Pfr. Martin Dubberke
© Martin Dubberke

Ostern!

Er ist auferstanden, wahrhaftig auferstanden! Es ist kaum zu glauben, aber er ist auferstanden. Der Felsen vor seinem Grab ist weggeräumt. Der Engel sitzt darauf und erwartet die Frauen, um ihnen die gute Botschaft mitzuteilen, dass Jesus von den Toten auferstanden ist und nun auf dem Weg nach Galiläa unterwegs ist.

Wer mich kennt, weiß, dass ich – wie viele Theologen – ein großer Krimi Fan bin. Ich mag die Krimis von Andrea Camilleri, von Georges Simenon, Agatha Christie oder dem guten Sir Arthur Conan Doyle. Eine besondere Liebe verbindet mich aber mit den Lord Peter Wimsey-Romanen von Dorothy L. Sayers, die ich zuerst in Gestalt der Fernsehserie mit Ian Carmichael kennen gelernt habe. Als Schüler verschlang ich diese Bücher. Später in meinem Studium begegnete ich dann durch Zufall einem Briefwechsel zwischen dem großen Krimi Fan und wohl bedeutendsten Theologen des vergangenen Jahrhunderts Karl Barth mit Dorothy L. Sayers. Wie kam es dazu? Die Königin des britischen Kriminalromans war auch eine herausragende theologische Essayistin, die sich intensiv mit dem Thema Ostern auseinandergesetzt hat. Zu ihren wichtigsten Texten in dieser Hinsicht gehören „Das größte Drama aller Zeiten“ und „Der Triumph von Ostern“. Beide Essays habe ich gestern zusammen mit den Texten der Perikopenordnung als Vorbereitung auf Ostern gelesen. Dabei bin ich über ein paar Stellen gestolpert, die mich zum Nachdenken gebracht haben:

Er war als Mensch seiner Lebtage in der nachdrücklichsten Weise – kein langweiliger Mensch. Und wenn er Gott war, dann ist Gott keine langweilige Angelegenheit. Es »zeigt sein Leben täglich eine Schönheit, die ganz hässlich macht«, und die offizielle Welt fühlte, dass die bestehende Ordnung sicherer ohne ihn als mit ihm zu erhalten sei. So haben sie denn im Namen von Frieden und Ruhe mit Gott aufgeräumt! (Dorothy L. Sayers, Das größte Drama aller Zeiten, Zürich 1982, S. 31)

Dorothy L. Sayers bringt es auf den Punkt. Jesus starb am Kreuz, weil er aus Sicht der Herrschenden, die sie so elegant die „offizielle Welt“ nennt, die bestehende Ordnung und damit ihre Ordnung in Frage stellte und damit für sie zu einem veritablen Sicherheitsproblem geworden war. Doch dann kommt der eigentliche Hammersatz, der ja auf der Hand liegt, den ich aber in dieser schonungslosen Klarheit noch nie gelesen habe: „So haben sie denn im Namen von Frieden und Ruhe mit Gott aufgeräumt!“ Das klingt wie in einem alten Mafia-Film, wo der Pate jemanden aus dem Weg räumen lässt, der ihm und seinem System gefährlich werden kann oder so wie in den Thrillern und Politfilmen, in denen ein ganzer Staat einen Mann aus dem System verfolgt, der zu viel weiß. Doch Sayers pointiert es: Sie haben nicht nur für Ruhe und Ordnung gesorgt, sondern gleich noch den aus dem Weg geräumt, den sie als Banner, als Schild ihrer Ordnung vor sich hergetragen haben: Gott. Welch eine Ironie eines verkrusteten Betonsystems. Soweit kann es kommen, wenn man nicht weiß, wie Gott aussieht, dass man ihn am Ende nicht erkennt.

Aber, wie Ostern dann deutlich macht, ist Gott nicht nur am Kreuz gestorben, sondern auch wieder von den Toten auferstanden. Und genau damit haben die Herrschenden jener Zeit nicht gerechnet. Den, den sie aus dem Weg räumen wollten, weil er ihren Machtmissbrauch aufgedeckt hat, ihre Verlogenheit, um sich selbst retten zu wollen, der, der ihnen deutlich gemacht hat, dass sie sich selbst am allerweitesten von Gott entfernt hatten, so weit weg von ihm, dass sie ihn nicht einmal mehr erkennen würden, wenn er vor ihnen steht, dieser eine Gott war nicht totzukriegen, sondern ist auferstanden und wiedergekommen.

Was für eine kraftvolle Aussage doch dahinter steht. Ich kann Gott leugnen. Das hat uns Petrus vorgemacht, aber ich kann ihn nicht aus dem Weg räumen. Er kommt wieder und wieder. Was für eine großartige Inszenierung. Gott ist nicht tot zu kriegen. Und damit ist eine sensationelle Botschaft verbunden: Gott ist Freiheit! Du kannst Gott nicht dazu missbrauchen, andere zu unterdrücken, sie zu gängeln. Gott ist der größte Garant der Freiheit und des Friedens, wenn man sich auf ihn einlässt. Sich auf ihn einzulassen, bedeutet aber, Mut zu haben und mit jeder Faser seines eigenen Seins diese Freiheit leben zu wollen. Das ist auch heute noch gefährlich, weil es Menschen gibt, denen das nicht gefallen will.

Die Jünger Jesu, die nach seinem Tod ziemlich demoralisiert waren, begegneten nun dem Auferstandenen Jesus, der Mensch und Gott zugleich ist, und standen jetzt Gott Auge in Auge gegenüber. Das war das, was ihnen den Mut gab, sich nun voll und ganz auf den Weg zu machen. Sonst würden wir heute vielleicht, wenn überhaupt, von diesem Jesus, seiner Kreuzigung und mutmaßlichen Auferstehung in den Geschichtsbüchern lesen und mit Befremden denken: Und das haben die wirklich geglaubt?

Doch, weil sich den Jüngern der Auferstandene gezeigt hat, war klar, dass es keine Macht der Welt geben würde, diese Botschaft der Freiheit dauerhaft leugnen und aufhalten zu können.

Du meinst, weil wir heute noch immer nicht am Ziel sind, dass es vielleicht doch nicht so wirksam war? Da muss ich dich enttäuschen. Was sind schon zweitausend Jahre vor dem Hintergrund der Ewigkeit. Und bedenke mal, wie lange es gebraucht hat, bis es dir gelungen ist, sich das Rauchen abzugewöhnen. Das ist Dir auch nicht beim ersten Mal gelungen.

Du findest mich vermessen, so einen Vergleich zu machen? Ich frage dich zurück: Was soll daran vermessen sein? Es geht um den Menschen. Ich glaube, mich erinnern zu können, dass es dir beim vierten Anlauf gelungen ist, das Rauchen bleiben zu lassen. Und dann überlege mal, warum es dir immer wieder nicht gelungen ist, obwohl du weißt, wie ungesund es ist. Dann warst du auf einem guten Weg und was ist passiert? Genau, du bist in einen Gruppenzwang geraten. Alle um dich herum haben geraucht und was hast du gemacht? Siehst’e, du dachtest, die eine Zigarette und du wolltest nicht außen stehen, sondern dazu gehören. Ich sehe, du fängst an, mich zu verstehen. So ist es mit allem anderen auch. Der Mensch ist nicht immer stark. Ganz viele Menschen haben nicht den Mut dazu. Das muss wachsen. Und schau mal, du bist nur ein einzelner Mensch, der das Rauchen aufgegeben hat. Jetzt überlege mal, wie viele Menschen es auf Gottes weiter Erde gibt, und auf welche Weise die verzahnt, verbandelt und so weiter sind, welchen Zwängen sie unterliegen, denen sie sich entziehen müssen. Denke an die vielen unterschiedlichen Kulturen, die es auf dieser Welt gibt, die vielen verschiedenen Religionen, die eigentlich alle vom Frieden und von der Freiheit träumen. Dann verstehst du auch, weshalb es heute noch keinen weltumspannenden Frieden und keine weltumspannende Freiheit gibt, weil es noch genug Menschen gibt, die glauben, dass sie die Macht in ihren Händen halten und vor allem halten müssen.

Du meinst, das sei krank? – Das mag man sehen wie man will. Ich persönlich glaube ja, dass Machtmissbrauch immer eine Form von Ohnmacht ist, eine Form, die aus der Angst heraus entsteht, keine Macht zu haben, sondern unter die Macht eines anderen zu geraten, der seine Schweinereien alle aufdeckt. Ich glaube, dass Machtmissbrauch seinen Ursprung in erfahrener Lieblosigkeit hat, die keine Sicherheit bot, sondern Misstrauen schuf, das einem Menschen den Mut nahm, Liebe und damit Vertrauen zu wagen. Naja, und früher oder später wurden und werden dann die ganzen Schweinereien, Korruptionen, uns so weiter alle aufgedeckt… Und komischerweise, waren an der Aufdeckung immer oder zumindest meistens Christen beteiligt…

Du willst von mir wissen, was nun aus unserer Schuld geworden ist, nachdem Jesus, wahrer Mensch und wahrer Gott gekreuzigt wurde und wiederauferstanden ist? Naja, was hat denn Jesus in seinem letzten gemeinsamen Abendmahl mit seinen Jüngern gesagt?

Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut,
das vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

Das ist doch eine sehr eindeutige Antwort oder? Jesus hat sich für uns geopfert, damit wir einen neuen Anfang haben können, damit unsere Sünden vergeben sind, keiner dem anderen mehr etwas vorwerfen muss. Gott hat mit dem Tod seines Sohnes unsere Sündenschuld bezahlt. Und genau an dieser Stelle finde ich die Schlussfolgerung, zu der Dorothy L. Sayers in ihrem Essay „Der Triumph von Ostern“ kommt, hilfreich:

Und wenn nun ein anderer für uns hingeht und vollständig, freiwillig und freigebig für uns bezahlt, so ist doch die Schuld immer noch unsere Schuld. (Dorothy L. Sayers, Das größte Drama aller Zeiten, Zürich 1982, S. 42)

Durch Jesu Tod sind wir gewissermaßen schuldenfrei, aber es bleibt dabei, dass wir diejenigen waren, die die Schulden gemacht haben. Es ist immer noch unsere Schuld, die Gott dazu gebracht hat, seinen Sohn zur Vergebung unserer Sünden am Kreuz zu opfern. Das dürfen wir nie vergessen. Auch, wenn uns vergeben ist, so war es unser Verhalten, unsere Gottesferne im Kopf, in der Seele, im Handeln, die zu seinem Tod geführt haben.

Der Blick auf das Kreuz, ist wie ein Blick in den Spiegel. Das Kreuz erinnert uns daran, dass Jesus für jeden einzelnen von uns an unserer Stelle daran gestorben ist. Das Kreuz und die Auferstehung, bedeuten für uns eine maßlose Erleichterung, ein Aufatmen, dass dieser Kelch noch einmal geradeso an uns vorrübergegangen ist. Damit ist eine unbeschreibliche Freude und Dankbarkeit verbunden, die sich nun in unserem Handeln zeigen darf. Die Last, die uns von den Schultern genommen worden ist, die Last des Kreuzes unter der sogar Jesus zusammengebrochen ist, macht uns frei, ohne jeden Ballast die Liebe zu wagen, zu der uns Jesus  eingeladen hat und auf diese Weise die Welt zu verändern. Paulus hat im 13. Kapitel seines ersten Briefs an die Korinther diese Liebe beschrieben:

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Zu dieser Liebe hat uns Jesus durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung wieder fähig gemacht.

Du fragst mich ernsthaft, ob ich daran glaube, dass Jesus Gottes Sohn war und nicht nur am Kreuz gestorben ist, sondern auch noch von den Toten auferstanden ist? Ja, ja, das glaube ich von ganzem Herzen. Ob Du das glaubst, das ist deine Sache. Lass mich an der Stelle noch ein letztes Mal Dorothy L. Sayers zitieren:

Niemand ist gezwungen, auch nur ein einziges Wort dieser merkwürdigen Geschichte zu glauben. Nach der Lehre der Kirche hat uns Gott geschaffen in der völligen Freiheit, nicht an ihn zu glauben, solange es uns passt. Wenn wir nicht an ihn glauben, dann hat er und dann haben wir die Folgen zu tragen. (Dorothy L. Sayers, Das größte Drama aller Zeiten, Zürich 1982, S. 32)

Genauso sehe ich das auch.

Osternotiz vom 16. April 2017