Pfr. Martin Dubberke

Niemand interessiert sich für die Boten

Jesus erzählte ihnen noch ein anderes Gleichnis:

Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes vorbereitete.Er schickte seine Diener, um die eingeladenen Gäste zur Hochzeit rufen zu lassen. Sie aber wollten nicht kommen.

Da schickte er noch einmal Diener und trug ihnen auf: Sagt den Eingeladenen: Mein Mahl ist fertig, die Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit!Sie aber kümmerten sich nicht darum, sondern der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden, wieder andere fielen über seine Diener her, mißhandelten sie und brachten sie um. Da wurde der König zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen.

Dann sagte er zu seinen Dienern: Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, aber die Gäste waren es nicht wert (eingeladen zu werden). Geht also hinaus auf die Straßen und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein. Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen. Als sie sich gesetzt hatten und der König eintrat, um sich die Gäste anzusehen, bemerkte er unter ihnen einen Mann, der kein Hochzeitsgewand anhatte. Er sagte zu ihm: Mein Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand erscheinen? Darauf wußte der Mann nichts zu sagen.

Da befahl der König seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße, und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen. Denn viele sind gerufen, aber nur wenige auserwählt. (Mt 22, 1-14)

Im Rahmen meiner Vorbereitung habe ich lange über diesem Text gesessen, meditiert, gebrütet, nachgedacht. Ich habe in den Kommentaren geblättert, Predigtmeditationen gelesen, also Texte, die einen mit ihrer Schrecklichkeit aufregen sollen, um einen dann schließlich selbst auf gute Gedanken zu bringen. Ich habe mir sogar Predigten im Internet angeschaut. Und bei all diesen meist sehr schlauen und gründlich erarbeiteten Texten ist mir immer ein und das gleiche aufgefallen. Sie alle lassen etwas unberücksichtigt. Alle verhandeln sie die Einladung, die Absagen, die Einladung der Massen und den Rauswurf des Einen, der nicht in angemessener Kleidung daherkommt. Sie alle grübeln über den letzten Vers des Textes: „Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“ Und in all der Reichhaltigkeit lassen sie etwas aus: Die Boten.

Niemand legt seinen Schwerpunkt auf die Boten. Niemand interessiert sich für die Boten. Alle schreiben über den Zorn des Königs, also Gottes oder irgendeine Kleiderordnung, aber niemand widmet sich den Boten. Irgendwo fällt einmal so ein Satz, wie „Sie sind zuverlässig.“ Aber nicht viel mehr. Haben diese Boten nicht sehr viel mehr Beachtung und Würdigung durch uns Prediger verdient?

Sie waren es, die für ihren Herrn, für die Ausführung ihres Auftrags ihr Leben eingesetzt und zum Teil auch verloren haben. Sie sind beschimpft worden. Sie mußten sich die schlechten und verlogenen Ausregen anhören. Sie hatten es auszuhalten.

Sie sind für ihren Herrn in die… – naja, sie wissen schon, was ich meine – gegangen. Auch heute gehen immer wieder andere, zum Teil auch mit unserem Auftrag los. Ich denke hier nur an die NATO-Truppen im Kosovo. Ich weiß nicht, inwiefern sich dieser Text auch auf diese Situation anwenden läßt, ob er uns bei dieser Frage etwas neues aufschließt. Dafür habe ich mich mit dieser Frage nicht in ausreichendem Maße auseinandergesetzt, um hier verantwortungsvoll den Text diesbezüglich auszulegen.

Ich weiß nur, daß sich niemand mit den Boten, den Knechten auseinandergesetzt hat. Und ich frage mich: Warum?

Denkt keiner der Autoren und Predigerinnen daran, daß er auch so ein Knecht ist, der vom Herrn gesandt ist? Es ist doch unser Job, zur Hochzeit einzuladen. Und was heißt Hochzeit anderes in diesem Zusammenhang, als daß es höchste Zeit ist. Es ist höchste Zeit. Schauen wir doch hier und heute in die eigenen Reihen. Wieviele sind denn zur Hochzeit, zum Gottesdienst gekommen?

Diese Knechte, diese Boten, haben alles eingesetzt, was sie hatten, um die Nachricht an den Mann oder die Frau zu bringen. Sie haben ihre Ehre und ihr Leben eingesetzt. Sie haben etwas riskiert.

Was haben wir aber heute als Boten, als Prediger, als Gemeinde, die wir doch nichts anderes sind als eine Versammlung aller zum Botendienst berufener, noch zu riskieren?

Manchen wird jetzt das Beispiel Bonhoeffer durch den Kopf gehen. Ja, der hat viel riskiert und auch sein Leben verloren. Aber das war eine andere Zeit. Eine Zeit mit anderen Gefahren.

Ich glaube, wir riskieren heute nichts mehr, weil wir als Boten glauben, nichts mehr riskieren zu können, weil es nichts mehr zu riskieren gibt. Doch das ist ein Trugschluß. Wenn wir das wirklich glauben, dann können wir den Laden zumachen. Eben weil wir nichts mehr riskieren, haben wir unser Profil als Kirche und Gemeinde meistenorts verloren, sind wir an vielen Orten unglaubwürdig geworden, werden wir nicht mehr ernst genommen.

Wenn wir aber unglaubwürdig in unserem Leben, Reden, Handeln geworden sind, dann haben wir Gott unglaubwürdig gemacht. Dann nehmen wir selbst das Heiligste nicht mehr ernst. Dann stellt sich die Frage, welche Rolle Gott überhaupt noch in unserem Leben, in unseren Gemeinden, in unserer Kirche spielt.

Ich glaube, daß wir eine mutlose Gemeinde Christi geworden sind. Und damit meine ich nicht uns im besonderen, sondern uns alle als ein Teil des Ganzen. Haben wir als Boten am Ende vielleicht die Botschaft vergessen?

Ich glaube nicht. Ich hoffe, daß es nicht so ist. Der Text macht mir deutlich, wie wichtig es ist, daß wir uns mit unserem eigenen Botinnen- und Botensein auseinandersetzen müssen. Denn wir machen alle nur wenige gute Erfahrungen, wenn wir von der guten Botschaft sprechen, die uns umtreibt. Wenn ich, der ich mein Geld außerhalb der Kirche verdiene, und mich nicht nur als Christen, sondern noch viel schlimmer, als Theologe oute, mache ich immer wieder die Erfahrung, daß ich beschimpf und beleidigt werde für das, was in der Kirchengeschichte von Männern angerichtet wurde, die meinten, im Sinne Christi zu handeln. Dann höre ich immer, daß wir doch die längste Blutspur aller hinter uns herzögen. Wir haben doch die Kreuzzüge gemacht. Wir haben doch die Inquisition erfunden.

Gleichzeitig wird der Mensch als Ganzes in Zweifel gezogen. Wer heute noch an diesen Humbug namens Gott glaubt, der kann doch nicht ganz rund laufen. Da wird man belächelt wie einer, der es immer noch nicht kapiert hat. Da wird oft der Rest aller Kompetenz in Frage gestellt.

Ja, ich denke, daß es heute nicht leichter geworden ist, ein Bote Gottes zu sein. Ja, und ich glaube, daß es schmerzhaft ist, sich mit dem eigenen Bote-Sein auseinanderzusetzen, weil damit aller Verletzungen angesprochen und auch wieder berührt werden. Doch das darf uns nicht davon abhalten, weiter Bote zu sein und uns von unseren Erfahrungen zu berichten uns darüber auszutauschen. Damit wir nicht aufhören, Boten zu sein und uns trotz aller Gefahr immer wieder trauen, den Auftrag des Herrn auf’s Neue anzunehmen und in die Welt hinauszugehen, weil wir hoffen und glauben, nicht nur berufen, sondern auch auserwählt zu sein.

Amen.


Predigt zum 2. Sonntag nach Trinitatis 1999

Evangelische Silas-Gemeinde zu Berlin-Schöneberg

Text: Matthäus 22,1-14 (Reihe III)