Wie halten wir es eigentlich mit dem Segen? In diesen Tagen hören wir ja sehr oft Sätze und Wünsche, in denen das Wort Segen vorkommt.
So kann es zum Beispiel passieren, dass Ihnen jemand unter einer Mail plötzlich schreibt:
„Ich wünsche Ihnen einen gesegnete Zweiten Advent.“
Oder ein Kollege sagt nachher vorm Mittagessen: „Gesegnete Mahlzeit.“
Es kann auch passieren, dass jemand zu Ihnen demnächst einmal sagt: „Gesegnete Feiertage!“ Oder: „Ein gesegnetes neues Jahr!“
Es gibt auch Kollegen, die haben in diesen Tagen Geburtstag und bekommen vielleicht Glückwunschkarten oder Mails mit dem Gruß: „Mit herzlichen Glück- und Segenswünschen zum neuen Lebensjahr.“
Auf Schritt und Tritt begegnen uns – allem voran in der Welt des LAFIM – Segenswünsche. Wir nehmen sie wahrscheinlich zuweilen als fromme Floskel wahr und sagen brav Danke. Ich kenne auch Menschen, die sich nicht für einen Segen bedanken?
Was passiert eigentlich mit solchen Menschen, die sich für den besten Wunsch, den man einem anderen Menschen schenken kann, nicht bedankt? Landen die am Ende in der Hölle oder fallen Sie einem Fluch anheim? Nebenbei gesagt: Auch ein Fluch ist ein Segen – aber eben ein negativer Segen.
Und wenn ein Fluch ein negativer Segen ist, dann ist ein Segen ein positiver Segen.
So, und dann gibt es ja noch so eine Art Rosamunde Pilcher unter den Segen: Den irischen Segen. Keine Segenswünsche auf dieser Welt sind schöner, romantischer, origineller, schräger, humorvoller als diese. Man denke nur an die heimlich-offizielle LAFIM-Hymne:
Möge die Straße uns zusammenführen
und der Wind in Deinem Rücken sein;
sanft falle Regen auf Deine Felder,
und warm auf Dein Gesicht der Sonnenschein.
Achtung, und jetzt meine Lieblingszeile:
Sei über vierzig Jahre im Himmel,
bevor der Teufel merkt: du bist schon tot.
Das ist doch ein Segen zum Schmunzeln.
Ein Segen kann auch trösten, wenn man ganz am Boden zerstört ist, wenn man glaubt, dass da gar nichts mehr geht und das Gefühl hat, dass da eher ein Fluch auf einem liegt.
Ein Segen ist dann der Zuspruch, dass man nicht allein ist, dass man von Gott geliebt und angenommen ist, dass man unter seinem Schutz lebt, auch wenn man das manchmal nicht sofort spürt oder auch glauben kann.
Es gibt auch Sachen und Situationen, in denen man sagt: „Da liegt kein Segen drauf.“ – Das sind oft Dinge, die nicht zu Ende gedacht worden sind, wo man auf alles Mögliche andere geachtet hat, andere Prioritäten gesetzt hat und den Blick für das Wesentliche, also das, was alles ausmacht, eben nicht hatte, wo man schlichtweg vergessen hat, nicht nur um den Segen zu bitten, sondern auch die Möglichkeit des Segens überhaupt in Erwägung zu ziehen. Da liegt kein Segen drauf, wenn man Gott vergessen geplant und gehandelt hat.
Ist das dann ein Fluch? – Nein, denn auch ein Fluch ist ja – wie ich heute noch einmal in Erinnerung gerufen habe – ein Segen, wenn auch ein negativer. Eine Sache, auf der kein Segen liegt ist dann eben das, was es ist: Eine Sache, auf der kein Segen liegt. Und er liegt da nicht, weil ihn keiner gesprochen, gewünscht, darum gebeten, daran gedacht oder gar daran geglaubt hat.
Der Segen ist eine besondere Kraft. Er ist die Kraft des Guten. Er ist der Wunsch, dass dem anderen ja nichts passieren möge, dass er gesund und heil bleibt, gesund und heil an sein Ziel kommt.
Dabei ist der Segen eine zeichenhafte Handlung. Wenn ich am Ende dieser Andacht den Segen sprechen werde, werde ich auch ein solches Zeichen geben, nämlich indem ich die Hände wie zum Schutz über Sie halten werde und dann mit meiner rechten Hand ein Kreuz schlage, das sogenannte Signum Crucis, das Zeichen des Kreuzes.
Von dem lateinischen signum leitet sich unser deutsches Wort „Segen“ ab.
Und nebenbei gesagt, die schönste Form des Segens ist die Handauflegung. Wenn ich mal einen Geburtstagssegen spreche oder bei einer Einführung jemanden segne und ihm die Hand auflege, dann spüre ich etwas. Da passiert etwas und ich spüre, wie auch bei dem Menschen, dem ich die Hand auflege, etwas passiert.
Eine besonders intensive Erfahrung habe ich hier als junger Vikar gemacht, als ich in einer riesigen Kirche in Berlin einen Gottesdienst gehalten habe und nur vier oder fünf Menschen in dieser Kirche waren, in die weit mehr als tausend Menschen gepasst haben. Und eine der Frauen so traurig war, dass sie weinte und sagte: „Eine so schöne Kirche, und niemand will zu Gott kommen.“ Ich legte damals meine Hand auf ihre Schulter und sprach einen einfachen Segen, um sie zu trösten und sie wurde ganz ruhig. Ich spürte unter meiner Hand ein ganz besonderes Kraftfeld. Einen Segen zu sprechen, verändert den anderen Menschen. Ich lasse ihn zeichenhaft die Kraft, die Wärme, die Nähe, die Zugewandtheit Gottes spüren.
Ich spreche dem anderen Menschen etwas zu. Ich spreche ihm etwas Gutes zu und das ist etwas grundsätzlich anderes als dem anderen gut zuzureden. Auch hier hilft uns wieder ein Blick in die kirchliche Fachsprache, das Latein. Hier heißt Segen „benedictio“. Das leitet sich von „benedicere“ also „bene“ – gut – und „dicere“ – sagen – also, jemanden gut sprechen, das Gute sagen, jemanden loben. Und damit wird deutlich, dass das Ziel des Segnens die Förderung von Glück und Gedeihen, von Schutz und Bewahrung ist. Ich wünsche dem anderen alles Gute. Ich wünsche, dem anderen, dass das, was er tut, auch ein Segen für die anderen sein mag.
Segen ist Wertschätzung. Wenn ich in der Haltung des Segens lebe, dann wünsche ich dem anderen nur das Beste. Das verändert das Miteinander. Einander ein Segen zu sein, bedeutet, sich in gegenseitiger Achtung zu begegnen und miteinander auf dem Weg Gottes zu sein und so auch für andere zum Segen zu werden. Wünschte ich dem anderen die Pest an den Hals wäre das zwar auch ein Segen, aber eben ein negativer, ein Segen, der die Gemeinschaft, das Miteinander zum Gegeneinander werden lässt.
Wie komme ich eigentlich darauf, mir heute ausgerechnet über den Segen Gedanken zu machen. Ganz einfach: Weil ich heute Morgen die Losung aus Psalm 121, die Verse 5-6 gelesen habe:
Der HERR behütet dich;
der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
Ein Segen, ein ganz einfacher, aber sehr schöner Segen. Und mal so ganz en passant: Dieser Segenswunsch steht in einem Psalm, der in seiner Überschrift „Ein Wallfahrtslied“ genannt wird. Den Katholiken unter uns, ist das Thema Wallfahrt vertrauter als uns Protestanten oder denjenigen unter uns, die nicht der Kirche angehören.
Eine Wallfahrt ist eine Peregrinatio religiosa, das Pilgern an einen heiligen Ort. Man nähert sich Schritt für Schritt dem Heiligen an, dem Ort, an dem etwas ganz Besonderes geschehen ist, wo jemand vor langen Zeiten eine besondere spirituelle Erfahrung gemacht hat oder ein Wunder des Glaubens geschehen ist. Dem will ich als Pilger, als Wallfahrer nahe kommen. Das ist so wie mit den vielen Besuchern aus aller Welt, die Jahr für Jahr zu mir ins Haus kommen, weil sie einmal im Arbeitszimmer von Dietrich Bonhoeffer stehen wollen, einmal an seinem Schreibtisch sitzen wollen, einmal einen Ton von dem Klavichord hören wollen, das er gespielt hat, um ihm nahe zu sein, der für viele Menschen den Status eines Märtyrers hat, und den der Papst als einen heiligen Mann bezeichnet hat.
Eine Wallfahrt ist damit eine besondere religiöse Erfahrung. Eine Wallfahrt ist zugleich auch ein Bußwerk. Sie dient der Umkehr, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen, sich neu auszurichten. Sie merken: Buße und Segen stehen in einem Zusammenhang, vor allem, wenn man auf einer Wallfahrt begreift, warum auf einer Sache kein Segen gelegen hat. Und diese Erkenntnis wiederum wird zum Bekenntnis, wenn ich gelobe, auf dem Weg Gottes zu bleiben, seinen Geboten zu folgen, sie zu halten und zu verteidigen. Und damit mir das gelingt, damit uns das gelingt, spricht uns der Beter des Psalms 121 auch heute noch diesen Segen zu:
Der HERR behütet dich;
der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
In diesem Sinne: Amen.
Andacht zur Tageslosung am 5. Dezember 2018 beim Fachtag für die Pflegedienstleitungen des LAFIM auf Hermannswerder