Liebe Geschwister, heute geht es um heiße Themen: Die Sünde, die Beichte, die Vergebung. Zumindest über die ersten beiden Themen reden wir nicht so gerne. Und dennoch, heute müssen wir uns das mal ein wenig genauer anschauen.
Hesekiel bläst seinem Volk im babylonischen Exil ganz schön den Marsch und damit auch uns. Er rüttelt uns auf. So wie er sein Volk im Exil aufs Schärfste kritisiert hat, dass sie den Götzen verfallen sind, so richtet sich diese Kritik auch an uns, die wir heute leben.
Nur sind unsere Götzen heute nicht irgendwelche Götzenbilder, sondern unsere Lebenshaltung, unsere Haltung zum Mitmenschen, unsere Haltung zur Gesellschaft, unsere Haltung zur Schöpfung, unsere Haltung zum Mainstream, unsere Haltung zu unserer eigenen ethischen Bequemlichkeit und zu vielen anderen Dingen.
In dieser Woche bin ich im Römerbrief über eine spannende Stelle gestolpert, bei der ich innehalten musste:
Denn die Sünde war wohl in der Welt, ehe das Gesetz kam;
aber wo kein Gesetz ist, da wird Sünde nicht angerechnet.Römer 5,13
Das ist ein sehr spannender Gedanke. Die Sünde ist einfach da. Sie ist gewissermaßen mitgeschaffen worden. Ist doch verrückt? Ich stelle mir dabei manchmal die Frage, ob Gott die Sünde mitgeschaffen hat, gewissermaßen als eine Option, sich für oder gegen ihn zu entscheiden oder, ob die Sünde vom Menschen erfunden wurde, weil er sich nichts sagen lassen möchte. Also, Sünde als Widerstand gegen das Gute, gegen Gott.
Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass ich Kriterien brauche, um zu erkennen, was Sünde ist und was nicht Sünde ist. Paulus nennt es „das Gesetz“. Es ist der Moment, wo wir die Liebe zum anderen verlassen. Es ist der Moment, wo das „Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst“ aus dem Gleichgewicht gerät, wo ich mir näher bin als meinem Nächsten. Und genau das ist der Moment, in dem eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft, die Welt ins Wanken und Schlittern gerät. Das ist der Moment, wo es zwischen zwei Menschen zum Unfrieden kommt und zwischen Nationen zum Krieg.
Und damit wird aus meiner Sicht deutlich, dass Sünde immer eine Beziehungsstörung bedeutet, die auch die Beziehung zu Gott stört oder gar ihren Ursprung in einer zu Gott gestörten Beziehung hat.
Und noch etwas, jede Sünde hat ihre Wirkungen, die Kreise zieht. Sünde ist ansteckend, wenn sie nicht geahndet wird. Und mein Gefühl ist, dass Sünde viel ansteckender als irgendeine andere Pandemie ist. Ich glaube, dass die Sünde, die größte Pandemie ist, die Menschheit je erlebt hat.
Dabei lassen sich aus meiner Sicht zwei Kategorien von Sünde unterscheiden: Die individuelle, die ich direkt gegenüber einem anderen Menschen begehe und die kollektive, die ich gemeinschaftlich mit anderen begehe.
Die individuelle Sünde, mit der ich direkt einen anderen Menschen verletze oder jemanden schädige, die kann ich direkt mit dem anderen Menschen klären und wenn ich nicht weiß, wie ich den Weg zum anderen wiederfinde, suche ich mir jemanden, bei dem ich beichten kann, der mir hilft, einzusehen, umzukehren und sowohl den Verletzten als auch Gott um Vergebung zu bitten. Das ist klassischerweise mein Job, also wo ich als Pfarrer ins Spiel komme. Ihr dürft das gerne ausprobieren. Auch die Evangelische Kirche kennt nämlich die Einzelbeichte. Mehr dazu findet Ihr unter der Nr. 884 in unserem Gesangbuch.
Und das Vergeben auf Seiten des Verletzten ist auch keine einfache Sache. Ich erlebe das gerade selbst am eigenen Leib, nachdem mich vor einigen Wochen ein Mensch, den ich seit wenigen Jahren kenne, in einer Weise verletzt und enttäuscht hat, wie ich es in meinem Leben noch nicht erlebt habe. Und ich stelle mir die Frage, wie es mir gelingen kann, ihm zu vergeben und wie die Beziehung zu dem Menschen in Zukunft aussehen kann. Es gibt nämlich auch Herausforderungen an die Nächstenliebe.
Und es gibt die kollektive Sünde und genau die hat Hesekiel im Blick, wenn es um die Zuwendung seines Volkes zu den Götzen geht. Wenn sie scharenweise von Gott fliehen. Und ich stelle mir die Frage, ob sie von Gott fliehen, weil sie von ihm enttäuscht sind, so wie die vielen Menschen, die aus Enttäuschung aus der Kirche austreten, oder weil ihnen die Sache mit dem Glauben zu anstrengend, zu begrenzend, zu bestimmend, zu vorschreibend, zu regelhaft vorkommt, sie das Gefühl haben, in ihrer Freiheit beschränkt zu werden oder einfach, weil das mit Gott und der Kirche für sie belanglos geworden ist, sie nicht mehr in einer Beziehung zu Gott stehen, keine Relevanz für ihr Leben erkennen können. Und letzteres ist eine Anfrage an uns als Kirche und damit ebenso mit der Frage verbunden, wo wir umkehren müssen, weil wir die Menschen verlieren.
Tja, und was sind nun unsere gemeinsamen Götzen? Z.B. Wohlstand zum geringen Preis. Wohlstand zum geringen Preis, der uns in Abhängigkeit bringt und gebracht hat. Ich muss das gar nicht vertiefen. Weil jede und jeder von uns sofort an den nächsten Winter, seine Strom- und Heizkostenabrechnung denkt, den nächsten Einkauf, den Blick in die Zeitung von morgen und die Nachrichten von heute Abend. Unser, ach so preiswertes Leben, holt uns ein. Der eine führt Krieg und hat uns am Gas- und Ölhahn. Und der Mann in Peking hat uns u.a. deshalb in der Hand, weil weitestgehend nur noch in seinem Land, der für Antibiotika so wichtige Grundstoff produziert wird. Unsere Götzen der Gewinnoptimierung und des geilen Geizes haben uns direkt in die babylonische Zange und Abhängigkeit geführt, aus der wir uns nun befreien müssen und wollen. Eine Zeitenwende, die auch ein Wertwende sein muss.
Und damit komme ich zur Umkehr. Die Klimakatastrophe, die Pandemie und der heiße Krieg in der Ukraine sowie der noch kalte Krieg gegen die EU und den Westen, machen deutlich, wo wir umkehren, umdenken müssen und uns die Frage stellen müssen, welche Werte uns in Zukunft leiten sollen.
Die Sünde ist in diesem Fall, die Bequemlichkeit, nicht zu den eigenen Werten, die unser christliches Wertesystem ausmachen, gestanden zu haben. Und in ihr kommen so ziemlich alle klassischen Sünden zusammen:
- Superbia – Hochmut, sprich Stolz, Eitelkeit, Übermut.
- Avaritia – Geiz, Habgier, Habsucht – die natürlich auch für unsere hohen Mieten verantwortlich ist.
- Luxuria – Wollust, die Ausschweifung, Genusssucht, Begehren, Unkeuschheit.
- Ira – Zorn, ja Jähzorn, Wut und Rachsucht.
- Gula – Völlerei, die absolute Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Unmäßigkeit und Selbstsucht.
- Invidia – Neid, Eifersucht und die besonders in unserem Land beliebte Missgunst.
- Acedia – Faulheit, und auch Feigheit, Ignoranz, Überdruss, Trägheit des Herzens.
Es ist also höchste Zeit, dass wir miteinander ins Gespräch kommen und uns die Frage stellen, wie wir das ändern können. Mit dem Grünen Gockel haben wir uns schon an einer Stelle auf den Weg gemacht.
Aber ich glaube auch, dass wir eine geistliche Erneuerung brauchen, dass wir miteinander Wege finden müssen, wie wir in dieser Welt so etwas wie Hesekiel sein können.
Am Donnerstagabend, als wir zu meiner Veranstaltung „Gemeinsam lesen…“ zusammenkamen, fragte mich eine Teilnehmerin, wie man Putin Einhalt bieten könnte. Ich wusste an dieser Stelle keine Antwort. Aber ich musste an Dietrich Bonhoeffer – wie so oft – denken, der einmal gesagt hat, dass man dem Rad in die Speichen fallen müsse. Und genau das ist auch unsere Frage, wenn wir umkehren, uns unseres christlichen Glaubens und seiner Werte besinnen, die Frage zu stellen, wo und wie wir dem Rad in die Speichen fallen können oder müssen, um auch in Zukunft in Frieden und Freiheit miteinander zu leben und die Schöpfung zu bewahren, ja, sie wie einst auch wieder in ein Gleichgewicht zu bringen.
Hesekiel übermittelt uns präzise, was Gott von uns erwartet und woran er so überhaupt keinen Gefallen hat:
Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt. Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben…? Denn ich habe kein Gefallen am Tod dessen, der sterben müsste, spricht Gott der Herr. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.
Hesekiel 18, 30-32
Und genau das ist das, wozu uns Jesus mit den Gleichnissen vom verlorenen Schaf, dem verlorenen Groschen und dem verlorenen Sohn ermutigt hat. Wir können in die Irre gehen, und manchmal müssen wir auch in die Irre gehen, um zu erkennen, wo unser Zuhause ist und wenn wir dann wieder umkehren, wird uns Gott mit offenen Armen aufnehmen und mit uns ein Fest feiern, ein Fest des Lebens, wie es der Vater für seinen verlorenen und wiedergekommenen Sohn getan hat, der in seinem Leben erkannt hat, dass er sich verrannt hat und so durch Einsicht wieder den Weg ins Leben, zurück zum Vater gefunden hat.
Amen.
Pfarrer Martin Dubberke, Predigt über Hesekiel 18, 1-4.21-24.30-32 am 3. Sonntag nach Trinitatis, 3. Juli 2022, Perikopenreihe 4, in der Johanneskirche zu Partenkirchen
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