Pfr. Martin Dubberke
Dietrich Bonhoeffer | Bild: Martin Dubberke

Von guten Mächten

Liebe Geschwister, wenn ein jegliches seine Zeit hat und alles Vorhaben unter dem Himmel seine Stunde, in welcher Zeit leben wir dann jetzt? Und welches Vorhaben hat jetzt unter dem Himmel seine Stunde?

Dieses Jahr hat uns in vielerlei Hinsicht sehr gefordert. Unsere Regierung hat viele Überraschungen für uns bereitgehalten, über die wir uns nicht immer freuen oder gefreut haben. Der Krieg in der Ukraine geht nun schon in seinen zweiten Winter. Zum zweiten Mal haben die Menschen Kriegsweihnachten in getrennten Familien gefeiert und werden auch heute in das neue Jahr gehen mit der Hoffnung, dass dieser Krieg endlich mal ein Ende haben wird und sie wieder nach Hause zu ihren Familien zurückkehren können.

Der Krieg in der Ukraine hat auch in unserem Land Spuren hinterlassen mit all den Flüchtlingen, die zu uns gekommen sind, und die wir untergebracht haben, die mitten unter uns leben. Auch wenn wir keine Zeitung lesen würden und kein Fernsehen schauen würden, würden wir es auf unseren Straßen und in den Geschäften mitbekommen, weil uns so viele Menschen begegnen, die entweder Russisch oder Ukrainisch sprechen oder ganz andere Sprachen, weil auch Menschen aus anderen Orten und Ländern bei uns Zuflucht gesucht haben und noch immer suchen. Die Welt ist wie verrückt und keiner kann sich dem entziehen.

Und auch der Krieg in Gaza ist in unserem Land nicht ohne Spuren geblieben. Wir erleben, wie mit einem Male ein Antisemitismus in unserem Land offen wird, von dem wir doch geglaubt hätten, dass er weitestgehend der Vergangenheit angehören würde. Noch immer habe ich die Bilder der Demonstrationen in meiner Heimatstadt Berlin oder in Köln vor Augen. Noch immer habe ich die Bilder vor Augen, wie jemand vor dem Augsburger Rathaus den Fahnenmast hochklettert, um die daran hängende israelische Flagge runterzureißen und sie anzustecken und eine Frau, die ihn unten versucht, davon abzuhalten, indem selbst an der Flagge zerrt und sagt: „Du kannst ja gerne anderer Meinung sein, aber so etwas tut man nicht.“ Tausende von Menschen haben sich in den sozialen Medien über diese Frau lustig gemacht. Was ist aus unserer Gesellschaft geworden?

Wir erleben die Veränderung des Klimas. Dieses Jahr ist das wärmste Jahr in Deutschland gewesen, seitdem seit 1881 in unserem Land die Wetterdaten systematisch erfasst werden. Mehr als zwei Grad war es in diesem Jahr wärmer.

Wir erleben, wie sich das Wetter auch in unserem Land verändert und seine Spuren hinterlässt, wenn Regenfälle das Land fluten, die Deiche brechen lässt und noch immer Menschen daran Gefallen finden in unserem Land die Rettungsarbeiten zu behindern, weil sie auf der Suche nach dem ultimativen Thrill, dem ultimativen Foto für ihren Socialmedia-Kanal sind, wenn sie dabei sich und andere gefährden. Was ist aus unserem Land geworden?

Wir erleben, wie unser Land nach rechts abdriftet, weil die Menschen sich von der Politik nicht mehr ernstgenommen fühlen. Wir erleben, wie sich die Parteien gegenseitig dafür die Schuld in die Schuhe schieben, statt ehrlich in den Spiegel zu schauen und zuzugeben, dass sie mit ihrer Politik, mit ihrer Art, wie sie den Menschen in unserem Lande begegnen, es den anderen leicht machen, eine Stimme nach der anderen einzusammeln. In unserem Land ist ein Umdenken gefordert, damit wir unsere Freiheit und unsere Demokratie nicht verlieren, die wir nach dem Leid der Jahre von 1933 bis 1945 erworben haben.

Wir erleben, wie in unserem Land alles teurer wird. Und wer bei uns im Ort an der Fernwärme hängt, wird wie ich kürzlich einen Brief von den Gemeindewerken erhalten haben, dass sich die Fernwärme ab dem vierten Quartal 2023 um 40% erhöht hat. Das bedeutet bei mir 200 Euro mehr im Monat. Und so summiert sich eines zum anderen.

Und nicht zuletzt blicken wir auf die Sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, die erste, die ökumenisch gewesen ist. Sie konfrontiert uns damit, dass die Menschen nicht nur die Bindung zu den Kirchen verloren haben, sondern auch die Bindung zur Religion.

Der Glaube spielt eine immer geringere Relevanz im Leben der Menschen in unserem Lande. Auch das hat Folgen für unser Land, aber auch unsere Kirchen und damit am Ende auch für unsere Kirchengemeinde. Wir werden das in der nächsten Zeit deutlich zu spüren bekommen, was es bedeutet, dass immer weniger Menschen der Kirche angehören. Wir können es u.a. auch daran erkennen, dass uns von vier Pfarrstellen innerhalb von nicht einmal fünf Jahren nur noch zwei Pfarrstellen geblieben sind. Wir können es auch daran erkennen, dass uns von Jahr zu Jahr weniger Geld zur Verfügung steht. Und wir können es daran erkennen, dass die Erwartungen an uns Pfarrer und Pfarrerinnen gestiegen sind, all das aufzufangen, all das zu tun, was die Pfarrer vor zehn, zwanzig, dreißig, vierzig oder mehr Jahren getan haben. Das ist heute in dieser Form nicht mehr möglich.

Kirche wird sich verändern und Gemeinde wird sich verändern müssen. Ich habe davor keine Angst, denn ich sehe in dieser Veränderung die große Chance, dass Gemeinde wieder Gemeinde wird, ein Ort, an dem viele etwas tun, viele Initiative ergreifen, Angebote machen, sich miteinander auf den Weg machen.

Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. In welcher Zeit leben wir jetzt? Und welches Vorhaben hat jetzt unter dem Himmel gerade seine Stunde?

Blicken wir vielleicht zu sehr auf das Düstere, auf das nicht Gelingende? Lassen wir uns von dem Geschehen in dieser Welt, von dem Geschehen um uns herum, vielleicht zu sehr deprimieren, zu sehr zu Pessimisten machen? Natürlich ist es ein Problem, dass gerade wir Christinnen und Christen auch einen Blick auf das Tun und Ergehen haben. Wir sind geschult an den Katastrophen des Alten Testaments. Wir sind geschult an Sodom und Gomorrha. Wir haben gelernt, dass Systeme, die nicht nach Gottes Geboten leben, untergehen wer-den. Wir haben aber auch an Ninive lernen dürfen, dass die Umkehr, die Besinnung auf den Weg Gottes, die Werte unseres Glaubens, vor dem Unter-gang retten kann.

Ich habe immer wieder in diesem Jahr die Erfahrung gemacht, dass man früher oder später in seinen Gesprächen bei bestimmten politischen Themen landet und dann irgendwann einer in der Runde sagt: „Ich will gar nicht mehr darüber reden, weil es mich deprimiert, weil es mich einfach runterzieht.“

Ja, so ist es. Und dabei sind unsere Zeiten nicht im Ansatz so schlimm wie in den dunklen Jahren zwischen 1933 und 1945 in unserem Land, als Dietrich Bonhoeffer, Christ und Pfarrer, in Berlin-Tegel im Gefängnis gesessen hat, er die Schreie seiner Mitgefangenen gehört hat, wenn sie gefoltert wurden, wenn er das Weinen seiner Zellennachbarn gehört hat, wenn sie zur Hinrichtung aus ihrer Zelle abgeholt wurden. Dietrich Bonhoeffer wusste sehr genau, was auf ihn zukommen und kann und wohl auch würde, vor allem als nach dem 20. Juli 1944 durch den Fund der Zossener Akten die Gestapo den Beweis dafür hatte, dass er Mitglied einer Widerstandsgruppe war. Er wusste, dass jeder Tag, sein letzter Tag sein könnte. Er wusste, dass jede Nacht, seine letzte Nacht sein könnte. Und dennoch wurde er getragen von seinem Glauben. Er hatte sein Leben ganz in Gottes Hand gelegt. Daran erinnere ich in jedem Gottesdienst, wenn ich nach dem Sündenbekenntnis mit Euch seine Worte bete:

Ich traue deiner Gnade
und gebe mein Leben
ganz in deine Hand.
Mach du mit mir, wie es dir gefällt
Und wie es gut für mich.
Ob ich lebe oder sterbe, ich bin bei dir,
und du bist bei mir, mein Gott.
Herr, ich warte auf dein Heil
und dein Reich.

(Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, 1998, S. 208)

Das ist Gottvertrauen, Gottvertrauen pur. Gelingt es uns selbst auch, Gott so zu vertrauen? Ich glaube, dass in Zeiten wie diesen unser Gottvertrauen herausgefordert ist und unser Gottvertrauen unsere Lebensentscheidungen, unser Denken und Handeln prägen sollte. Mehr Gottvertrauen stärkt auch das Vertrauen zwischen uns Menschen. Sich der Gnade Gottes anzuvertrauen, bedarf unseres ganzen Mutes. Sich Gottes Gnade anzuvertrauen, bedeutet, sich von der dunklen Seite des Lebens zu lösen und sich der hellen Seite zuzuwenden: Der Hoffnung.

All das bringt Dietrich Bonhoeffer im letzten Text seines Lebens, den er am 19. Dezember 1944 im Gefängnis geschrieben hat, zum Ausdruck:

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

(Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, 1998, S. 607f.)

Diese Gewissheit wünsche ich Euch allen von ganzem Herzen für das neue Jahr.

Ach ja, da war doch noch meine Frage, die ich am Anfang meiner Predigt gestellt habe. Sicherlich habt Ihr schon auf die Antwort gewartet, in welcher Zeit wir jetzt gerade leben, oder?

Wir leben jetzt in einer Zeit der Hoffnung, in einer Zeit, in der wir mehr denn eingeladen sind, mutig an die guten Mächte zu glauben, daran, dass wir von diesen guten Mächten treu und still umgeben sind, behütet und wunderbar getröstet.

In dieser Hoffnung und Gewissheit lasst uns mit-einander in das neue Jahr gehen.

Amen.

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am Altjahresabend 2023 in der Friedenskirche zu Burgrain und der Johanneskirche zu Partenkirchen über Prediger 3, 1-15, Perikopenreihe VI

Pfr. Martin Dubberke
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