Pfr. Martin Dubberke
Fische | Foto: Martin Dubberke

Menschenfischer

An Jesus fasziniert mich immer wieder aufs Neue, dass es ihm scheinbar mühelos gelingt mit einem kleinen Dreh oder Kniff die Aufmerksamkeit der Leute zu bekommen und insbesondere die zu überraschen, die nicht damit rechnen oder in erster Linie gerade nicht so interessiert scheinen. Er hat immer irgendwie eine Idee, die Aufmerksamkeit zu wecken, ein Bild zu finden, das jeder versteht und damit Menschen zu begeistern und sie mitzunehmen. Und in unserem Predigttext heute, nimmt er in der Tat Menschen mit, nämlich seine ersten Jünger.

Wir alle kennen die Geschichte, die sich da am See Genezareth abgespielt hat. Ich habe sie zum ersten Mal in der Grundschule gehört, als mein wunderbarer Religionslehrer Herr Pelzer sie erzählt hat. Und ich erinnere mich noch daran, wie er erklärt hat, warum Jesus auf den See gefahren ist, weil es damals noch keine Megafone gab und wenn man von einem See aus gesprochen hat, das wie ein kleiner Verstärker ist.

Und ich erinnere mich auch noch daran, wie ich an dem Tag etwas über den Fischfang gelernt habe, nämlich dass man nicht am helllichten Tag fischt, weil man da nichts fangen kann.

Sie merken, diese Geschichte ist eine meiner ersten Geschichten, die ich aus der Bibel gehört hat und mich damit mit am längsten in meinem Leben begleitet.

Tja, das ist schon eine dolle Sache, wie Jesus den Simon und die anderen Fischer dazu bringt, am helllichten Tag in die Mitte des Sees zu fahren und gegen alle fachliche Expertise die Netze auszuwerfen.  Und dann sind diese Netze auch noch so voll, dass sie zu reißen drohen und noch mehr Gefährten hinzukommen müssen, um diesen Riesenfang zu heben.

Was für ein Aufmerksamkeitseffekt! Jesus macht es vor. Ein Showeffekt der Aufmerksamkeit schafft, aber – Achtung – nicht in erster Linie für das Volk, das am Ufer steht, bestimmt ist. Die sind natürlich auch total überrascht und fühlen sich darin bestätigt, dass Jesus, ein echter Meister ist. Aber dieser Effekt ist einzig und allein für Simon bestimmt.  Wenn Simon und seine Gefährten sich Jesus anschließen, und ihm dahin folgen, wohin er sie führt, werden sie einen reichen Fang machen, ihre Zielgruppe erreichen. Und Jesus macht ihnen zugleich deutlich, dass man das nicht alleine bewältigen kann, sondern nur in einem eingespielten Team, so wie sie gemeinsam das übervolle Netz gehoben haben.  Und Simon traut und mutet er die Aufgabe eines Menschenfischers zu.

Und wenn wir uns dann die weiter Geschichte von Jesus und Simon, später Petrus und seinen Jüngern anschauen, dann unterscheidet sie sich stark vom kirchlichen Leben der Gegenwart.

Also, wenn ich auf die Straße gehe, folgen mir nicht plötzlich lauter Menschen und wollen, dass ich zu ihnen spreche und das Wort Gottes auslege.

Jesus und seinen Jüngern folgten die Menschen, weil sie in einer ganz neuen Art und Weise vom Glauben sprachen, von dem Glauben, der mit einem Male nicht einfach festgefügte Tradition in Hierarchien, Ritualen, Gesetzen und Vorschriften war, sondern der sie mitten in ihrem Leben, in ihrer Existenz traf und betraft, der ihr Leben veränderte, dem Leben eine andere Richtung gab.

Jesus und seine Jünger gingen einfach dahin, wo die Menschen waren und erzählten von ihrem Glauben, so wie sie ihn glaubten. Sie fanden Bilder, Jesus wirkte Wunder, um die Kraft und Stärke des Glaubens erlebbar zu machen. Erinnern wir uns nur, was er immer gesagt hat, wenn er ein Heilungswunder gemacht hat: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Jesus hat immer die revolutionäre Kraft des Glaubens hervorgehoben und deutlich gemacht, was damit alles möglich ist und wird. Und die Menschen haben es ihm geglaubt. Nicht umsonst haben sie durch die Menge hindurch den gelähmten Mann zu ihm getragen. Jesus hat die Menschen überrascht, weil er das tat, was wirklich gelebter Glaube fordert. Denken wir nur an die Geschichte mit dem Zöllner Zachäus. Wer hätte sich mit so einem Ausbeuter schon an einen Tisch gesetzt? Niemand. Jesus schon und wir wissen, was sich dann verändert hat. Die Kraft des Glaubens, kann Menschen zum Guten verändern.

Jesus und seine Jünger haben in den Synagogen, auf den Straßen und Plätzen und in den Häusern, in denen sie zu Gast waren, einfach von ihrem Glauben, von Gott erzählt haben und zwar in einer Weise, die den Menschen die Augen geöffnet haben.

Und damit stelle ich mal ganz unverblümt die Frage: Kann es einen christlichen Glauben geben, der sich nicht zu erkennen gibt?

Sollten wir uns nicht z.B. mit unserem Gemeindeblatt nicht einfach mal auf die Straße und Plätze von Garmisch-Partenkirchen stellen, da am Kurpark oder in der Ludwigstraße?

Unsere Berggottesdienste sind auch ein wenig so: Überraschend da, wo man nicht mit uns rechnet. Und dann sind die Menschen plötzlich doch ganz angetan, wenn wir Pfarrerinnen und Pfarrer eine nette, etwas andere, vielleicht auch kesse, kleine Predigt halten. – Aber das ist ja auch unser Job als Pfarrer. Was aber ist mit der Allgemeinheit der Christenheit?

Gut, wenn es nicht die Straße ist, dann wo? – Wann habt Ihr, haben Sie, zuletzt in einem Gespräch über Politik Ihre/Eure Position mit dem Glauben begründet?

Bei dem Thema erinnere ich mich an eine Frage meines Schwagers, die er mir 2015 angesichts der Flüchtlingssituation gestellt hat. Man muss dazu wissen, dass er Jurist und Atheist ist. Er fragte mich: „Was hältst Du eigentlich von Angela Merkels Flüchtlingspolitik, also, du als Christ und Theologe?“

Ich antwortete ihm damals: „Grundsätzlich stimme ich dem zu, weil es ein Akt christlicher Nächstenliebe ist. Aber diese Liebe geht weiter, weil sie mit einer fortgesetzten Verantwortung verbunden ist, die nicht damit erfüllt wird, dass man ihnen ein Dach über dem Kopf gibt und das tägliche Brot und was zum Anziehen und Geld, sondern auch Orientierung, wer wir sind, was unsere Kultur ausmacht, unsere Sprache, um sich zurechtzufinden, um Selbstständigkeit zu erlangen, Ausbildung und vieles andere mehr, und mindestens genauso wichtig ist es , dem ganzen Volk zu erklären und nahezubringen, warum sie sich so entschieden hat und zu erklären, was Nächstenliebe in unserer Gesellschaft bedeutet und wie sie konsequenterweise zum Guten wenden kann. Nur fürchte ich, dass dieser zweite und entscheidende Teil nicht stattfinden wird.“

Das ist wie jetzt mit Corona. Lockdown und Maske sind ein erster wichtiger Schritt gewesen, aber im zweiten Schritt müssen wir selbst sehr viel ändern, weil uns das Virus die Augen dafür geöffnet hat, was in unserer Gesellschaft, in unserer Welt schiefläuft.

Damit wird deutlich, dass der erste Schritt zwar sehr wichtig ist, der zweite Schritt aber deutlich wichtiger ist, damit der erste Schritt nicht an Bedeutung und Glaubwürdigkeit verliert. Es geht nämlich um genau diese Glaubwürdigkeit, die aus dem Handeln und auch dem Mut zur Umkehr aus Einsicht gehört, die dann nämlich zum dritten und damit entscheidenden Schritt führt: Der Nachfolge:

Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach. Lukas 5,11 

Jesus hatte Simon mit folgenden Worten in die Pflicht genommen:

Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fischen. Lukas 5, 10b

Wenn ich mich nicht als Christ zu erkennen gebe, kann ich auch keine Menschen fischen.

Mir gefällt der Vergleich mit den Fischern, weil Simon je selbst von Hause aus Fischer ist. Er kann also mit diesem Bild etwas anfangen.  Als Fischer weiß er nämlich, wo die besten Fischgründe sind, wann es sich lohnt, wo zu fischen und wie er es anstellt, um nicht im Trüben zu fischen.

Was bedeutet das für uns heute als Gemeinde?

Wenn wir von Gott erzählen, kann sich dem anderen eine vollkommen neue Erfahrung erschließen: Ich denke hier an einen früheren Kollegen von mir, der sich in einer Arbeitsgruppe, in der es um das Thema die Bedeutung des Christlichen Glaubens in einem diakonischen Unternehmen als Atheist outete. Ich wusste, dass der Kollege ursprünglich einen anderen Beruf gelernt hatte und erst spät zur Pflege gekommen war. Und so fragte ich Ihn, wie es dazu gekommen sei, dass er den Beruf gewechselt habe und noch einmal etwas ganz anderes gelernt hätte. Er hatte nämlich ursprünglich ein Handwerk gelernt. „Meene Mutter hatte jesagt, dass ich dit lernen soll. Und als folgsamer Sohn habe ick dem nich widersprochen“, sagte er. „Aber irjendwann wollte ick einfach wat anderes machen und in der Zeit lief mir ein alter Kumpel übern Weg, dem ick dit erzählte und der sagte: Mensch, macht dit doch so wie ich. Jeh in die Pflege. Dit is’n toller Job. Mach doch einfach mal’n Praktikum.“

Tja, und der gute Mann machte ein Praktikum und war begeistert von der Dankbarkeit, die ihm entgegenkam.

Naja, und da fragte ich ihn einfach mal, ob er sich auf ein Experiment einlassen wolle und sich diese Geschichte mal aus einer anderen Perspektive anschauen wolle und fragte Ihn, ob er wüsste, was Engel sind.

„Naja, solche Flügelfiguren, die man sich zu Weihnachten in die Wohnung stellt.“

„Glauben Sie an Engel?“ – „Nee.“

„Naja, ich verrate Ihnen mal, was das Wort Engel bedeutet. Das kommt aus dem Griechischen von ‚angelos‘, und das heißt Bote. Ein Engel ist ein Bote Gottes, der Menschen einen Kick in eine neue Richtung geben kann. Und nun stellen Sie sich mal vor, dass Ihr Kumpel so ein Engel, so ein Bote Gottes war, der Ihnen genau in dem Augenblick begegnet sind, als Sie nach Orientierung in Ihrem Leben suchten. Und, dann hat Ihnen dieser Engel im Auftrag Gottes einen Stupser in die richtige Richtung gegeben. Sonst würden Sie heute auch nicht bei einem christlichen Arbeitgeber arbeiten.“

Er schaute mich mit ganz großen Augen an und es entstand ein ganz spannendes Gespräch, bei dem alle anderen Gruppenmitglieder so aufmerksam dabei waren, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Am Ende des Gesprächs sagte er dann: „Man, jetzt schwirrt ma aber janz schön der Kopf. Da ham’se mir aber janz schön wat zu denken jejeben.“

Als, wir uns ein gutes halbes Jahr später wiedersahen, erzählte er mir eine aktuelle Geschichte aus seiner Familie, sein Sohn war nämlich gerade durchs Abitur gerasselt: „Und soll ick Ihnen mal sarjen, dass dit, was Se mir damals jesagt haben, janz schön nachjewirkt hat. Früher hätte ick meinem Sohn die Hammelbeine langjezogen, aber jetzt habe ick mir jesagt, dass dit zu irjendwat jut jewesen sein muss.“

Als ich ein halbes Jahr später, fünf Tage vor meinem Umzug nach Garmisch-Partenkirchen noch einmal einen Gottesdienst in seiner Einrichtung halte und ich ihn frage, wie es seinem Sohn geht, antwortet er, dass alles perfekt sei und sein auf dem neuen Weg vollkommen aufgeblüht sei.

Ich wollte Euch diese kleine Geschichte einfach nur als ein ganz einfaches Beispiel dafür erzählen, wenn man die Perspektive des Glaubens nicht außen vor lässt.

Nebenbei gesagt, der Auftrag Jesu, am helllichten zum Fischen auf den See zu fahren, widerspricht aller fachlichen Erfahrung eines Fischers. Warum also folgt Simon dann der Aufforderung Jesu? – Neugierde. Einfach nur reine Neugierde. Und genau das ist unser Schlüssel zu den Menschen: Neugierde zu schaffen. Neugierde zu wecken.

Doch wie funktioniert das, wenn uns selbst zuweilen die Neugierde und Begeisterungsfähigkeit fehlt? Wenn wir in protestantischen Pessimismus verfallen, dem Zweifel, ob das alles überhaupt noch einen Sinn macht?

Corona ist im Grunde genommen ja auch so ein Beispiel, das an das Fischen am helllichten Tag erinnert. – Da kann man doch keine Menschen fischen, die sind doch gar nicht da…

Falsch! Sie sind da. Und Corona macht uns deutlich, dass wir die Menschen nicht in unseren Gottesdiensten oder Kreisen erreichen, weil sie dort gerade nicht so zahlreich schwimmen oder gar nicht schwimmen dürfen. Das ist jedoch nur ein Teil der ganzen Wahrheit. Wer in unsere Kirchen und Kreise kommt, der ist ja schon gefischt. Hier müssen wir uns einen Kopf machen, wie wir gewissermaßen mit unserem Fang umgehen. An dieser Stelle können wir von den urchristlichen Gemeinden ganz viel lernen. Sie wurden auf der einen Seite mit Briefen versorgt, über die wir heute ganz viel predigen. Man traf sich zu Hause in Hauskreisen.

Aber es stellt sich ja auch insbesondere die Frage, wo wir jetzt Menschen fischen gehen?

Tja, und was soll ich dazu sagen? Die Menschen warten doch auf Gott. Ich hab’s gesehen, ein paar von Euch haben so geschmunzelt, wie es wohl auch Simon getan hat, als Jesus ihn aufgefordert hat, am helllichten Tag zu fischen.

Aber wenn wir uns die Geschichte noch einmal genauer anschauen, fällt folgender Satz auf:

Es begab sich, als sich die Menge zu Jesus drängte, zu hören das Wort Gottes. Lukas 5,1

Die Menschen – und das verkennen wir in unserer protestantisch-pessimistischen Grundhaltung gerne – warten nur darauf, Gott zu begegnen. Das ist unsere große Chance.

Selbst die Menschen, die von der Kirche enttäuscht sind, warten darauf, Gott zu begegnen. Sonst wären sie nämlich nicht enttäuscht. Und wann immer ich mit solchen enttäuschten Menschen ins Gespräch komme, höre ich Geschichten von Menschen, die Christen oder Pfarrerinnen und Pfarrer sind, die enttäuscht haben.

Es war die überzeugende Glaubwürdigkeit Jesu Christi, die Simon und seine Gefährten dazu brachte, alte Lebensentwürfe, Vorstellungen zu verlassen, aufzugeben und Jesus zu folgen.

Heute nun, sind wir als Christinnen und Christen gefordert, ihm darin nachzufolgen und das gilt nicht nur für mich allein als Pfarrer, sondern auch für jeden Einzelnen von Euch.

Amen.


Pfr. Martin Dubberke
Pfr. Martin Dubberke

Pfr. Martin Dubberke, Predigt am 5. Sonntag nach Trinitatis über Lukas 5, 1-11, Perikopenreihe II in der Erlöserkirche in Grainau und der Johanneskirche in Partenkirchen.