Pfr. Martin Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke mit Rucksack auf dem Wank - bereit zum Berggottesdienst | Foto: Christiane Lehmacher-Dubberke

Einer trage des andern Last

Sie werden sich vielleicht schon gewundert haben, warum ich einen Rucksack trage. Denn in der Kirche trägt der Pfarrer ja auch keinen Rucksack. Und sie haben Recht, der Rucksack ist nicht neuerdings Teil des liturgischen Gewandes.

Vielleicht können Sie sich noch erinnern, dass ich am Anfang den Spruch der Woche vorgelesen habe:

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
Galater 6,2

Und wie ich sehen kann, haben einige von Ihnen auch einen Rucksack dabei. Heben Sie den mal kurz an. Und? Ist er schwer? Ist er ein wenig wie eine Last? Und sind Sie zu Fuß hier auf den Wank gekommen oder mit der Seilbahn?

Wenn Sie so einen Rucksack auf dem Rücken tragen und den Berg hinaufgehen, dann kann der schon ganz schön zur Last werden. Und manchmal hat man Glück, da nimmt einem der Begleiter auch schon mal den Rucksack ab. Ich kann mich noch erinnern, als ich Kind war, da hat dann mein Vater oder meine Mutter zuweilen meinen kleinen Rucksack abgenommen, mir also meine Last getragen.

Aber schauen wir mal, was in so einem Rucksack alles drin ist – Justus/Johannes kannst Du bitte mal den Rucksack halten:

  • eine Brotdose
  • eine Wasserflasche
  • ein Fernglas
  • ach, und was ist das? Ein Bündel?

Das ist ja interessant. Wie ist denn das da reingekommen? Das ist mir gar nicht aufgefallen, als ich den Rucksack heute Morgen gepackt habe. Ich mache das mal auf…

„Meine Sorgen“ – oops. Was ist denn das?

Stimmt 😉 Der Wochenspruch. Der Text geht ja noch weiter:

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk; und dann wird er seinen Ruhm bei sich selbst haben und nicht gegenüber einem andern. Denn ein jeder wird seine eigene Last tragen.
Galater 6,2-5

Tja, es gibt eben Lasten, die einem abgenommen werden können und es gibt Lasten, die kann man nur selbst tragen und mit Gott und sich selbst ausmachen. Und genau das ist das Bündel, das ich selbst tragen muss, weil ich es spüren muss, weil ich den Druck auf dem Rücken meiner Seele spüren muss.

Und da kann der Weg auf einen so schönen Berg wie der Wank sehr hilfreich sein. Der Aufstieg ist ein wenig mühsam, so dass man von Zeit zu Zeit innehalten muss. Und bei jedem Innehalten sieht man aus einer anderen Perspektive auf das Tal. Und je mehr Abstand man zum Tal bekommt, desto mehr sieht man davon.

So ist es auch mit einem selbst, wenn ich mal aus einer anderen Perspektive auf mich selbst schaue, ein wenig Abstand nehme, dann kann ich mit einem Male ganz viel entdecken.

Der Weg auf einen Berg hinaus, ist ein schwerer Kampf zwischen Geist und Fleisch. Ja, der Geist ist willig, aber das Fleisch, wenn es immer anstrengender wird, immer steiler, steiniger, stolpriger, kann dann schon mal schwach werden. Da entfährt einem schon mal der Ruf: „Verdammt! Hätte ich doch die Seilbahn genommen!“ 😉

Und Sie überlegen sich dann, ob Sie nicht vielleicht wieder umkehren sollten. Doch dann kommt der Zweifel. Eigentlich wollte ich doch oben so schöne Fotos machen, mir den Wind um die Ohren brausen lassen. Und nun keuche ich hier auf dem letzten Loch, bin schweißgebadet und am Ende meiner Kräfte. Mist!

Wenn Sie dann aufgeben, werden sie nicht erfahren, wie schön die Aussicht vom Gipfel aus ist. Sie werden wieder unten im Tal ankommen und unbefriedigt sein, weil Sie aufgegeben haben. Macht nichts 😉 So ist es mit dem lieben Gott auch. Er gibt einem einfach eine weitere Chance. Denn auch das gehört zum Leben dazu: Man schafft nicht alles immer und in jedem Fall im ersten Anlauf. Manchmal braucht man eben einfach einen zweiten, dritten oder zehnten. Wie sagt doch der Prediger Salomo schön:

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.
Qohelet 3,1

Sie werden es schaffen, wenn es die rechte Zeit ist. Und dann wird der liebe Gott mit Sicherheit nicht sagen: „Wie, Du hast fünf Anläufe gebraucht? Vergiss es!“ – Sie werden in diesem Moment eine ganz andere Erfahrung machen, nämlich die der Gnade Gottes, der Ihnen dann ihr Bündel abnehmen wird und ein neues befreites Leben schenken wird.

Natürlich muss ich diesen Weg nicht alleine gehen, ich kann auch einen Begleiter mitnehmen, mit dem ich hinaufsteigen, innehalten, sprechen, schweigen kann. Er kann mir gegebenenfalls auch meinen Rucksack abnehmen, aber nie mein Bündel, weil jeder Einzelne mit seinen Sünden und Versuchungen selbst vor Gott steht. Und dieses Bündel kann – wie gerade gesagt – mir nur der liebe Gott allein abnehmen.

Und mal so ganz nebenbei an alle Begleiter und Begleiterinnen gerichtet: Ihr steht nicht über demjenigen, den Ihr begleitet, nur weil Euch vielleicht gerade kein Bündel drücken mag. Ihr geht immer neben dem Nächsten an seiner Seite mit Sanftmut, Verstehen aber nicht mit Richten. Ach ja, natürlich kann es auch hier Risiken und Nebenwirkungen geben, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Sie können nämlich als Begleiter auch mit einem Male auf diesen Weg Ihr eigenen Bündel spüren und dann aufschnüren.

Also, die Auseinandersetzung mit meinem Bündel kann so anstrengend und mühsam sein wie der Aufstieg auf einen Berg. Und so, wie wenn ich auf dem Gipfel ankomme, für allen Schweiß, für alles Durchhalten mit einem gigantischen Blick belohnt werde, so ist es auch mit meinem Bündel.

Auf dem Gipfel angekommen, bin ich abgekämpft, aber frei wie ein Adler, der mühelos zu schweben scheint. So fühlt es sich an, wenn ich im Gespräch mit Gott mein Bündel losgeworden bin, wieder im Reinen mit mir, mit Gott und der Welt bin. So fühlt sich die Gnade Gottes an, wenn ich sie am eigenen Leibe erfahre. Die Gnade Gottes erfüllt mich mit so viel Freiheit, Leichtigkeit und Energie, dass ich wieder glücklich in das Tal hinabsteigen kann.

Und genau das ist der Grund, weshalb Paulus auch in seinem Brief an die Galater schreibt, dass jeder seine eigene Last tragen muss.

Amen.


Pfr. Martin Dubberke, Predigt auf dem Wank am 4. Juli 2020 über den Wochenspruch für den 4. Sonntag nach Trinitatis