Pfr. Martin Dubberke
DAs Kind in der Krippe (LAFIM-Krippe Potsdam) | Bild: Martin Dubberke

Die Sache mit der Sehnsucht

Liebe Geschwister, was ist das eigentlich heute? Feiern wir jetzt Heiligabend oder den vierten Advent? Wer hat denn heute morgen noch die vierte Kerze angezündet?

Die vier Kerzen im Advent stehen für die Umkehr, die Neuausrichtung unseres Lebens. Wir erwarten die Geburt Jesu und nähern uns der Geburt, indem wir uns selbst auf den Weg machen. So, wie Ihr alle Euch heute auf den Weg hierher in unsere Johanneskirche gemacht habt. Ihr folgt dem gleichen Ruf, wie einst die Hirten auf dem Felde.

Es ist kein Zufall, dass die es die Hirten waren, die zuerst zum Kind gerufen wurden. Hirten wissen um ihre Verantwortung für das Leben. Hirten haben gelernt, Verantwortung zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass es einer Herde gut geht, dass gute Weiden gefunden werden und Wasserquellen und die Herde zusammenbleibt. Vielleicht war auch das der Grund, dass zuerst die Hirten auf dem Felde von den Engeln Gottes zur Krippe gerufen wurden, weil sie in der Lage waren, in diesem kleinen schreienden Baby, das da in seinen Windeln lag, zu erkennen, dass von ihm das Leben ausgeht. Hirten sind verantwortungsvolle Kümmerer. Und wenn wir heute in die Kirche, in den Gottesdienst am Heiligenabend gerufen werden, und dem Ruf folgen, mag es vielleicht auch daran liegen, dass wir in uns spüren, dass wir doch auch Hirten sind, dass wir Kümmerer sind, und uns um die Sache Jesu kümmern wollen, dass er seinen Raum in unserem Leben und in unserer Gesellschaft hat.

Vielleicht sollten wir den Heiligen Abend nutzen, um unseren Sehnsüchten nachzuspüren und für jede Sehnsucht noch einmal eine Adventskerze anzünden, weil jede Kerze Licht auf dem Weg zur Krippe macht.

Die erste Kerze:

Sehnsucht Nr. 1 – Die Sehnsucht, gehört und gesehen zu werden

[Plötzlich taucht ein Paparazzo auf und fotografiert wie irre die Krippe.]

Was war das denn gerade? Was wäre denn gewesen, wenn nicht die Hirten, sondern die Fotografen und Bildreporter zuerst an der Krippe gewesen wären? Würde heute Jesus geboren, und man wüsste, dass mit ihm der Sohn Gottes geboren würde, gäbe es dann lauter Paparazzi, die die Krippe fotografieren würden? Oder würde es vielleicht niemanden interessieren? Oder würden sich Menschen vor die Krippe stellen und Selfies machen, um diese auf Instagram zu posten? Und wie würde das aussehen? Zum Beispiel so?

Ich bekomme uns einfach nicht mit der Krippe drauf. Ach, da fällt mir etwas ein. [Ich nehme den Selfie-Stick aus meiner Tasche, bastele das iPhone dran und mache weiter.]

Na, wenn das keine himmlische Perspektive ist.

So, und jetzt das Ganze rasch noch auf Instagram posten. #Krippe #Frieden #Friedefürst #Bethlehem #GottesSohn. #MerryXmas – So und jetzt: Wir haben ihn gesehen! Wir haben Jesus gesehen!

Hätte sich die Nachricht von der Geburt Jesu auch so verbreitet, wenn es schon vor 2023 Jahren Facebook, Instagram, WhatsApp und X gegeben hätte? Hätte Gott, statt seine Engel zu schicken, einfach ein Bild gepostet und geschrieben, dass sein Sohn geboren ist, was wäre da passiert?

Wie viele Likes hätte dieses Bild gehabt und wie viele Menschen hätte es dazu gebracht, nach Bethlehem aufzubrechen, wo dieser kleine Wurm, der die Welt so nachhaltig prägen und verändern sollte geboren worden ist.

Wie viele Menschen hätten gesagt, dass es sich um Fake News handelt?

Aber ganz ehrlich? Reicht es, dass ich einen Post setze, wenn ich etwas verändern will? Ich schreibe zwei oder drei Zeilen und denke: Wie gut bin ich!?!

Erreicht so ein Post die Menschen? – Ich weiß es nicht. Auch wenn ich selbst in den Sozialen Medien unterwegs bin. Ich habe eine Erfahrung gemacht, dass sich erst ändert, wenn ich etwas an mir selbst ändere, wenn ich meine christliche Haltung deutlich mache.

Social Media ist die Sehnsucht nach Bedeutung und ein wenig Prominenz. Sie ist die Sehnsucht, etwas bewegen zu können, vielleicht ganz einfach etwas bewegen zu können. Sie ist die Sehnsucht, etwas zu sein. Social Media ist die Sehnsucht gesehen zu werden, mit seinen Bedürfnissen, Verrücktheiten, seinem Protest aber auch seiner Ohnmacht gesehen zu werden. Aber eigentlich kommt es doch darauf an, von Gott gesehen zu werden. Und genau das hat er uns in der Heiligen Nacht erneut versprochen.

Gott hört uns zu. Er lädt uns ein, mit ihm zu sprechen, zu ihm zu beten, so wie die Hirten vor dem kleinen Jesus-Kind die Knie gebeugt haben. Er lädt uns ein, unser Herz bei ihm auszuschütten, unseren Fragen, unseren Sehnsüchten, unseren Klagen eine Adresse zu geben, einfach mit den Worten zu beginnen: Lieber Vater!

Gott hat uns nicht versprochen, alle Wünsche zu erfüllen, aber er hat uns Versprochen, dass sich unser Herz aus den Fesseln der Zwänge lösen kann.

Wir feiern heute Weihnachten, weil es ein paar Hirten gelungen ist, viral zu gehen. Weil ein paar Hirten einfach die Menschen persönlich angesprochen haben und ihnen erzählt haben, was sie gesehen, erlebt und gefühlt haben, was das mit ihnen gemacht hat. Auf diese Weisen haben sie die Menschen überzeugt. Wir feiern heute Weihnachten, weil vor zweitausend Jahren ganz viele Menschen angefangen haben, die Botschaft Jesu von einer Generation zur Nächsten weitergegeben haben, sie erzählt haben, sie für ihr Leben als relevant erlebt haben.

Doch was wissen wir selbst heute noch davon? Wir wissen vielleicht gar nicht mehr so viel, aber was geblieben ist, ist die Sehnsucht in uns. Darum lasst uns von unserer Sehnsucht erzählen.

Wir haben so viele Bilder in unseren Köpfen, von dieser Welt, von der Krippe, von Weihnachten, wie Weihnachten abzulaufen hat. Da muss ein Weihnachtsbaum her. Der Glühwein, die Geschenke, möglichst ein alte Familienkrippe. Man streitet sich darum, ob der Baum geschmückt wird oder nicht, ob es rote Kugeln oder Strohsterne sein sollen, ob mit oder ohne Lametta, ob Nordmann oder Fichte, ob man zu Hause bleibt oder zu den Schwiegereltern fährt, ob die einen Schwiegereltern am ersten Feiertag dran sind und die anderen am zweiten Feiertag. Weihnachten ist einfach Stress. Ich sage es Euch. Und das hat etwas mit den Bildern zu tun, die wir in unserem Kopf haben. Da sehen wir eine romantische Weihnachtskomödie und uns laufen mit einem Male die Tränen über die Wange, weil unsere Sehnsucht getriggert wurde. Wir sehnen uns nach einer heilen Welt, einer heilen und sicheren Welt, in der wir uns alle einander lieben. Kein Streit, kein Stress, sondern Frieden und Liebe, Peace an Love.

Und nun sitzt Ihr alle mit Eurer Sehnsucht bei mir im Gottesdienst.

Zweite Kerze:

Sehnsucht Nr. 2 – Die Sehnsucht nach  Frieden!

Wie war das doch gleich noch einmal mit dem „Friedefürst“ – Friede auf Erden… Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich sehne mich nach dem Frieden, den Gott uns durch Jesus versprochen hat.

Ich sehne mich danach, dass ich die Zeitung aufschlage und nicht mehr lesen muss, was nicht gelingt, sondern lesen kann, was gelingt. Ich sehne mich nach guten Nachrichten. Ich sehne mich danach, zu lesen, dass Frieden in der Welt ist.

Ich weiß, das klingt naiv, aber am Heiligen Abend darf man sich das doch wünschen, oder? Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Ich habe Sehnsucht nach diesem Wohlgefallen. Wohlgefallen, ein wunderschönes Wort. Alles ist Wohl und alles ist Gefallen, weil es Gott gefällt.

Ich weiß gar nicht wohin mit meiner Sehnsucht. Gibt es einen Ort, an den ich fliehen kann, wo ich mit meiner Sehnsucht Asyl finde? Wo kann dieser Ort sein?

Bethlehem war einmal der Ort, von dem diese Sehnsucht in die Welt hinausgegangen ist. Und heute, 2023 Jahre später herrscht im Heiligen Land zu Weihnachten Trauer und die Christinnen und Christen feiern nicht öffentlich Weihnachten. Bethlehem liegt 10 km von Jerusalem entfernt im palästinensischen Autonomiegebiet. Ob man heute zur und in die Geburtskirche kommt, ist nicht gewiss.

Heute Nacht wollen fünfzig Benediktinermönche und Studenten nach der Christmette von Jerusalem nach Bethlehem zu Fuß aufbrechen. Sie wissen nicht, ob sie bis zu Geburtskirche kommen werden. Aber sie lassen sich von ihrer Sehnsucht leiten. Wie haben sich die Zeiten geändert, seitdem der Engel die Hirten auf dem Felde rief und die himmlischen Heerscharen Gott lobten und sprachen:

Ehre sei Gott in der Höhe
Und Friede auf Erden
Bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Lukas 2,14

Dritte Kerze:

Sehnsucht Nr. 3 – Versöhnung

Ich habe Sehnsucht nach einer heilen Welt. Wenn ich am Heiligen Abend in die Krippe schaue, erinnere ich mich daran, dass uns Gott, weil er uns so liebt, seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden geschickt hat. – Soll jetzt keiner sagen, dass er keinen Mist gebaut hat. Gott hat uns in der Heiligen Nacht die Versöhnung angeboten. Was für ein wunderbares Wort: „Versöhnung“. Würde ich es gendern, könnte ich auch „Vertöchterung“ sagen. In diesem Fall kann ich das Wort Versöhnung noch einmal vollkommen neu hören, nämlich, als das, was es ist. Gott macht auf diese Weise deutlich, dass wir alle seine Söhne und Töchter sind, seine Kinder.

Gott macht damit deutlich, dass er unser aller Vater ist, der uns liebt wie ein Vater, der uns tröstet wie ein Vater, der uns beisteht wie ein Vater, der uns vergibt wie ein Vater. Ich kann mit meinen Sehnsüchten zu ihm gehen wie zu meiner Mutter oder meinem Vater und er hört mir zu.

All das spiegelt sich in der Heiligen Nacht wider, in der unsere Sehnsucht nach Heil, nach heiler Familie und einer heilen Welt zusammenkommen. Und es macht deutlich, dass damit auch gegenseitiges Einsehen und Verzeihen nötig werden. Weihnachten ist in der Tat ein Familienfest, ein Fest bei dem wir spüren können, wie die Liebe Gottes, uns verändert. Wir dürfen die verändernde und befreiende Liebe des Vaters zu uns, seinen Kindern spüren, erleben und feiern und auch unsere Liebe weiterschenken.

Ich lese den Predigttext aus dem Brief des Paulus an die Galater:

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, 5 auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen.
6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! 7 So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
Galater 4,4-7

Die vierte Kerze:

Sehnsucht Nr. 4 – Die Sehnsucht nach Orientierung

Wer dem Stern folgt, der folgt Jesus. Jesus nordet uns ein und wenn wir uns darauf einlassen, dann können wir nicht mehr den Weg weitergehen, den wir jetzt gerade in unserer Welt gehen. Wir sind keine Knechte mehr, die auf Befehle hören, sondern wir sind Kinder. Wir sind Kinder Gottes und dürfen von Gott lernen, wie man richtig lebt.  Jesus ist das Licht in der Dunkelheit unserer Welt.

Ein Knecht tut das, was man ihm sagt. Ein Kind aber lebt aus seiner Neugier und Kreativität heraus, es erkundet die Welt und findet Wege, die andere vielleicht nicht finden.

Wir wähnen uns mündig, doch wir haben unseren Willen an die Verhältnisse abgegeben, statt uns an Jesus zu orientieren.

Gott will, dass wir mündig sind. Und Mündigkeit ist Freiheit und Freiheit ist ein Wagnis. Die eigene Unmündigkeit zu überwinden, kostet viel Kraft, Mühe und vor allem Mut, den Mut des Aufbegehrens.

Aufbegehren ist ein Begehren und ein Begehren ist eine Sehnsucht. Wie weit wird Euch die Sehnsucht aus der Heiligen Nacht tragen. Bis Neujahr kann sich das schon wieder verflüchtigt haben, so wie sich am 2. Januar schon die guten Vorhaben meist erledigt haben, weil wir spüren, wie viel Kraft es kostet, nicht zwischen links und rechts zerrieben zu werden.

Bewahrt Euch die Sehnsucht der Heiligen Nacht, denn diese Sehnsucht lässt Euch für das Gute, die Liebe, den Frieden brennen. Ihr habt es von Paulus gehört: Ihr seid frei!

Lasst in unseren dunklen Zeiten in Euch das Licht der Heiligen Nacht brennen, denn Menschen, die von der Hoffnung erfüllt leben, werden und sind ein Segen für die Welt. Wir sind Erben durch Gott, lasst uns mit diesem Erbe gut und verantwortungsvoll umgehen.

Dieses Weihnachten macht uns deutlich, wie sehr wir den Glauben brauchen. Er ist das Einzige, was uns über Gräben hinweg mit anderen verbinden kann. Dieses kleine, nackte Baby, konfrontiert uns mit unserer eigenen Verletzlichkeit. Dieses kleine Baby sagt uns Erwachsenen und Kindern, worauf es ankommt. Dieses kleine Baby, löst in Euch, in uns, so viel Sehsucht aus, dass ihr auch dieses Jahr wieder zum Weihnachtsgottesgottesdienst aufgebrochen seid. Damit habt Ihr den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Nun müsst ihr nur noch die nächsten Schritte gehen…

Amen.

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt über Galater 4,4-7, Perikopenreihe VI in der Christvesper in der Johanneskirche zu Partenkirchen, 24. Dezember 2023

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