Pfr. Martin Dubberke

Mit dem unsichtbaren Gott im Herzen können wir das Leben in der Welt des Sichtbaren meistern

Predigt über 2. Korinther 4,16-18

Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.

Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Wie ging es Ihnen eigentlich heute Morgen beim Aufstehen? Sind Sie leichten Fußes aus dem Bett gekommen oder haben Sie das Aufstehen noch ein bisschen hinausgezögert und die kuschelige Wärme des Bettes genossen?

Und als Sie aufgestanden waren und ins Badezimmer gegangen sind und zum ersten Mal in den Spiegel geschaut haben, was haben Sie da gedacht?

Also, ich habe mich heute ein wenig rausgequält. Und nach dem Waschen habe ich mir erst einmal das Gesicht eingecremt und mit einem Augenstift ein erfrischendes, hautstraffendes Fluid unter den Augen aufgetragen, damit die Haut dort ein wenig straffer und mein Blick ein wenig frischer aussieht.

Ich bin eben auch nicht mehr zwanzig und habe auch nicht mehr alle Haare auf dem Kopf. Die Gelenke fangen langsam an zu krachen, Rückenschmerzen kommen auch ganz gerne hinzu und manchmal bitte ich einen meiner Söhne darum, mir etwas vom Boden aufzuheben, weil ich das Gefühl habe, mich gerade nicht richtig bücken zu können.

Ist ja furchtbar, Sie müssen gerade von mir den Eindruck haben, als sei ich ein alter Mann und nicht erst kurz vor 50.

Oder eine andere Situation. Gerade diese Woche passiert. Da stehe ich auf einer Veranstaltung mit jemandem zusammen, den ich schon lange kenne und wir kommen miteinander über unsere Brillen ins Gespräch und stellen fest: Seit wir die vierzig hinter uns gelassen haben, brauchen wir fast jedes Jahr eine neue Gleitsichtbrille, weil wir immer altersweitsichtiger werden. Das sind Gespräche, wie ich sie vor zehn Jahren noch nicht geführt habe.

Der Mensch wird älter und sein Altwerden wird von Tag zu Tag in kleinen Schritten immer sichtbarer und spürbarer. Auch wenn sich jeden Tag die Körperzellen erneuern, so bleibt doch der Körper dabei nicht neu. Wenn wir gut sind, unseren Körper als einen Tempel Gottes behandeln und dann auch noch der liebe Gott gnädig mit uns umgeht, können wir den körperlichen Verfall ein wenig abfedern und auch verzögern, aber mehr auch nicht.

Die Falten, das graue Haar sind äußerlich sichtbares Zeichens unseres Alterns. Das Alter kann ich anfassen, spüren, sehen. Das Alter ist nicht unsichtbar, selbst, wenn ich rundherum meine Haut straffen lasse. Das Altwerden ist nicht zu übersehen.

Diese Äußerlichkeit führt dazu, dass ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt immer schwerer vermittelbar werden und immer wieder auch gerne gegen jüngere Menschen ausgetauscht werden und zum sogenannten alten Eisen geschoben werden.

Dankenswerterweise gibt es aber auch immer mehr Unternehmen, die erkannt haben, dass es nicht allein um das Äußere geht, sondern auch um die inneren Werte. Ein älterer Mensch blickt auf viel mehr Erfahrungen zurück als ein junger Mensch. Er kann vielmehr Problemlösungen im Kopf haben und kann aus seiner Erfahrung heraus ganz andere Schlussfolgerungen ziehen. Er hat das Wissen des erfahrenen und an Krisen gestählten Menschen. Ich erlebe das auf der einen Seite mit jüngeren Menschen in meinem Umfeld, die Sachen anders einordnen als ich, weil Sie noch einen ganz anderen Erfahrungs- und Wissenshorizont haben als ich. Und ich erlebe es mit Kollegen, die älter sind als ich und Sachverhalte anders beurteilen als ich und damit auch mein Urteilsvermögen stärken, weil Sie einen weiteren Erfahrungshorizont haben als. Zwei Perspektiven treffen dann aufeinander, die einander befruchten und sich und durch den je eigenen Blickwinkel dem anderen einen neuen Aspekt eröffnen können.

Das Wissen erneuert sich jeden Tag aufs Neue. Und wenn wir von Demenz verschont bleiben, so bleibt der Geist neugierig und frisch bis zu dem Tag, da Gott uns zu sich holt.

Unser Geist erneuert sich im Gegensatz zum Körper, weil er jeden Tag neue Informationen aufnimmt, jeden Tag sich Gedanken macht, Situationen analysiert und uns Entscheidungen treffen lässt. Sprich, die Entwicklung unseres Geistes läuft der Entwicklung unseres Körpers entgegen.

Unser Geist ist unsichtbar und wird nur durch die ausgesprochenen oder aufgeschriebenen Gedanken und das Handeln sichtbar und fassbar.

Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.

„…die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern das Unsichtbare.“ Dieser kleine Satz aus der Feder von Paulus macht etwas deutlich, was für uns Christen sehr wichtig sind. Wir achten nicht das Äußere, das Sichtbare, sondern das Unsichtbare, das was man mit seinen Augen nicht erfassen kann. Das heißt zwar, dass wir den körperlichen Verfall ertragen müssen und dieser auch Teil unserer Trübsal ist, und auf der anderen Seite die Herrlichkeit steht, die wir nicht sehen können.

Paulus hebt hier natürlich nicht in erster Linie auf unsere inneren Werte ab, sondern darauf, dass wir Gott nicht sehen können und er dennoch da ist. Paulus macht deutlich, worin sich unser Glaube von dem der anderen damals in der alten Welt unterscheidet. Wir brauchen keine Götterbilder. Und unsere Kreuze und Kreuzesbilder sind keine Götterbilder, sondern Erinnerungsbilder an das, was Gott uns mit dem Tod seines Sohnes geschenkt hat: Den Neuanfang und die Freiheit von der Last alter Schuld. Unser Glaube macht sich nicht an Gegenständen, an Materie fest, sondern an etwas, das wir nicht fassen und berühren können. Unser Glaube gründet in der nicht enden wollenden Liebe Gottes, die auf uns übergeht und mit der wir diese Welt erfüllen können, dürfen, sollen.

Die Liebe ist nichts, was ich anfassen kann und dennoch spüren kann. Sie ist unsichtbar und wird doch durch mein Handeln sichtbar, weil ich jemanden in den Arm nehme, ihn nicht ausgrenze, weil er anders ist als ich, weil ich die Herausforderung der grenzenlosen Liebe annehme.

Und dann schreibt Paulus in seinem Brief an die Korinther: Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Also, alles, was ich anfassen und sehen kann, auch der Mensch, auch ich bin zeitlich. Alle Verhältnisse sind zeitlich und damit vergänglich. Doch das, was unsichtbar ist, das ist ewig. Und Gott ist unsichtbar und damit ewig. Er ist die Konstante, das Feststehende, das Fundament, das unserer Zeitlichkeit Stehvermögen verleiht. Mit dem unsichtbaren Gott im Herzen können wir das Leben in der Welt des Sichtbaren meistern.

Amen.