Liebe Geschwister, ein Predigttext aus der Offenbarung des Johannes. Das ist immer eine Herausforderung – und das werdet ihr heute auch in der Predigt merken. Martin Luther selbst hatte ja ein sehr distanziertes Verhältnis zu diesem Buch. In seiner Vorrede zur Offenbarung schreibt er 1522:
An diesem Buch der Offenbarung Johannes lass ich auch jedermann seines Sinnes walten, will niemand an meine Meinung oder Urteil gebunden haben. Ich sage, was ich fühle. Mir mangelt an diesem Buch verschiedenes, so dass ich’s weder für apostolisch noch für prophetisch halte…
(Luther, 1906, S. 404)
Also, was ist es dann dieses Buch, das ausgerechnet am Ende der Bibel steht und ein stückweit das Buch der Bücher mit einem Doppelpunkt enden lässt? Was ist dieses Buch, wenn es weder apostolisch noch prophetisch ist? Warum ist dieses Buch dann in den Kanon der Heiligen Schrift aufgenommen worden und warum ziert dann ausgerechnet eine Darstellung des heutigen Predigttextes die Wand über dem Altarraum unserer Garmischer Christuskirche? Warum ist es dann nicht Jesus der Auferstandene oder Jesus, wie er die Händler aus dem Tempel vertreibt oder gar das letzte Abendmahl, sondern ein Jesus, der auf den ersten Blick eher furchteinflößend aussieht und wenig Hoffnung und Liebe zu verbreiten scheint?
Das scheint auf den ersten Blick voll und ganz dem Wochenspruch aus Jesaja, Kapitel 60, Vers 2 zu widersprechen:
Über Dir geht auf der Herr,
und seine Herrlichkeit erscheint über dir.
Irgendwie habe ich mir diese Herrlichkeit nie so furchteinflößend vorgestellt. Eigentlich macht mir dieser Jesus in der Garmischer Christuskirche eher Angst.
Vielleicht kommen wir dem auf die Spur, wenn wir mal einen Blick auf alle Texte dieses Sonntags wagen und uns nicht nur auf den Predigttext konzentrieren, sondern schauen, was diese Texte alle miteinander verbinden könnte.
Also, begeben wir uns auf Entdeckungsreise! Und die beginnt mit dem Wochenpsalm:
Wolken und Dunkel sind um ihn her,
Gerechtigkeit und Recht sind seines Thrones Stütze.
3 Feuer geht vor ihm her
und verzehrt ringsum seine Feinde.
4 Seine Blitze erleuchten den Erdkreis,
das Erdreich sieht es und erschrickt.
5 Berge zerschmelzen wie Wachs vor dem HERRN,
vor dem Herrscher der ganzen Erde.
Psalm 97, 2-5
Und die nächste Station ist die Lesung aus dem Alten Testament im 2. Buch Mose im 3. Kapitel:
Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. 3 Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4 Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.
Mose 3, 2-4
Schauen wir uns die Epistel aus dem 2. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth im 4. Kapitel an:
6 Denn Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
2. Korinther 4, 6
Und nun das Evangelium bei Matthäus im 17. Kapitel, die Vers 2 und 5:
2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
Und schließlich ein paar Verse aus unserem Predigttext:
12 Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter 13 und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. 14 Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme 15 und seine Füße gleich Golderz, wie im Ofen durch Feuer gehärtet, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; 16 und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.
Ist euch etwas aufgefallen? – Genau: Es geht immer um Erscheinungen. Und es sind verschiedene Erscheinungsformen, in denen sich Gott uns zeigt:
- Wolken und Dunkel
- Feuer
- Blitze
- Berge, die wie Wachs zerschmelzen
- als Flamme im Dornbusch samt Stimme
- Licht, das aus der Finsternis heraus leuchtet
- Seine Kleider wurden weiß wie Licht und die Stimme aus dem Himmel, die noch einmal die gleichen Worte wie bei Jesu Taufe spricht.
- einem Menschensohn gleich, mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel usw.
In allen Texten erscheint dem Menschen Gott oder wird sein Erscheinen beschrieben. Und da stelle ich mir doch die Frage: Wie und wo ist Gott mir erschienen? Wie ist er Euch und Ihnen erschienen?
Es muss doch einen Grund geben, weshalb ich glaube? Und Glaube ist die Summe meines Vertrauens. Ich kann nämlich nur dem glauben, dem ich vertraue. Und so sind Glaube und Vertrauen zwei Worte, die das Gleiche bedeuten. Und interessanterweise ist das Erscheinen Gottes in keinem dieser Texte von einem Menschen gefordert worden, um an Gott zu glauben oder weiter an ihn zu glauben, sondern Gott hat sich den Menschen aus freien Stücken gezeigt.
Naja, aber nicht so ganz ohne Hintergedanken, denn es verband sich jedes Mal eine Absicht mit dem Erscheinen oder auch ein Auftrag. Mit seinem Erscheinen will Gott etwas deutlich machen.
Im Psalm machen Wolken und Dunkel, Blitze und Feuer zum einen die Macht Gottes deutlich. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, was das Fundament dieser Macht ist:
Gerechtigkeit und Recht sind seines Thrones Stütze.
Psalm 97, 2b
Kann das auch nur ein einziger Mächtiger oder eine einzige Mächtige in dieser Welt so klar und deutlich anbieten? Der Blick in die Weltgeschichte und in die Tageszeitungen macht deutlich, dass so mancher Thron auf einem anderen Fundament steht. Und der Psalm macht deutlich, dass wir das auch erkennen können, weil seine Blitze den Erdkreis erleuchten.
Und in diesem Licht können wir das Fundament des Thrones Gottes mit dem Thronen der weltlichen Herrscherinnen und Herrscher vergleichen, mit den Kanzlerinnen und Kanzlern, den Oppositionsführerinnen und -führern, den Bürgermeisterinnen und Bürgermeister u.s.w. Und dann erkennen wir den Unterschied. Gottes Herrschen ist geleitet von Gerechtigkeit, die das Wohl aller im Blick hat, weil es sonst keine Gerechtigkeit wäre. Gott kennt keine Klientelwirtschaft, keine Klientelpolitik, keine Lobbyistinnen und Lobbyisten oder, um es mit den Worten des Psalms zu sagen:
Schämen sollen sich alle, die den Bildern dienen
und sich der Götzen rühmen.
Psalm 97, 7
Und dann können wir noch etwas fürs Leben lernen, womit wir jetzt wieder bei der Dornbuschgeschichte wären.
Und der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. 8 Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.
2. Mose 3, 7-8
Gott sieht das Elend. Ja, ich weiß, dass viele Menschen in dieser Welt und Zeit genau das Gegenteil behaupten und sagen: „Wo soll denn dieser Gott sein? Wo ist Gott in Syrien? Wo ist Gott bei den Flüchtlingen, die im Meer ertrinken? Wenn dieser Gott so großartig und allmächtig ist, wo ist er dann, wo zeigt er sich?“
Ach ja, wie machen es sich die Menschen so einfach, weil sie nicht mehr glauben und nicht mehr vertrauen können. Sie glauben, dass es keinen Gott gibt, weil sie ihn nicht sehen.
Und was ist, wenn es genau umgekehrt ist? Weil die Menschen Gott nicht sehen oder sehen wollen, geht es in dieser Welt so drunter und drüber?
Ich glaube daran, dass Gott dieses Leid, diese Kriege, diesen Missbrauch seiner Schöpfung und Geschöpfe durch den Menschen sieht. Und Gott will uns auch retten. Aber, dazu braucht er uns Menschen. Er hat uns geschaffen, damit wir diese Welt, die großartige Schöpfung Gottes im Sinne Gottes verwalten, hegen und pflegen, gedeihen und leben lassen. Das bedeutet, dass er Menschen braucht, um die Karre, ja eigentlich die Karren aus dem Dreck zu fahren. Und dabei will er uns zeigen wie es geht.
Aber, was tun wir Menschen, wenn wir das erkennen? Wenn uns Gott die Frage stellt, ach was Frage, den Auftrag erteilt, die Sache zu organisieren? 99 Komma X % ziehen den sogenannten Schwanz ein und trauen sich nicht. Ihnen fehlt das Zutrauen, das Vertrauen in sich selbst und vor allem das Vertrauen in Gott. So war es auch bei Mose. Gott sagt zu Mose:
So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.
2. Mose 3, 10
Und wir kennen Moses Antwort:
Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe?
2. Mose 3, 11
Das kennen wir doch alle. Das haben wir doch schon alle mal erlebt, oder? Die Lösung liegt auf der Hand und dann blickt man in die Runde und fragt: „Na, und wer macht mit?“ Und plötzlich haben alle gute Argumente, weshalb sie nicht mitmachen, und das Totschlag-Argument lautet dann: „Hat doch eh keinen Sinn, was sollen wir denn schon ausrichten?“
Und Gott hat eine einfache Antwort darauf, mit der er zugleich auch die Vertrauens- und damit Glaubensfrage stellt:
Ich will mit dir sein.
2. Mose 3, 12
Gott lässt uns keinen Weg alleine gehen. Und dann stellt Mose noch eine Frage, die ich sehr spannend finde: „Wie ist denn der Name, den ich meinen Leuten sagen soll?“
Und Gott sagt: „Ich werde sein, der ich sein werde… Der Herr, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs…“
2. Mose 3, 14-15
Und diese Antwort verleitet mich zu der Frage, ob Moses Leute überhaupt noch von ihrem Gott wussten. Der Hinweis auf den Gott der Väter klingt wie ein Indiz des Traditionsverlusts im Exil. Klingt ein wenig wie in Brandenburg: Der Gott eurer Ururgroßeltern.
Ich werde sein, der ich sein werde. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.
2. Mose 3, 15
Gott erinnert an eine lange Geschichte mit seinem Volk und an eine lange Tradition, die nicht zu Ende sein soll, sondern von einer Generation an die nächste weiter getragen werden soll, weil nur das der Garant von Frieden und Freiheit ist.
Also, Gott wirkt durch uns Menschen in dieser Welt. Es ist, wenn es also drunter und drüber geht, nicht Gottes Versagen, sondern unser ureigenes Versagen. Und für dieses Versagen gibt es ein Wort, das heute keiner mehr hören möchte: Sünde.
Und genau an dieser Stelle kommt die Epistel zum Tragen:
6 Denn Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
2. Korinther 4, 6
Es geht um das Erkennen der Herrlichkeit Gottes. Schon im Wochenpsalm werden wir auf dieses Ziel hingewiesen:
Und alle Völker sehen seine Herrlichkeit.
Psalm 97, 6b
Es geht um das Erkennen und Anerkennen der Herrlichkeit Gottes. Und diese Herrlichkeit ist das Licht, das alle Welt aus der Finsternis herausführt. Es geht mal wieder um einen sehr modernen Begriff: Die Globalität. Wenn ich glaube, dass Gott diese Welt geschaffen hat und sie sogar sehr gut geschaffen hat, dann weiß ich auch, dass alles mit allem zusammenhängt. Es geht auch gar nicht anders, wenn Gott sie geschaffen hat. Das bedeutet aber nicht, dass irgendwelche weltlichen Herrscherinnen und Herrscher globale Machtansprüche haben sollen, sondern mit anderen zusammen die globale Verantwortung zu tragen haben. So wie jeder und jeder von uns mit seinem Denken, Reden, Handeln über seinen eigenen Tellerrand hinausblicken muss.
Und damit komme ich beim Evangelium an:
Auf dem Berg wird Jesus verklärt, es erschienen Mose und Elia und sie redeten mit Jesus. Die Verklärung ist ein Augenblick, in dem das Himmelreich ganz unerwartet in die Gegenwart hereinbricht. Und schon kam Petrus auf die Idee, an der Stelle drei Hütten zu bauen. Jedem von den Dreien eine. Doch für das Unbegreifliche kann es keine Hütten, keine Strukturen geben. Ein solcher Moment ist nicht festhaltbar und nicht wiederholbar. Das war ja das, was Petrus mit seiner Hütte wollte. Er wollte diesen Augenblick festhalten. Heute tut man das anders. Bei mancher Taufe oder Hochzeit sind die Menschen mehr mit Fotografieren beschäftigt als mit dem Eigentlichen. Und wahrscheinlich würde man heute wohl nicht auf die Idee kommen, eine Hütte zu bauen, sondern eher einen solchen Moment als Selfie für Facebook oder Instagram einfangen und mit Hashtags wie #myself (16,9 Millionen auf Instagramm), #jesus (32,5 Millionen), #Mose (65.900mal) , #Elia (107.000mal) oder #Verklärung (etwas mehr als 100mal) versehen.
Tja, und dann spricht aus der Wolke eine Stimme:
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
Matthäus 17, 5
Die Jünger, die Jesus begleitet haben, fielen auf ihr Angesicht, fürchteten und als sie ihre Augen wieder aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.
Damit ist eine ganz klare Aussage von höchster Stelle verbunden: Allein Jesus hat das letzte, gültige Wort. Der Blick gilt Jesus.
Heute, am letzten Sonntag nach Epiphanias endet die Weihnachtszeit. Wir gehen nun wieder auf die Passionszeit zu. Und diese bedeutet ja die Reflexion unseres Handelns, die Frage, wonach wir unser Handeln ausgerichtet haben, woran wir unser Leben orientiert haben, woher wir unsere Hoffnung, unseren Lebensmut nehmen. Wir stehen an der Pforte zur Passionszeit. Das bedeutet, zu fragen, in welchem Kontext wir leben, wozu uns Gott befreit hat, was uns bindet, was wir vergessen und verloren haben, wo wir übermütig, ja vielleicht eitel und überheblich geworden sind.
Aber die Texte geben uns noch ein weiteres Thema auf, nämlich die Rettung aus Unterdrückung, Verfolgung, Leid und Co.
Aus der Hand der Frevler wird Gott die Seelen seiner Heiligen erretten. – Psalm 97, Vers 10.
Gott ist herniedergefahren, um sein Volk aus der Hand der Ägypter zu erretten. 2. Mose, Kapitel 3, Vers 8.
Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. 9 Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
2. Korinther 4, 8b-9
Und schließlich sagt Jesus im Evangelium des Matthäus zu seinen Jüngern:
Steht auf und fürchtet euch nicht!
Matthäus 17, 7b
So, und nun stellt Ihr Euch vielleicht zu Recht die Frage: Und was hat das jetzt alles mit dem Predigttext aus der Offenbarung zu tun?
Alles! – Und hier hilft uns noch einmal der Blick in den historischen Kontext. Die Offenbarung des Johannes entstand während der Regentschaft des römischen Kaisers Trajan – also zwischen 98 und 118 nach Christus. In dieser Zeit wurden die Christen verfolgt. Wer nämlich den Kaiser nicht verehrte, galt als Feind des Römischen Kaisers.
Welchen Gefahren ist unsereins durch das Bekenntnis ausgesetzt?
Wessen Feind sind wir?
Es gibt auch hier in Garmisch-Partenkirchen Menschen, die uns nicht toll finden, die mit unseren Traditionen nichts anfangen können, ja sie sogar als störend und geschäftsschädigend empfinden, wie das Stundenläuten von St. Martin.
Die Offenbarung ist also in eine Zeit der Verfolgung, Bedrohung, Unterdrückung hineingeschrieben worden, als Bekennen des Glaubens zu Gott und das offene Leben als Christin oder Christ lebensgefährlich gewesen ist. Heute liegt in unseren Breiten die Gefährdung eher in der Ignoranz. Damit ist die Offenbarung des Johannes nicht das, was man so gerne als „Apokalypse now“ bezeichnet, sondern es handelt sich um ein Trostbuch, das zugleich aber auch ein Mahnbuch ist, weil der Autor angesichts der Weltlage sieht, was auf die Christinnen und Christen zukommen kann, ohne dabei den konkreten Ablauf der Zukunft zu beschreiben.
Mit den Posaunen, deren Klang über allem Kriegslärm ist, sagt Christus, dass er, dass Gott da ist und man sich darum nicht fürchten muss.
Wir leben in einer Zeit voll Unruhe. Überall haben wir das Gefühl von drohenden Katastrophen und da lasse ich heute mal die Klimakatastrophe außen vor. Wir leben in einer Region, in der es viel Militär gibt. Das gibt es das Marshall-Center und ganz viele Bundeswehrsoldaten. Fast jeder von uns kennt jemanden, der bei der Bundeswehr ist und viele von uns kennen Menschen, die im Auslandseinsatz waren oder gerade sind. Damit wird für jeden von uns fassbarer, was wir abends im heute-Journal sehen oder in der Zeitung lesen. Auch wenn es immer noch für uns weit weg ist und am vielzitierten Ende der Welt stattfindet, ist es für uns nicht nur eine Nachricht, sondern mit konkreten Menschen aus Fleisch und Blut verbunden.
So, und dann kommen da lauter Menschen, Mahner, Aktivistinnen, Politiker, Pfarrer, die sagen, meinen, wissen, glauben, was zu tun ist, was wir oder sie zu tun, zu lassen, zu wählen haben. Es gibt Menschen, die bewusst Panik auslösen wollen und das auch so öffentlich in die Mikrophone der Verstärker und der Medien zur ganzen Welt sagen. Damit werden wir verführbar, erpressbar und je leichter die Lösung klingt, desto gefährlicher ist sie.
Das Buch der Offenbarung, das Wort des Sehers soll Trost sein. Gott ist immer dabei. Also, genau das, was alle anderen Texte heute auch gesagt haben.
Der Predigttext ist eine Hilfe gegen unsere Angst heute, denn Weltuntergangsstimmungen gab es schon immer und zu allen Zeiten. Der Autor der Offenbarung zeigt uns, wie wir uns in so einer Stimmung verhalten können. Die Offenbarung entstand wie gesagt während der Christenverfolgung. Wir werden heute in unserem Land nicht unbedingt als Christinnen und Christen mit dem Tod bedroht. Aber wir sind schon eine bedrohte Spezies. Die Mitgliederzahlen in den Gemeinden – auch unserer Gemeinde – sinken rapide. Wo das hinführt, kann sich jeder von uns ausmalen.
Wir stehen aber auch unter Beobachtung, wenn wir nicht das tun, was man von uns erwartet, wie z.B. beim Thema Kindesmissbrauch – und dabei ist es vollkommen egal, ob katholisch oder evangelisch. Da erwartet man von uns zurecht, das rechte Handeln und Wandeln.
Wir stehen aber auch unter Beobachtung, wenn wir das tun, was unser Glaube fordert. Nämlich Menschen zu retten, wie es die EKD – auch mit Begleitung und Unterstützung der Katholischen Kirche im Fall von united4rescue macht. Da werden Morddrohungen gegen unseren Bischof ausgesprochen, weil er nur das tut, was eine zentrale Grundlage unseres Glaubens, unserer Praxis Pietatis ist.
Also, halten wir fest: Uns Christinnen und Christen verfolgt die gepflegte Ablehnung und Gegnerschaft, wo wir Sünde auf uns nehmen und auch dort, wo wir dem Glauben gemäß handeln.
Und damit bin ich bei einem ganz zentralen Punkt angekommen: Glaube macht die Welt nicht einfacher. Glaube hält keine einfachen Lösungen bereit. Und noch etwas kommt hinzu: Glaube muss nicht gefallen oder gefällig sein, sondern ist unbequem, herausfordernd und hält denen, die meinen alles besser zu wissen und die Weisheit bis zur Selbstgerechtigkeit hin mit Löffeln gefuttert zu haben, den Spiegel hin. Genau das hat Jesus auch gemacht. Jesus war nicht angenehm und auch nicht angepasst, sondern unbequem. Und genau deshalb sind ihm die Menschen gefolgt, weil er keine leichten Lösungen verkauft hat, weil er kein billiger Menschenverführer war, sondern gemeint hat, was er gesagt und getan hat. Sein Ja war ein Ja und sein Nein war ein Nein, weil nämlich alles andere von Übel ist. Nicht so wie heute gerne mit dem „Naja, wir könnten ja“, das dann aber zu einem umfallenden Jein ohne wirkliche Konsequenz wird. Und „wirklich“ ist hier wörtlich zu nehmen: Wirklich – da steckt das Wort wirken drin. Und damit wird auch deutlich, was „Wirklichkeit“ ist. Das ist der Moment, in dem das Wirken zur Wirkung gelangt ist. Also, wie sieht unsere christliche Wirklichkeit aus?
Der Autor der Offenbarung schildert seine Zeit und Welt mit uns fremden oder befremdlichen Bildern. Und er kann nicht voraussagen, wie die Zukunft aussehen wird. Das kann kein Mensch, weil für uns alle die Zukunft im Dunkeln liegt. Uns fehlen zu viele Informationen und Fakten, um das zu können, was nur Gott allein wissen kann. Wir fallen immer wieder darauf rein, weil wir in allem von unseren Ängsten geprägt sind, die uns bei einer objektiven Sicht behindern. Alles, was wir können, ist, Tendenzen zu erkennen, die Handeln notwendig machen. Im Gegensatz zur Weitsicht Gottes, leben wir gewissermaßen geradezu auf Sicht.
Und so ist es auch mit dem Autor der Offenbarung. Seine Perspektive ist ein Ausdruck seiner Angst. Angst aber führt nicht zu Lösungen, weil uns Angst – oder Panik – blockiert. Wer jemals in seinem Leben eine Angstattacke durchlitten hat, weiß, was ich meine. Da geht dann gar nichts mehr und man entwickelt, wenn überhaupt noch möglich, die unterschiedlichsten Szenarien, die sich genauso anfühlen oder aussehen können, wie der Autor der Offenbarung es schildert. Man meint dann wirklich, dass nun die Welt für einen untergeht. Das ist der Moment, in dem deutlich wird, die eigene Hoffnung nicht an dieser Welt festzumachen, sondern an Gott.
So gesehen, ist die Offenbarung ein Buch über eine äußerst intensive Glaubenserfahrung, und darin vielleicht sogar das intensivste Buch der Bibel – ähnlich dem Buch Hiob – , das man nur aushalten kann, wenn man all das, was vor diesem Buch geschehen ist, gelesen hat oder kennt. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb es das letzte Buch im Buch der Bücher ist.
Damit wird dieses Buch auch zu einer Herausforderung unseres Glaubens, meines Glaubens: Soll ich das glauben? Kann ich das alles glauben? Ja, das kann ich glauben. Da liegt kein Muss dahinter, sondern ein „darf“. Ich darf glauben, was Jesus dem Autor der Offenbarung gesagt hat, weil ich es oft genug in meinem Leben am eigenen Leib, an eigener Seele erfahren habe:
„Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit.“
Offenbarung 1, 18
Amen.
Pfr. Martin Dubberke, Predigt am Letzten Sonntag nach Epiphanias 2020 über Offenbarung 1, 9-18, Perikopenreihe II in der Christuskirche Garmisch & Johanneskirche Partenkirchen, 2. Februar 2020