dubberke©

Fürbitte

Liebe Geschwister, Ihr wisst, dass ich immer wieder gerne mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer die Fürbitten einleite:

„Eine christliche Gemeinschaft lebt aus der Fürbitte der Glieder füreinander, oder sie geht zugrunde.“

 (Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, DBW 5, 2002, S. 73)

Die Fürbitte ist die Fürprache bei Gott für jemanden. Allein das ist Ausdruck meiner Nächstenliebe.  Gleichzeitig folgen wir dem Vorbild Jesu, der auch für andere gebetet hat.  Fürbitte richtet unseren Blick weg von uns selbst und hilft, Gottes Herz für andere zu entdecken. Fürbitte bedeutet auch, dass ich für jemanden darum bitte, dass ihm die Kraft zufließt, die ihm gerade fehlt.

Vielleicht erinnert Ihr Euch noch an die Geschichte von der Kassiererin, die ich mal vor einer Weile erzählt habe. Ich stand an der Kasse und die Frau fragte mich oder ich Direktor oder sowas sei und ich antwortete, dass ich Pfarrer bin. In diesem Moment passierte etwas im Gesicht und in den Augen dieser Frau und sie erzählte mir, dass ihre Tochter an Krebs erkrankt sei und gerade operiert worden sei und so bat sie mich, für ihre Tochter zu beten. Ich versprach es ihr und als ich ein paar Tage später wieder in dem Geschäft war, lief sie mir über den Weg und ich fragte sie nach ihrer Tochter und ihre Augen strahlten. Sie erzählte mir, dass sie noch am gleichen Tag ihrer Tochter von unserer Begegnung erzählt habe und, dass ich für sie beten würde.  Und dann sagte sie mir, dass es ihnen beiden gut getan hätte und ihre Tochter auf einem guten Weg sei.

Ich bete noch immer jeden Morgen für die beiden. Eine Fürbitte ist nicht das Versprechen, dass alles wieder gut wird, aber sie lässt den anderen spüren und erleben, dass er nicht allein ist, dass da noch jemand anders an ihn denkt und vor allem, dass mit der Fürbitte Gott noch einmal auf eine ganz andere Weise in sein Leben tritt, weil ihn jemand darum gebeten hat.

Das ist eine Erfahrung, die ich immer wieder mache, auch in der Seelsorge, wenn am Ende eines Gesprächs entweder die Bitte kommt oder ich frage, ob wir noch miteinander beten wollen.

Fürbitte ist Ermutigung und Stärkung. Und damit komme ich zu der Frage: Wer betet eigentlich für unsere Gemeinde?

Wir leben in unserer Gemeinde mit den gleichen gesellschaftlichen Brüchen wie die ganze Kirche in unserem Land. Und wir sehen uns den gleichen Herausforderungen ausgesetzt wie auch unsere katholischen Geschwister. Wir erleben eine Herausforderung mit ökumenischer Dimension.

Die Menschen treten aus. Die Menschen wenden sich von uns ab. Die Welt da draußen sagt, dass wir an Bedeutung und gesellschaftlicher Relevanz verloren haben. Welche Relevanz haben wir? Welche Relevanz hat dann noch unser Gebet, unsere Fürbitte?

Ich habe dieser Tage ein kleines Buch von Joseph Ratzinger mit dem Titel „Glaube und Zukunft“ gelesen, das er 1970  – also vor mehr als einem halben Jahrhundert – geschrieben hat. Im Klappentext kommt die wachsende Sorge um die Zukunft des Glaubens zur Sprache:

Hat er überhaupt eine Zukunft, und wenn, was ist das Zukunftsträchtige in dem wirren Gegeneinander von heute?

Hierbei bezieht er sich wohlgemerkt auf das wirre Gegeneinander vor mehr als einem halben Jahrhundert. Wie wirr ist Gegeneinander heute? Wir befinden uns im Dritten Jahr des Kriegs Russlands gegen die Ukraine, Donald Trump ist in seiner zweiten Amtszeit und mischt die ganze Welt auf. In Deutschland wählt ein Viertel aller Wähler eine als rechtsextremistisch eingestufte Partei in den Bundestag. In den beiden großen Kirchen sind mittlerweile weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung Mitglied, was von einigen Parteien und Strömungen in der Gesellschaft als Signal gewertet wird, dass Kirche keine gesellschaftliche Bedeutung hat. Nur zum Vergleich:

  • Die CDU hat 363.381 Mitglieder,
  • die CSU 125.996,
  • die AfD 52.000,
  • die SPD 365.190,
  • Bündnis90/Die Grünen 168.817,
  • Die Linke 112.000,
  • die FDP 68.170.

Das bedeutet, dass in den zentralen Parteien unseres Landes aktuell 1.086.737 Menschen Mitglieder sind. In den beiden großen Kirchen sind allerdings aktuell 38.014.600 Menschen Mitglied?

Da stellt sich schon die Frage, wer mehr gesellschaftliche Relevanz hat, wer mehr Gewicht ins Feld führt oder führen könnte. Doch die Politik und vor allem auch die Wirtschaft glaubt, dass sie jetzt an die kirchlichen Feiertage rankönnen.

Gerade in diesen Tagen wird öffentlich darüber diskutiert, ob der Zweite Weihnachtsfeiertag oder der Ostermontag, der Himmelfahrtstag oder insbesondere der Pfingstmontag für die Wirtschaft geopfert werden soll. Warum stellt die Wirtschaft nicht die Frage, ob – was aus meiner Sicht symbolisch eine ganz andere Bedeutung hätte – nicht der Tag der Arbeit solchen Überlegungen zum Opfer fallen könnte? Also, wenn das keine Zeiten des wirren Gegeneinanders sind, was sind sie dann?

Es wird deutlich, dass die Frage nach der Zukunftsträchtigkeit des Glaubens stärker denn je auf eine Antwort wartet. Oder anders formuliert:

Welche Rolle kann der Glaube heute bei der Gestaltung der Welt in Gegenwart und Zukunft einnehmen und spielen?

Und damit komme ich wieder bei der Kirche und bei der Gemeinde im Besonderen an. Die Menschen trauen uns allem Anschein das Zukunftsträchtige nicht mehr zu. Sie haben den Zugang zur Relevanz des Glaubens und der Kirche für ihr Leben verloren.

Und warum kann ausgerechnet hier die Fürbitte soetwas wie ein Generalschlüssel sein?

Ein guter Moment, sich noch einmal den Predigttext anzuhören:

Die Fürbitte des Apostels für die Gemeinde

Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater,15 von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat,16 dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, 17 dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, 18 damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist,19 auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt.

20 Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, 21 dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Epheser 3,14-21

Paulus, der sich gerade selbst nicht in der besten Situation seines Lebens befindet, denn er ist ob seines Glaubens und seines Eintretens für diesen, unseren Glauben inhaftiert, was an sich schon die Relevanz unseres christlichen Glaubens für diese Welt beschreibt und deutlich macht, welche Kraft der Veränderung von ihm ausgeht. Dieser Paulus erfährt nun in seiner wenig komfortablen Situation, dass es seiner Gemeinde in Ephesus nicht gut geht und so will er sie ermutigen und betet für sie.

Er beschreibt, welche Haltung er einnimmt. Paulus beugt seine Knie vor dem Vater, er geht auf die Knie und damit in die Haltung eines Bittstellers. Er ist nicht fordernd, sondern demütig.

Und er bittet nicht darum, dass die Gemeinde reich würde, um sich alles leisten zu können. Er bittet nicht um reiche Spenden, damit die Gemeinde prosperiert und sich z.B. eigene Gebäude leisten oder erhalten kann. Er bittet um das, was eine Gemeinde ausmacht und was sie stark macht. Und das sind – wenn überrascht das – keine Äußerlichkeiten, sondern das Innerste. Es sind:

  • die innere Stärkung durch einen größeren Geist,
  • das lebendige Wohnen Christi im Herzen durch Glauben,
  • das tiefe Verwurzeltsein in der Liebe und
  • die überwältigende Fülle, die über unser Verständnis hinausgeht.

Es geht also um die inneren Werte. Es geht zu allererst um den Geist, der uns erfüllt und miteinander verbindet. Es geht um die Liebe, die die Liebe Christi in uns auslöst und das Verwurzeltsein in diese Lieber. Es geht um diese Liebe, die uns miteinander verbindet und uns stark werden lässt, die uns zu einer starken und vitalen Gemeinschaft werden lässt, und dass es da noch etwas gibt, das weit über unser Verstehen hinausgeht.

Es wird deutlich, dass uns nicht Äußerlichkeiten zur Gemeinde machen, sondern das Innere, das Allerinnerste, das vom Geist und der Liebe erfüllt sein muss. Da ist kein Platz für Egoismus. Da ist kein Platz für denjenigen, der zuerst dran sein will. Damit ist nicht die quantitative Frage verbunden, wie groß wir als Kirche oder Gemeinde sein müssen, um relevant zu sein, sondern es ist einzig und allein die Frage nach der Qualität damit verbunden. Es geht nicht um den Organisationsgrat, sondern um die Gemeinschaft. Wie leben wir als Gemeinschaft und wie wirken wir als Gemeinschaft auf die Welt da draußen?

Wir leben in einer Welt des wirren Gegeneinanders. Und ich habe zuweilen das Gefühl, dass wir in unseren Kirchen und Gemeinden auch in der Welt eines wirren Gegeneinanders leben. Das macht uns weiß Gott nicht attraktiv. Das macht uns auch nicht im wahrsten Sinne des Wortes glaubwürdig.

Unsere gesellschaftliche Relevanz – wenn das überhaupt ein Ziel sein kann – liegt darin, dass wir erkennbar werden lassen, dass Liebe, dass die Liebe, die wir durch Jesus Christus erfahren haben, das Gegeneinander zum Miteinander werden lässt. Und für nichts anderes geht Paulus in seiner Gefängniszelle auf die Knie.

Er ist damals nicht nur für seine geliebten Epheser auf die Knie gegangen, sondern auch für uns heute. Und ich glaube, dass in dieser Welt der Spaltung, der Kriege, des Gegeneinanders wir als Christinnen und Christen, ein Kontrastprogramm mit Langzeitwirkung entgegensetzen könnten, wenn es uns gelänge, das Verhältnis umzudrehen, sprich, dass wir in den Gemeinden und Kirchen nicht mehr ein Abbild der Gesellschaft sind, sondern die Gesellschaft ein Abbild unserer christlichen Gemeinschaft, die nicht zuerst an sich denkt, sondern an das Füreinander und das Miteinander.

Unser Erfolg oder unsere Wirkung als Kirche, als Kirchengemeinde gründet nicht in den finanziellen Mitteln, die wir haben, hat nichts mit der Kirchensteuer zu tun, sondern einzig und allein mit unseren inneren Werten und wie wir diese leben. Die Relevanz lebt und wirkt aus dem Wie der gelebten christlichen Gemeinschaft heraus.

Und genau das hat Paulus erkannt und deshalb ist er vor Gott auf die Knie gegangen, damit Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt und wir in der Liebe – komme was das wolle – eingewurzelt und gegründet sind. Damit wird unsere Gemeinschaft, damit wird jeder einzelne von uns zu einem weithin sichtbaren Kirchturm.

Unsere Gemeinschaft lebt von der Fürbitte – von dem echten, tiefen Gebet füreinander. Jede betende Seele ist wie ein starker Pfeiler, der unser Haus des Glaubens trägt. Doch wenn wir aufhören, füreinander einzustehen, wenn wir den Schmerz und die Not des anderen ignorieren, dann zerbricht dieses Haus.

Und was vor diesem Hintergrund auch ganz wichtig! Paulus hat nicht nur in seiner Gefängniszelle gebetet, sondern er hat es auch seiner Gemeinde geschrieben, damit sie weiß, dass er bei ihnen ist, dass er für sie betet. Es geht also nicht nur ums Fürbeten, sondern auch darüber reden. Denn darüber zu reden, bedeutet, die Liebe, das Füreinanderdenken auch erlebbar zu machen. Und genau deshalb hat Dietrich Bonhoeffer recht, wenn er sagt:

„Eine christliche Gemeinschaft lebt aus der Fürbitte der Glieder füreinander, oder sie geht zugrunde.“

Lasst uns also bewusst füreinander beten, Mitgefühl teilen und ein offenes Herz bewahren. Unsere Stärke liegt in der gegenseitigen Fürsorge: Wer heute das Gebet des anderen erwidert, baut das Fundament für eine lebendige und widerstandsfähige Gemeinschaft auf. Es liegt an jedem Einzelnen von uns – lasst uns gemeinsam leben, was der Glaube in uns entfacht hat!

Amen.

Pfr. Martin Dubberke

Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke

Predigt am Sonntag Exaudi in der Johanneskirche zu Partenkirchen und Markuskirche zu Farchant am 1. Juni 2025, Perikopenreihe I, Epheser 3,14-21

Kontakt & Feedback

Wenn Sie mit mir Kontakt aufnehmen wollen oder mit mir ins Gespräch kommen möchten oder ein Feedback zu meiner Predigt geben wollen, schreiben Sie mir bitte einfach eine kurze Nachricht:


Kleiner Buchtipp am Rande

Ihr erhaltet das Buch in der Buchhandlung Eures Vertrauens oder: