Pfr. Martin Dubberke
Glaubenswagnis - Der Himmel über der Johanneskirche zu Partenkirchen | Bild: Martin Dubberke

Glaubenswagnis

Liebe Geschwister, es gibt bei diesem Predigttext etwas, das mich besonders berührt. Der Brief an die Kolosser ist im Gefängnis entstanden. Da schreibt jemand, der wegen seines Glaubens im Gefängnis sitzt, an seine Gemeinde einen Brief des Glaubens. Einen Brief, in dem es um Vergebung geht, das Leben im Glauben, das gegenseitige Lehren und Ermahnen mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern. Da bleibt jemand auch unter dem Druck von Gefangenschaft und drohendem Tod standhaft und fröhlich in seinem Glauben und sorgt sich auch noch um die anderen, denen er einmal den Glauben gebracht hat.

Ihr werdet es ahnen, an wen mich das erinnern wird. Es gab ja auch andere Menschen in der Geschichte unseres Glaubens, die in dieser Weise ihren Glauben bekannt haben, ihren Glauben nicht aufgegeben haben, sondern noch umso stärker bekannt haben, die auch Briefe aus dem Gefängnis geschrieben haben. Die Liste solcher Menschen ist lang. Aber Ihr ahnt es, weil Ihr mich mittlerweile ganz gut kennt, dass ich hier sofort an Dietrich Bonhoeffer denken muss, der viele Briefe aus dem Gefängnis geschrieben hat, die sein Freund Eberhard Bethge dann später zusammen mit anderen Aufzeichnungen aus der Haft unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“ veröffentlicht hat. Bethge hat diesem Weg einen Text von Bonhoeffer als Prolog vorangestellt, der den Titel trägt: „RECHENSCHAFT AN DER WENDE ZUM JAHR 1943 – Nach zehn Jahren“. Der Blick zurück auf 10 Jahre Nationalsozialismus, und was dieser mit den Menschen macht. Ein gefährlicher Text. Hier schreibt Bonhoeffer etwas, das mich an unseren Predigttext erinnert:

Die Deutschen fangen erst heute an zu entdecken, was freie Verantwortung heißt. Sie beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht.

Es ist genau das, was der Brief an die Kolosser auch tut: Er stellt das Glaubenswagnis verantwortlicher Tat in den Mittelpunkt, das auch dazu führen kann, dass man darüber zum Sünder wird, dem Vergebung und Trost zugesprochen wird.

Der Brief an die Kolosser ermahnt die Gemeinde, eins mit dem Glauben zu sein. Dazu wählt der Autor das Bild des Anziehens. So wie man sich ein Gewand anzieht, so solle man sich mit dem Glauben das Erbarmen, die Freundlichkeit, die Demut, die Sanftmut und Geduld anziehen.

Vielleicht kommt jetzt der eine oder andere von Euch auf die Idee, dass doch eigentlich all das innere Eigenschaften sein sollten, die von innen nach außen in die Welt hineinwirken sollten. Das mag stimmen, aber es entsteht hier ein ganz anderes Bild. Wenn jede Eigenschaft wie ein Gewand ist, dann trage ich Schicht über Schicht und es wird zu einem Schutzgewand. Ich trage meinen Glauben mit all seinen Glaubenswagnissen nach außen, gut sichtbar für jedermann und jederfrau. Jeder kann erkennen, warum ich handle, wie ich handle. Und zugleich kann ich auf diese Weise Dinge in meinem Umfeld verändern. Es wird deutlich, dass mein Handeln nicht von Egoismus getrieben ist, sondern aus meinem Glauben heraus. Es ordnet mein Handeln in eine ganz andere Dimension ein. Und nur, wenn ich das Wort Christi in meinem Handeln und Reden erkennbar werden lasse, dann können alle anderen mit einem Male erkennen, dass das mit dem Glauben etwas ist, das diese Welt besser macht.

Und als letztes Gewand wird die Liebe angezogen:

Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit

Sprich: Jedem Menschen, allen, denen ich begegne, sehen und erkennen zuerst die Liebe, mit der ich ihnen begegne. Die Liebe ist meine Grundhaltung. Die Liebe ist das, was ich ausstrahle. Mit der Liebe gewinne ich mein Gegenüber.

Und gleichzeitig stärkt mich mein Schutzgewand aus Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, dem Ertragen des anderen und der Vergebung untereinander.

Zöge ich es aus, wäre ich nackt und bloß und würde zittern, weil ich dann in einer kalten, egoistischen Welt wohl erfrieren würde.

Aber es geht nicht nur um das Schutzgewand, sondern auch um unsere Motivation. Und auch hier ist der Brief an die Kolosser sehr eindeutig:

Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.

Der Friede Christi, von dem wir in unseren Zeiten gerade so weit entfernt sind, macht deutlich, dass wir in dieser Welt, ja nicht einmal in Europa in einem Leibe sind. Da ist die EU, da ist die Ukraine, da ist die Nato, da ist G7 und da ist Russland, das gegen alle ist, von China einmal ganz zu schweigen.

Es gibt Bündnisse, mit gemeinsamen Grundsätzen und in diesen Bündnissen zahllose Einzelbedürfnisse.

All das macht deutlich, wie sehr auch wir als Christinnen und Christen versagt haben. Es ist uns bis zum heutigen Tage nicht gelungen, dieser eine Leib zu werden, zu dem uns der Friede Christi berufen hat. Es ist uns noch immer nicht gelungen, dass der Friede Christi unsere Herzen regiert. Da sind die Regierenden nicht das einzige Beispiel, sondern auch wir selbst, in unseren Beziehungen zu den Menschen auf der Straße, im Geschäft, auf unserer Arbeit, in unseren Familien. Wie viele Menschen habe ich in den vergangenen Jahren hier beigesetzt, wo die Familien bis aufs Blut verstritten waren und am Ende dann ein christliches Begräbnis gewünscht haben. Vielleicht nicht nur, weil es dazu gehört, sondern, weil vielleicht damit auch die Sehnsucht nach Heilung verbunden wird.

Ich habe in dieser Woche einem interessanten Gespräch teilgenommen, in dem es um auch um die Russisch Orthodoxe Kirche ging. Wir wissen ja alle miteinander, wie problematisch das Verhältnis zu dieser Kirche ist, weil der Patriarch von Moskau wie das Sprachrohr des Mannes im Kreml ist. Die Kollegin meinte, dass man den Gesprächsfaden offenhalten müsse, um nach dem Ende des Krieges wieder zusammenkommen zu können. Ich erinnerte in diesem Gespräch an die dunkle Zeit unserer Evangelischen Kirche in den Jahren zwischen 1939 und 1945. Und in unserer Gemeinde haben wir hier auch eine ganz besondere Erinnerung, weil unsere eigene Gemeinde gemeinsam mit der Marktgemeinde damals den eigenen Pfarrer aus dem Amt gedrängt hat, weil seine Frau jüdische Wurzeln hatte. Ich erinnerte in dem Gespräch also daran, dass auch unsere Evangelische Kirche in Deutschland in der dunklen Zeit von der Gemeinschaft der Kirchen in der Welt isoliert war und erst am 18./19. Oktober 1945 mit der Stuttgarter Schulderklärung den Weg zurück in die Gemeinschaft der Kirchen gefunden hat, aus der ich jetzt zitiere:

Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.

Durch jedes einzelne Wort können wir hören, was passiert, wenn wir nicht so leben, wie es uns die Verse aus dem Brief an die Kolosser ans Herz legen.

Und gleichzeitig wird mit dieser Erklärung noch etwas deutlich: Es geht um Schuldbekenntnis und Vergebung, die Übung dessen, wozu wir im Kolosserbrief aufgefordert werden:

wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!

Und zum Vergeben gehört auch das Bekennen der Schuld, das Gewahrwerden dessen, was man mit seinem Handeln ausgelöst und verursacht hat: Nämlich das Leiden anderer Menschen.

Beichten können und Vergeben können, bedingen einander, damit es eine Gemeinschaft geben kann.

Es geht in der Stuttgarter Schulderklärung auch um das Glaubenswagnis. Man muss sehr mutig sein, um sich darauf einzulassen.

Und genau darum geht es auch im Brief an die Kolosser, dass alle ihren Anteil am gemeinsamen Leben, am gemeinsamen Frieden, an der gemeinsamen Freiheit haben. Und dazu hat jede und jeder von uns den Auftrag, darüber zu sprechen, dass er glaubt, warum er glaubt, was seinen Glauben ausmacht, wo die Kraftquellen seines Glaubens liegen und was es bedeutet aus dem Glauben heraus zu handeln und zu entscheiden. Aus all dem wird deutlich, was Gott von jedem und jeder von uns erwartet, nämlich genau das, was Paulus damals aus dem Gefängnis an seine Gemeinde geschrieben hat:

16 Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.

17 Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Amen.

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt über Kolosser 3, 12-17 am Sonntag Kantate, 15. Mai 2022, Perikopenreihe IV, in der Markuskirche zu Farchant

Pfr. Martin Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke

 

 

 

 

 

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