Heute ist Sonntag Reminiscere, der zweite Sonntag der Passionszeit. Vier Passionssonntage liegen noch vor uns. Psalm 25, 6 hat diesem Sonntag seinen Namen gegeben:
Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte,die von Ewigkeit her gewesen sind.
Ich musste ein wenig schmunzeln, als mein Blick auf die Versangabe fiel. Es ist mein Geburtstag. Für einen Moment bin ich versucht, darüber nachzudenken, ob das was zu bedeuten hat.
Was mich betrifft, kann ich sagen, dass ich in meinem Leben Gottes Barmherzigkeit immer wieder erfahren durfte.
Aber eigentlich fällt mir noch etwas ganz anderes an dem Vers auf. Der Psalmbeter fordert Gott auf, sich seiner Barmherzigkeit zu erinnern. „Gedenke, Deiner Barmherzigkeit!“
Das klingt im ersten Moment ein wenig dreist. Ihm muss doch klar sein, dass Gott nicht vergisst.
Reminiscere – Gedenke… ich muss an das schöne Wort Reminiszenz denken. Eine kleine Reminiszenz ist ein Blick zurück, meist gepaart mit ein wenig Sehnsucht. Eine Erinnerung. „Erinnerst Du Dich noch?“ Reminiszenz ist der Anklang an etwas Früheres, das in der Regel immer mit etwas Schönem oder Gutem verbunden war.
Und wenn ich mir jetzt mal den Psalm näher anschaue, dann habe ich hier einen Menschen, ein Volk, dem es nicht gut geht. Es verlangt nach Gott, nach Gottes Hilfe und Unterstützung. Der Psalmbeter hat Angst um sein Leben, seine Existenz und genau das erzählt er Gott. Und in diesem Zusammenhang hält er Rückschau auf seine bisherigen Erfahrungen mit Gott, wenn er sich in Not fühlte und hofft nun, dass es ihm in dieser Situation wieder so ergeht.
Daher bittet der Psalmbeter Gott, sich daran zu erinnern, dass er barmherzig war und ist und, dass das eine seiner Eigenschaften ist, die er schon von Ewigkeit an hat. In diesem Fall klingt es aber weniger nach einer Reminiszenz, sondern mehr nach einem verzweifelten: „Bitte erinnere Dich daran, dass Du mir, dass du uns gegenüber schon einmal barmherzig warst, bitte sei es wieder, weil Du doch von je her barmherzig bist. Bitte mache auch dieses Mal keine Ausnahme davon.“ Es ist also eine erinnernde Bitte.
Gleichzeitig bittet er ihn auch darum, sich nicht der Sünden seiner Jugend zu erinnern. Auch das deutet darauf hin, dass er schon eine entsprechende Erfahrung mit Gott in seinem Leben gemacht hat und Barmherzigkeit fahren hat und weiß, wie sich das anfühlt.
Das schließt direkt an Invocavit an:
Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not.
Psalm 91, 15
Invocavit – Er ruft mich an. Ich rufe ihn an, wenn ich an meine Grenze komme.
Mir geht aber noch ein anderer Gedanke durch den Kopf. Barmherzigkeit ist für mich keine Einbahnstraße, wenn ich von Gott Barmherzigkeit erfahren habe, dann hat er mir vorgemacht wie es funktioniert, dann weiß ich, wie wunderbar und befreiend sich Barmherzigkeit anfühlen kann. Das heißt: Auch ich darf die empfangene Barmherzigkeit selbst weiterreichen und leben. Seit Adam und Eva wissen wir, dass der Mensch nicht perfekt ist, sondern fehlbar. Und wer bin ich, wenn ich mich in Härte einem anderen Menschen gegenüber erhebe, wenn Gott, der doch so viel größer und mächtiger ist als ich, mir gegenüber barmherzig ist?
Das Gedenke, dass der Psalmbeter zu Gott sagt, ist zugleich auch die Aufforderung an mich selbst, daran zu denken, selbst barmherzig zu sein, die Barmherzigkeit, die ich von Gott erfahren habe, bei anderen Menschen, bei meinem Nächsten weiter wirken zu lassen, das Gute, das ich von Gott erfahren, weiterzugeben.
Reminiscere, dass Gedenke, dass Erinnere hat solcherweise eine doppelte Bedeutung. Zum einen erinnert es mich daran, von wem die Barmherzigkeit ausgeht, und zum anderen erinnert es mich daran, selbst Barmherzigkeit zu üben.
Passionsnotiz Nr. 12 vom 12. März 2017