Pfr. Martin Dubberke

Ewigkeit und Geduld sind Geschwister

Liebe Gemeinde, erinnern Sie sich! Reminiszere! Reminiscere miserationum tuarum! „Denk an dein Erbarmen, Herr!“ So steht es in Psalm 25, 6, der diesem Passionssonntag seinen Namen gab. Der Herr möge sich an sein Erbarmen erinnern. Und Gott erinnerte sich an sein Erbarmen.

Das verrät uns das Votum für diesen Sonntag aus Römer 5: „Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“

Wenn wir uns immer wieder mal so von Zeit zu Zeit in der Selbstverständlichkeit unseres Glaubens an diese beiden Dinge erinnern, daß Gott sich stets seines Erbarmens erinnert und er seine Liebe zu uns durch den Tod seines Sohnes erwiesen hat, dann können wir im Ansatz eine Ahnung haben, mit welcher Liebe und vor allem Geduld Gott uns Menschen begegnet.

Jeder von uns wäre an uns Menschen schon schier verzweifelt und hätte die Flinte ins Korn geschmissen. Ich meine, wer nimmt es schon gerne mit so ignoranten und arroganten Wesen wie uns Menschen auf, die immer alles besser wissen? Wer hält das aus? Wir sind doch, Hand aufs Herz, liebe Schwestern und Brüder, schon das eine um das andere Mal ziemlich ungenießbar. Und wenn ich daran denke, wie vielen Menschen Gott einfach Schnuppe ist und das Häuflein Christen klein immer kleiner wird. Wer hätte mit uns Menschen, ich meine das jetzt mal so ganz allgemein auf die Spezie Mensch geblickt und nicht auf das Individuum, soviel Geduld mit uns aufgebracht wie Gott? Gott hat uns vor dem Hintergrund der Ewigkeit nie aufgegeben, sondern als seine besondere Aufgabe gesehen. Die göttliche Geduld wird somit auch für uns zu einer Herausforderung.

Ewigkeit und Geduld sind Geschwister. Geduld funktioniert nur, wenn ich den Gedanken der Ewigkeit zutiefst verinnerlicht habe. Geduld wird durchhaltbar, wenn das Ziel erkennbar ist, wenn das Ziel definiert ist, wenn ich weiß, dass es eine bestimmte Dauer hat. Und entweder definiert sich das Ziel im Angesicht der Ewigkeit oder aber zum rechten Zeitpunkt, wenn es soweit ist, wenn es reif ist. Im Glauben lässt sich nichts übers Knie brechen. Glauben ist werden und wachsen.

Da befinden wir uns in einer grundsätzlich anderen Situation als Paulus. Paulus war ein großer Motivator, eine Beweger. Wo wir Gemeinden fusionieren, Kirchen schließen und verkaufen, hat er Gemeinden gegründet und das Fundament für eine weltumspannende Kirche gelegt. Er hat seinen Gemeindegliedern in jeder Anfechtung nahegestanden, sie angefeuert, ihnen Mut gemacht, durchzuhalten, standhaft zu bleiben, zu wachsen. Es waren andere Bedrängnisse als heute, denen die noch jungen Gemeinden ausgesetzt waren: Verfolgung, Schmähung, und wer weiß noch was alles.

Das sind Dinge, vor denen wir uns heute 2010 in Deutschland nicht wirklich fürchten müssen. Wir haben eine andere Furcht: Als Kirche in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Ich schaue mir nur unsere kleine Silas-Kirche an. Als ich hier vor bald zwanzig Jahren mein Vikariat gemacht habe, saßen im Gottes-dienst um die vierzig, manchmal fünfzig Menschen. Heute kommen wir manchmal mit Mühen auf zehn. Wer heute nicht mehr kommt, lebt nicht mehr. Es ist niemand nachgewachsen.

Das macht mir Sorge. Wo sind die Menschen, die morgen noch in unsere Gemeinden kommen sollen und die Gemeinde am Leben erhalten? Im Gegensatz zu Paulus bauen wir keine Gemeinden mehr auf. Gründen keine Gemeinden, sondern fusionieren und schließen Gemeinden. Wo Paulus motiviert, gekämpft und Mut gemacht hat, gibt es heute eine EKD-Denkschrift. Uns fehlt ein Paulus, der uns begeistert, Mut macht. Unsere Bedrängnis – und das wird an dieser Stelle deutlich – ist heute eine ganz andere geworden, als zu Zeiten des Paulus. Unsere Bedrängnis ist die Gefahr der Bedeutungslosigkeit, der Verdrängung an den Rand, die Kapitulation. Gut, auch Paulus hat wider die Kapitulation gearbeitet. Auch bei Paulus gab es Gemeinden, die kurz vor der Aufgabe standen, weil die Menschen glaubten, es nicht schaffen zu können. Und genau darin sind wir unseren Glaubensschwestern und Brüdern der ersten Stunde ganz nah. Der Kampf gegen die Kapitulation, die Selbstaufgabe. Es geht um die Zukunft. Da wo die Christen des Anfangs auf die Wiederkunft Christi warteten und warteten, ohne, dass etwas geschah – also die sogenannte Parousieverzögerung – da kamen die Menschen in Erklärungsnot. Es bestand die Gefahr, dass sich die jungen Christen enttäuscht von den Gemeinden abwanden und so die Gemeinden auseinandergefallen wären. Hier predigte Paulus die Zukunft und hielt die Leute bei der Stange. Und er hielt sie so bei der Stange, dass die Gemeinden wuchsen und wuchsen und aus ihnen eine weltumspannende Kirche wurde. Und all das hat Paulus mit solchen Worten geschafft, wie wir sie heute in unserem Predigttext in Römer 5 lesen können:

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird.

Die Kraft der Herrlichkeit, der Mut aus der Gnade. Der Glaube, als Zugang zur Gnade und die nicht enden wollende Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit. Nicht wissend wann und wo, sondern dass.

Darum ging es: Zu wissen, dass die Herrlichkeit kommen würde, wie lange man auch darauf warten würde. Dieser Perspektive machte stark und ließ über den Tag hinaus denken. Die Perspektive änderte sich. Es ging nicht mehr um heute und morgen die Ewigkeit, sondern um heute, morgen, in einem Jahr, irgendwann, wenn es dann so weit ist, dann wird das auch mit der Herrlichkeit. Diese Zuversicht hat die Gemeinden stark und groß gemacht. Stark im Aushalten und Standhalten wider alle Bedrängnis, die es nun früher wirklich gab, weil man nicht an die vorherrschenden staatlichen Götter glaubte. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass Paulus der Völkerapostel genannt wird. Er war also nicht im klassischen Einzugsbereich Israel unterwegs, sondern im kompletten Mittelmeerraum. Da konnte die Bedrängnis schon Gefahr um Leib und Leben bedeuten.

Und da holte Paulus zu einen genialen Wandel des Denkens aus. Er dreht gewissermaßen den Spieß um und gewinnt der Bedrängnis gute Seiten ab:

Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Das ist doch einfach nur schön. Mich drängt etwas, und Drängen oder Bedrängen heißt ja unter Druck geraten, etwas bewegen zu wollen oder zu müssen und das dann auch von jetzt auf sofort. Paulus nimmt im Angesicht der Ewigkeit diesen Druck raus und sagt: Bedrängnis bringt Geduld. Haben wir da nicht eine andere Erfahrung? Wenn wir unter Druck geraten, werden wir ungeduldig, ungehalten, hektisch, nervös. Doch was sind Hektik und Ungeduld im Angesicht der Ewigkeit? Ein kurzer Augenaufschlag. Das lässt mich innehalten und das meiste tragen. Ich fühle mich nicht allein gelassen, denn ich weiß ja Gott an meiner Seite. Und das ist, was zählt. Paulus erinnert mich noch einmal daran: Ich bin gerechtfertigt, einfach so aus Glauben. Und gerechtfertigt zu sein, heißt, Frieden mit Gott zu haben. Und das heißt doch nichts anderes, als in sich zu ruhen, denn ich habe die Gewissheit der Liebe Gottes und was brauche ich mehr? Damit gehört das Jammern und Murren der Vergangenheit an, weil mir der Blick für das Zukünftige geöffnet worden ist. Dafür, Paulus, sei Dir ewig Dank! Amen.

Gottesdienst am Sonnabend vor dem Sonntag Reminiszere
27. Februar 2010
Silas-Kirche zu Berlin-Schöneberg
Predigttext: Römer 5, 1-5
Perikopenreihe: II