Liebe Geschwister, die Leichtigkeit, mit der uns die Oboe am Anfang der Kantate abholt, dieses Schwebende, ist doch einfach wunderbar. Ich weiß nicht, wie es Euch dabei ergangen ist, aber in dem Moment, in dem die Oboe begann, fiel alle Schwere von mir und ich spürte, wie alles in mir zur Ruhe kam und ich diese stille Freude spüre, die aus meinem tiefsten Innern kommt. Es ist keine überschäumende Freude, kein Jubel, sondern eine demütige Freude, eine dankbare Freude für das, was einem der liebe Gott gegeben hat. Es ist eine Freude, die mich innehalten lässt und mich auf das eigentliche im Leben konzentrieren lässt, das, was das Leben nämlich wirklich ausmacht. Und das ist nicht das Große, überdimensionierte – was ja auch sehr schön sein kann – sondern das Kleine, was wir viel zu oft aus dem Blick verlieren.
Ich muss gerade an den vergangenen Freitagabend denken. Meine Frau und ich waren bei einem Freund zum Essen eingeladen. Er hatte wunderbar gekocht und wir genossen miteinander ganz einfache Dinge, die so wunderbar schmeckten. Und wir waren miteinander im wahrsten Sinne des Wortes „still vergnügt in unserem Glücke“. Doch wie es so ist, kommt man an einem solchen Abend irgendwann auch bei den Themen an, die einem die Seele, das Gemüt schwer machen, nämlich wie sich die Gesellschaft verändert, wie Menschen immer egoistischer werden, die Politik. Es braucht nur wenige Augenblicke und schon ist man nicht mehr still vergnügt in seinem Glücke, weil man miteinander merkt und schmerzhaft spürt, wie sehr die Demut in dieser Welt verloren gegangen ist und einem das aufs Gemüt schlägt. Und dann kommt der berühmte Satz: „Lasst uns das Thema wechseln, bis eben war es noch schön.“
Demut
Und genau das ist der Moment, in dem wir erkennen können, wie wichtig Demut ist und welche Folgen es hat, wenn die Demut, diese sanfte, stille, in sich und vor allem bei Gott ruhende Haltung des Menschen, vom Egoismus, von der Brutalität der Ellenbogen, auch der politischen Ellenbogen, des Großspurigen, Ichbezogenen, alles für mich verdrängt wird. Ohne Demut gibt es keinen Frieden. Ohne Demut gibt es kein Miteinander. Ohne Demut gibt es keinen Dank.
Der Wochenspruch erinnert uns daran, dass Demut aus der Liebe zu Gott erwächst und daraus die Liebe zu meinem Bruder, zu meinem Nächsten. Die Liebe zu Gott erdet mich. Und die Liebe zu Gott will nichts anderes als den Frieden mit dem Bruder.
Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.
1. Johannes 4,21
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, für welchen Sonntag Johann Sebastian Bach diese Kantate komponiert hat, den Sonntag Septuagesimae, es ist der dritte Sonntag vor Aschermittwoch, die Zeit zwischen Epiphanias und der Passionszeit, die mit Aschermittwoch beginnt, die Zeit, die auch eine Bußzeit ist, eine Zeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und das Wesentliche zu erkennen und damit auch sein Leben neu an Gott und dieser Liebe auszurichten.
Und Umkehr geschieht in Demut, nicht im Fordern. Umkehr geschieht aus Glauben im Handeln. Der eigentliche Predigttext für heute, wäre Jakobus 2,14-26. Dieser Predigttext lässt sich in einem kurzen Satz zusammenfassen: Glaube ohne Werke ist tot. Wo wir nicht aus dem Glauben heraus handeln, ist Glaube tot, geht es den Menschen, der Welt, der Schöpfung schlecht. Glaube zieht die Tat nach sich.
Und Glaube beginnt mit der Dankbarkeit das Wirken Gottes im eigenen Leben zu erkennen:
Ich bin vergnügt in meinem Glücke,
Das mir der liebe Gott beschert.
Soll ich nicht reiche Fülle haben,
So dank ich ihm für kleine Gaben
Und bin auch nicht derselben wert.Aria aus BWV 84
Unsere Sopranistin Linda Thurnmayr hat es gerade auf so berührende Weise für uns gesungen.
Ihr könnt Euch vielleicht erinnern, dass ich am Anfang dieses Gottesdienstes gesagt habe, dass wir heute einen Dreiklang zwischen Himmel und Erde spüren dürfen:
Demut – weil alles, was wir sind, ein Geschenk Gottes ist.
Dank – weil Gott uns täglich neu beschenkt.
Frieden – weil ein Herz, das sich genügt, nichts mehr verlieren kann.
Dank
Lasst uns also nun nach der Demut über den Dank reden.
Bach macht deutlich, dass man nicht nur für die Fülle dankbar sein sollte, sondern auch für das Kleine, weil weder die Fülle noch das Kleine selbstverständlich sind, sondern Gaben von Gott sind.
Und damit sind wir bei einem wichtigen Thema angekommen: Der Selbstverständlichkeit.
Wenn wir etwas in den letzten fünf Jahren lernen durften, so ist es doch das, dass nichts, aber auch gar nichts selbstverständlich ist. Müsste das nicht unsere Dankbarkeit für das, was wir als selbstverständlich hinnehmen, wachsen lassen?
Aber wir leben noch immer so, als wäre alles selbstverständlich und das, was uns nicht selbstverständlich erscheint nur eine Ausnahme.
Gott ist mir ja nichts schuldig,
Und wenn er mir was gibt,
So zeigt er mir, dass er mich liebt;
Ich kann mir nichts bei ihm verdienen,
Denn was ich tu, ist meine Pflicht.2. Recitativo aus BWV 84
Viel schöner kann man nicht sagen, was Jakobus meint, wenn er sagt:
So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber.
Jakobus 2,17
Aus Glauben zu handeln, heißt nicht, sich bei Gott Fleißbienchen oder Pluspunkte zu holen, sondern seine Dankbarkeit dafür zu zeigen, dass er uns liebt. Die Liebe, mit der wir unserem Nächsten begegnen dürfen, ist nichts anderes als die Dankbarkeit für die Liebe, die uns Gott schenkt. Sei es im Kleinen oder im Großen.
Doch wann beginnt Dankbarkeit, ab welchem Betrag beginnt Dankbarkeit? Bei einem Euro oder bei einer Million Euro?
Bach erinnert uns im Recitativo:
Doch ist der Mensch so ungeduldig,
Dass er sich oft betrübt,
Wenn ihm der liebe Gott nicht überflüssig gibt.
Hat er uns nicht so lange Zeit
Umsonst ernähret und gekleidt
Und will uns einsten seliglich
In seine Herrlichkeit erhöhn?
Es ist genug vor mich,
Dass ich nicht hungrig darf zu Bette gehn.
Es ist genug für mich, dass ich nicht hungrig zu Bett gehen darf. Es geht genau um diese Dankbarkeit im Kleinen. Aus dieser Dankbarkeit im Kleinen erwächst die Demut und damit das Glück, das auch das Bescheidene feiert, weil es eben nicht selbstverständlich ist, nicht hungrig zu Bett zu gehen.
Ich esse mit Freuden mein weniges Brot
Und gönne dem Nächsten von Herzen das Seine.
3. Aria aus BWV 84
Es geht um die Freude und Dankbarkeit an dem, was ich habe und die Großzügigkeit, dem Nächsten das Seine zu gönnen und nicht neidisch nach dem zu schielen, was er hat, weil damit der Unfriede beginnt.
Frieden
Tja, dann lasst uns mal über den Frieden reden. Stimmt! Ihr habt vollkommen recht. Das Wort Frieden kommt an keiner einzigen Stelle im Text der Kantate vor. Muss es auch nicht. Das Wort Frieden muss in dieser Kantate nicht expressis verbis gesagt und gesungen werden, denn der Frieden schwingt zwischen den Zeilen und den Noten mit. Denkt nur an den Anfang der Kantate. Erinnert Ihr Euch noch an die Leichtigkeit, die Schwerelosigkeit, das Schweben? Das ist der Frieden. Das ist der Frieden, der aus der Demut und der Dankbarkeit heraus ist, sein kann und sein wird.
Doch Friede ist nicht selbstverständlich. Man muss etwas dafür tun. Und damit komme ich wieder auf Jakobus zurück:
So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber.
Jakobus 2,17
Ich könnte jetzt sagen: Frieden ist gelebter Glaube.
Bei Bach klingt das so:
Im Schweiße meines Angesichts,
will ich indes mein Brot genießen…
4. Recitativo aus BWV 84
Und hier klingt die Musik auch nicht mehr schwebend. Man spürt die schweißtreibende Anstrengung förmlich. Nur wer handelt, kann ins Schwitzen kommen. Glaube bringt uns ins Tun, ins Handeln, ins schweißtreibende Werk der Liebe.
Und wer mich schon länger kennt, weiß, was jetzt kommt. Genau, mein Lieblingszitat von Dietrich Bonhoeffer:
Ein schwerer, verhängnisvoller Irrtum ist es, wenn man Religion mit Gefühlsduselei verwechselt. Religion ist Arbeit. Und vielleicht die schwerste und gewiß die heiligste Arbeit, die ein Mensch tun kann. (Dietrich Bonhoeffer – Barcelona, Berlin, Amerika 1928-1931, DBW Band 10, Seite 484)
Also lasst uns miteinander in Demut und Dankbarkeit aus unserem Glauben heraus in die Glaubensarbeit aufnehmen und das anpacken, was nicht selbstverständlich ist. Lasst uns nicht nur bekennen, sondern im Handeln unser Bekenntnis wirksam werden lassen, damit wir alle miteinander im Frieden singen können:
Ich bin vergnügt in meinem Glücke,
das mit der liebe Gott beschert.
Amen.
Pfr. Martin Dubberke
Predigt am 18. Sonntag nach Trinitatis in der Johanneskirche zu Partenkirchen, Kantatengottesdienst am 19. Oktober 2025, Perikopenreihe I, Jakobus 2,14-26 & Johann Sebastian Bach „Ich bin vergnügt in meinem Glücke“, BWV 84
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