Pfr. Martin Dubberke
Bibelmuseum Nürnberg | Bild: Martin Dubberke

Hängt dem Guten an

Liebe Geschwister, heute hat sich bei mir einiges angesammelt, eine Absage hier, eine Absage dort, dann kommen innerhalb zweier Tage eine Rechnung, samt Erinnerung, samt Mahnung für das Schleifen einer Säge, weil die Post nicht im Stande ist, die Aufträge fristgerecht abzuarbeiten. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Ein Tag, an dem meine Nerven in besonderer Weise strapaziert worden sind. Ein Tag, an dem ich mich arg beherrschen muss, dem einen oder anderen gegenüber nichts Böses an den Hals zu wünschen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Das ist so ein Tag, der geradezu nach Reformation schreit.

Ein Tag, an dem mal wieder deutlich wird, was so alles nicht in unserem Lande funktioniert. Genauso, wie der Schienenersatzverkehr, den es seit fast einem halben Jahr bei uns gibt oder die großartigen Tunnel, in denen nun die Autos stehen, statt zu fahren. Nichts funktioniert, was doch so einfach funktionieren könnte.

Da fährt ein Kanzler nach China und macht einen Antrittsbesuch bei einem Staatschef, der sich gerade die Lizenz zur Dauerherrschaft ergaunert hat. Im Handgepäck hat er Anteile am Hamburger Hafen. Da verkauft jemand, trotz Widerstands seiner Koalitionspartner, der Geheim- und Nachrichtendienste unseres Landes kritische Infrastruktur an ein – weiß Gott – nicht demokratisches Land. War da nicht einmal die Rede von wertegeleiteter Politik? Welche Werten leiten Politik? Und als sei es Ironie, heißt dieser Teil des Hafens auch noch „Tollerort“. 

Es wäre eine lange Themen- und Thesenliste, die wir heute miteinander an die Tür unserer Johanneskirche schlagen könnten.

Wir leben in einer Zeit, die geradezu nach Reformation schreit.

Auch der Frieden funktioniert nicht.

Aber eines funktioniert: Die ökumenische Verbundenheit. Lieber Andreas, was bin ich froh, dass wir heute leben und miteinander das eine oder andere Bier trinken, uns nicht die Schädel einschlagen und uns am Reformationstag die Kanzel teilen.

Und genau das ist für mich persönlich Grund zur Hoffnung. Wir mögen uns, sind freundschaftlich einander zugetan und, wenn es einem von uns beiden schlecht ginge, wäre der eine für den anderen da. Unser Glaube trennt uns nicht, sondern verbindet uns. Das war nicht immer so in unserer Geschichte. Und es hat lange gedauert, aber es hat sich etwas bewegt.

Gerade heute habe ich ein Gespräch gehabt, in dem ich erfahren habe, dass ein Paar – sie katholisch, er evangelisch – 1976 nicht kirchlich geheiratet hat, weil es sonst Enterbungen und was weiß ich nicht alles gegeben hätte, weil man sich nicht einigen konnte, ob die Ehe nun evangelisch oder katholisch geschlossen werden soll. Und als dann der evangelische Mann zum katholischen Pfarrer ging, um ihn um die Trauung zu bitten, hat ihn dieser vor die Tür gesetzt.

Vor dreißig Jahren hätte ich sogar in Berlin meine Frau nicht heiraten dürfen, weil sie katholisch ist und meine alte Berlin-Brandenburgische Kirche das nicht akzeptiert hätte. Und heute sind wir nicht nur standesamtlich und evangelisch, sondern seit einem Jahr auch katholisch miteinander verheiratet.

Ich bin so unendlich dankbar dafür, dass sich das alles verändert hat, zum Guten geändert hat. Das hat Zeit gebraucht, Jahrhunderte. Zeit zum Einsehen und Verstehen. Was heute selbstverständlich erscheint, hat einen langen und mühseligen Weg hinter sich.

Aber genau das macht mir Hoffnung, dass es, wenn es uns evangelischen und katholischen Christenmenschen miteinander gelingt, in einem langen Prozess das Spaltende zu überwinden und das Verbindende in den Mittelpunkt zu stellen und zu leben, auch in anderen Lebensbereichen, auch in der Politik und zwischen Ländern, die heute im Krieg gegeneinander befinden, gelingen kann.

Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an.
Römer 12,9

Die Liebe sei echt! Hasst das Böse!

Was aber ist das Böse? Ich glaube, dass viele unter uns auf diese Frage mit einem Namen antworten würden, dem eines jenes Mannes, der gerade russischer Präsident ist, dessen Namen ich heute nicht aussprechen möchte. Ja, dieser Mann ist durch und durch das personifizierte Beispiel für das Böse, ja geradezu das Sinnbild des Bösen in unserer Zeit. Aber die große Gefahr, die von so einem Sinnbild ausgeht, ist, dass wir alles Böse auf ihn projizieren und darüber vollkommen das eigene Böse aus dem Blick verlieren und uns deshalb durch und durch für gut halten. Doch das sind wir nicht.

So sind wir z.B. anfällig für Gerüchte, die unsere Vorurteile bestätigen. Kürzlich erzählte mir jemand, dem ich vertrauen kann, zwei haarsträubende Geschichten, die total glaubwürdig klangen, weil sie irgendwie in das sogenannte Schema passten. Ich hoffe, dass Ihr versteht, dass ich diese Geschichten nicht weitererzählen möchte, weil ich diese Gerüchte nicht weiter in die Welt tragen möchte. Und als mir diese Geschichten erzählt wurden, spürte ich, wie etwas in mir diese Geschichten glauben wollte. Doch dann sagte ich, dass ich das prüfen werde. Also sprach ich im Landratsamt den dafür Verantwortlichen an, der mir versicherte, dass derlei nicht möglich sei. Ich habe diese Information nicht für mich behalten und sie entsprechend in meinen Kreisen verbreitet.

Tja, wo ist das Böse, das uns Trennende oder Verbindende in uns?

Paulus sagt: Die Liebe sei ohne Falsch.

Im 5. Buch Mose – wir haben es heute gehört – steht:

Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.

Das bedeutet, wenn ich diese Gottesliebe in meinem Herzen habe, ist für den Hass, das Böse in mir kein Raum mehr, weil ich doch Gott mit all meiner Kraft lieben soll. Da bleibt keine Kraft mehr für das Böse. Und jedem Menschen, dem das gelingt, der nimmt dem Bösen in dieser Welt den Platz weg. Und je mehr Menschen das gelingt, desto weniger Platz bleibt dem Bösen, wird das Böse verdrängt.

Hasst das Böse, hängt dem Guten an.

Wir sollen uns nicht am Bösen orientieren. Und genau das ist das Geheimnis, wie mir scheint. Wer das Böse in den Blick nimmt, orientiert sich mehr am Bösen als am Guten. Wer das Gute in den Blick nimmt und daran hängt, der orientiert sich an der Liebe Gottes, die dem Bösen keinen Raum lassen will. Und welche Herausforderung damit verbunden ist, haben wir gerade in den Seligpreisungen gehört:

Selig seid ihr,
wenn euch die Menschen
um meinetwillen schmähen
und verfolgen
und allerlei Böses gegen euch reden
und dabei lügen.

Das Böse hält das Gute nicht aus. Das Böse will immer das Gute diffamieren, um selbst gut zu scheinen. Die einen nennen es Propaganda, die anderen Fakenews.

Dem können wir als Christinnen und Christen widerstehen, indem wir uns vom Guten nicht abschneiden lassen, nicht vom Werben des Bösen mürbe machen lassen, auch wenn wir es noch so gerne glauben wollen, weil es so verführerisch logisch klingt. Aber erinnert Euch daran, wie das Böse in die Welt gekommen ist. Es war eine Schlange, die den Menschen vom Willen Gottes getrennt hat. Und dann erinnert Euch, wie diese Trennung überwunden worden ist: Mit dem Tod Jesu am Kreuz. Er ist für uns gestorben, damit wir frei für das Gute sind.

Sich nicht vom Bösen überwinden zu lassen, heißt Frieden stiften.

Selig sind, die Frieden stiften;
denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Martin Luther hat einmal gesagt:

Du bist aller Dinge frei bei Gott durch den Glauben, aber bei den Menschen bist du jedermanns Diener.

Genau das ist das Geheimnis. Die Freiheit, die ich im Glauben an Gott habe, nimmt mich allen anderen Menschen gegenüber in die Pflicht:

Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen…

Amen.

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am Reformationstag 2022, 31. Oktober 2022, über Römer 12,9 und ein Zitat von Martin Luther im Rahmen des Ökumenischen Gottesdienstes am Reformationstag in der Johanneskirche zu Partenkirchen.

Pfarrer Martin Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke

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