Pfr. Martin Dubberke

Glauben ernst zu nehmen, bedeutet aufzubrechen

Da sagte Petrus: Du weißt, wir haben unser Eigentum verlassen und sind dir nachgefolgt. Jesus antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Jeder, der um des Reiches Gottes willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, wird dafür schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten und in der kommenden Welt das ewige Leben. (Lukas 18, 28-30)

Wir werden heute ein Kind taufen. Ein Kind, das sich noch nicht aktiv wie Petrus dafür entscheiden kann, Jesus zu folgen und dafür ein anderes Leben hinter sich zu lassen, Eigentum und Familie zu verlassen, weil ihm seine Überzeugung, sein Glaube keine andere Möglichkeit lässt, weil ihm im wahrsten Sinne des Wortes Jesus den Weg weist.Wir taufen heute ein Kind, weil die Eltern wissen und davon ausgehen, dass es für ihren Sohn, für …, keinen anderen Weg als diesen geben sollte. Sie nehmen ihm heute eine Entscheidung ab, die Petrus als erwachsener Mann zu fällen hatte. Aber hatte Petrus damals überhaupt eine andere Wahl, als sich so zu entscheiden, wie er sich entschieden hat? Als Jesus ihn ansprach und für sich gewann, zögerte er kaum, alles aufzugeben, was sein Leben bislang ausgemacht hat – all das tägliche Einerlei, der Wechsel von Arbeit und Schlaf, die Familie. Petrus wird sich dafür nicht entschieden haben, weil es für ihn eine wunderbare Ausrede und Gelegenheit war, aus einer langweiligen und unerfüllten Ehe auszusteigen, derer er überdrüssig war.

Ich will jetzt an dieser Stelle nicht die alte Diskussion fortsetzen, was nun besser sei, die Kinds- oder Erwachsenentaufe. Auf der einen Seite der bewusste Akt des Bekennens, Sie, liebe Frau … haben mir davon eindrücklich erzählt, und auf der anderen Seite eine Taufe, die ein Kind ungefragt nicht nur in eine Glaubensgemeinschaft aufnehmen lässt, ein Erlebnis ohne Erinnerung aber mit Folgen ist. Er muss eines Tages Kirchensteuern bezahlen – naja, bei der politischen Entwicklung in Europa und den damit einhergehenden vereinheitlichenden Zwängen, wird er das wahrscheinlich nicht mehr müssen – und er muss sich im Falle eines Falles eines Tages bewusst dafür entscheiden, mit dem ganzen Laden Kirche und Christsein aufzuhören und auszutreten. Das wäre dann ein bewusster Akt des Bekennens. Aber – und dieses Aber ist groß und fett und mindestens dreimal unterstrichen zu hören und zu verstehen, aber er wird sich nur entscheiden können, aus der Kirche austreten zu können, nicht aber aus der Gemeinschaft der sogenannten Heiligen. Durch die Taufe, diesen einmaligen Akt, wird er immer Christ sein. Das wird er nie abwaschen können, nie durch einen juristischen Akt verändern können. Durch die Taufe wird er wann immer, wo immer, wie auch immer einer von uns sein und bleiben, auf immer und ewig.

Wer sich als Erwachsenen taufen lässt, gibt damit ein offenes und bewusstes Bekenntnis zu dem dreieinen Gott ab. Bewusst stellt er sein Leben auf eine neue, eine andere und vor allem verbindliche Basis resp. er anerkennt, auf welches Fundament sein Leben gestellt wurde. Es ist eine öffentliche Entscheidung, die ein anders verantwortetes Leben zur Folge hat. Er verpflichtet sich nach dem Evangelium, den Bekenntnissen und Ordnungen unserer Kirche zu leben. Das kann erhebliche Folgen haben.

Wir kennen das aus den eigenen Reihen, was es bedeutet, seinen Glauben ernst zu nehmen und deshalb aufzubrechen. Wir kennen es aus der Gegenwart, wenn Theologinnen und Theologen, wenn Christinnen und Christen in einen offenen Konflikt mit ihrer Kirche geraten, wir kennen es aus der jüngeren und schon etwas ferneren Vergangenheit der Deutschen Geschichte. Bekennende Christen, die in offenen Konflikt mit dem Staat gegangen sind, weil ihnen ihr Glaube keine andere Wahl ließ, die wie Bonhoeffer oder Niemöller oder viele andere, deren Namen wir heute nicht mehr kennen, ihr Leben riskiert haben oder diejenigen, die in der DDR nicht anders konnten und damit die gesammelte Gewalt eines Staatsapparates gegen sich riskiert haben oder diejenigen, die heute Kirchenasyl gewähren und damit einen Prozess nach dem anderen riskieren, wie es z.B. Pfr. Quandt in Heilig Kreuz in Kreuzberg tut.

Christ oder Christin zu sein, heißt andere Entscheidungen im Leben zu fällen als andere, und vor allem anders motivierte Entscheidungen. Das können im Ernstfall solche sein, die im Widerspruch zum Gesetz stehen, zum weltlichen, wie auch zu kirchlichen. Denn für einen Christenmenschen gilt ein grundlegendes Gebot:

Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. (Römer 13,8)

Liebe … und lieber …, dies ist der Taufspruch, für den Sie sich entschieden haben. Dies ist der Vers, der als eine Maxime über … Leben stehen soll, der das Leitmotiv seiner Lebensführung werden soll. Er weiß heute noch nicht und kann es auch kaum ahnen, welche einschneidenden Folgen diese wenigen Worte in seinem Leben haben können.

Sie haben sich für diesen Vers entschieden, weil er, wie Sie, Herr … , mir geschrieben haben, sehr nah am Werk des französisch-jüdischen Ethik-Philosophen Emmanuel Levinas ist, über den Sie gerade intensiv arbeiten. Sie beide haben sich aber auch für diesen Vers entschieden, weil er für Sie beide das Ziel Ihrer Erziehung sein soll. Wenn wir heute … taufen, dann werden Sie vor Gott und der versammelten Gemeinde versprechen, Ihn in diesem Sinne mit allen damit verbunden Konsequenzen und Implikationen zu erziehen.

Sie übernehmen damit heute eine besondere Verantwortung. Diese Taufe wird erst einmal Sie in die Pflicht stellen und auch die Gemeinde in die Pflicht nehmen, Sie darin nach allen Kräften zu unterstützen. … selbst übernimmt heute mit dieser Taufe noch keine Verantwortung, sondern er ist heute der Beschenkte.

Ihre Aufgabe ist es – gewissermaßen – diesen Gutschein in den nächsten Jahren einzulösen, Tag für Tag. Ob Sie damit Erfolg haben, werden Sie an dem Tag merken, an dem er zum ersten Mal auf der Grundlage seines Taufspruchs eine Entscheidung fällen wird, die für ihn auch die Trennung von einem anderen Menschen bedeuten kann, wenn er sich nicht durch den möglichen Verlust dieser Beziehung korrumpieren lässt, sondern sich dessen bewusst ist, was Jesus dem Petrus geantwortet hat:

Amen, ich sage euch: Jeder, der um des Reiches Gottes willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, wird dafür schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten und in der kommenden Welt das ewige Leben. Lk 18, 29-30

Dann wird er das Leitmotiv seines Lebens angenommen haben:

Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. (Römer 13,8)

Amen.

 


Predigt zum 15. Sonntag nach Trinitatis 1999

Glauben ernst zu nehmen, bedeutet aufzubrechen

2. Sonntag nach Trinitatis 1999

Evangelische Silas-Gemeinde zu Berlin-Schöneberg

Autor: Martin Dubberke

Text: Lukas 18, 28-30 (Reihe III)