Pfr. Martin Dubberke

Der Glaube, der durch die Liebe tätig ist

Liebe Geschwister, manch einer von Euch wird diese Tasse schon kennen, entweder, weil er oder sie schon bei mir im Amtszimmer gewesen ist, und mit mir gemeinsam eine Tasse Kaffee getrunken hat. Und manch einer wird diese Tasse vielleicht auch vom Titel meines kleinen Büchleins „Auf eine Tasse Kaffee mit Gott“ kennen.

Cover – Auf eine Tasse Kaffee mit Gott

Diese Tasse habe ich mir mal auf dem Kirchentag in Berlin gekauft, weil ich eine Theologentasse für meinen Kaffee haben wollte. Und so wurde diese Tasse meine Lieblingstasse für mein Lieblingsgetränk Kaffee und natürlich für meine täglichen Verabredungen mit Gott.

Als ich nun gestern Abend mit meiner Frau noch eine Tasse Kaffee getrunken habe, fiel mein Blick auf das Luther-Zitat, das auf der anderen Seite der Tasse steht:

„Glaube ist ein Geschenk Gottes in unseren Herzen.“

Und im gleichen Moment sagte ich zu meiner Christiane: „Jetzt habe ich die Predigt für morgen im Kopf!“

Nun wisst Ihr endlich, wie das mit dem Schreiben von Predigten funktioniert. Es beginnt immer mit einer Tasse gutem und starken Kaffee 😉

„Glaube ist ein Geschenk Gottes in unseren Herzen.“ Das korrespondiert auf wunderbare Weise mit dem Vers aus dem Galaterbrief, den Ihr auch als Motto für diesen Gottesdienst auf dem Plakat draußen an der Kirche sehen könnt:

…der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
Galater 5,6b

Etwas, das in meinem Herzen drin ist, das möchte auch nach außen wirken. Mein Glaube, unser gemeinsamer Glaube löst Aktivität aus. Nicht umsonst symbolisiert das Herz die Liebe. Wann immer es um die Liebe geht, sind das Herz oder die Rose das Symbol dafür.

Insofern ist es kein Zufall, dass in der Lutherrose beides zusammenkommt: Das Herz und die Rose, aber auch das Kreuz, das an allem Anfang steht.

Martin Luther hat die Bedeutung dieser Rose mal wie folgt in einem Brief erklärt:

„Ein Merkzeichen meiner Theologie. Das erste sollte ein Kreuz sein, schwarz im Herzen, das seine natürliche Farbe hätte, damit ich mir selbst Erinnerung gäbe, dass der Glaube an den Gekreuzigten mich selig macht. Denn so man von Herzen glaubt, wird man gerecht. Solch Herz aber soll mitten in einer weißen Rose stehen, anzeigen, dass der Glaube Freude, Trost und Friede gibt. Darum soll die Rose weiß und nicht rot sein; denn weiße Farbe ist der Geister und aller Engel Farbe. Solche Rose steht im himmelfarbenen Feld, dass solche Freude im Geist und Glauben ein Anfang ist der himmlischen Freude zukünftig. Und um solch Feld einen goldenen Ring, dass solche Seligkeit im Himmel ewig währet und kein Ende hat und auch köstlich ist über alle Freude und Güter, wie das Gold das edelste, köstlichste Erz ist.“
Quelle: WA, Luthers Briefwechsel, 5. Band, S. 444f (Nr. 1628)

Ich weiß ja nicht, ob Luther, als er das geschrieben hat, an unseren Predigttext aus dem Galater-Brief 5, 1-6 gedacht hat. Paulus spricht sich hier ja sehr deutlich gegen die Beschneidung aus, die im Judentum ein Symbol der Zugehörigkeit und damit auch Ausdruck des Gesetzes ist. Sprich, wer beschnitten ist, ist schuldig, das ganze Gesetz zu tun. Dem setzt Paulus aber etwas anderes gegenüber:

Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Der Glaube wird also nicht in der Erfüllung des Gesetzes erkennbar oder tätig, sondern durch die Liebe.

Das ist doch eine ganz andere Haltung. Das ist fern von allem, womit mancher von uns aufgewachsen ist. Wir kennen solche Sätze wie „Das tut man nicht.“ „Das gehört sich nicht!“ Oder: Ein evangelischer Pfarrer muss mit einer evangelischen Frau verheiratet sein.“ – Ja, so war das damals, als ich mit meinem Studium und meinem Vikariat fertig war. Und heute ist das alles kein Problem mehr. Wie Ihr alle wisst, ist meine Frau katholisch und wir leben glücklich in einer ökumenischen Familie. So, wie viele von Euch auch.

Dass Josef und ich heute hier gemeinsam an diesem protestantischsten Sonntag aller Sonntage im Kirchenjahr gemeinsam diesen Gottesdienst feiern und uns die Kanzel teilen, ist Ausdruck dieser Freiheit, um die es Paulus in seinem Brief an die Galater geht. Denn ein Glaube, der durch die Liebe tätig ist, verändert die Welt. Ein Glaube, der durch die Liebe tätig ist, schafft Beziehungen zwischen Menschen.  Ein Glaube, der durch die Liebe tätig ist, verbindet die Menschen miteinander.

Ein Glaube, der durch die Liebe tätig ist, stellt nicht den einzelnen Menschen in den Vordergrund, sondern bindet ihn in eine Gemeinschaft mit anderen ein.

Ein Glaube, der durch die Liebe tätig ist, macht mich auch offen für Veränderungen.

Das ist ja das, womit wir Menschen uns am schwersten tun. Wir leben zum Beispiel mit unseren Kirchen in einer großen Zeit der Veränderungen. Wir sind miteinander herausgefordert, uns zu verändern. Es bleibt eben nichts, wie es einmal war. Und das spüren wir. Das sind strukturelle Veränderungen in unserer Kirche. Ich denke an den Landesstellenplan. Wir haben eine Pfarrstelle verloren. Auch das ist ein äußeres Kennzeichen der Veränderung.  Kirche ist nie das, was gestern noch gut war, sondern das was der Mensch in seiner Beziehung zu Gott und der Welt heute braucht.

Im Protestantismus gibt es einen Merksatz, der witziger Weise in der althergebrachten Kirchensprache Latein daherkommt – wo doch Luther so sehr für die deutsche Sprache war, damit jeder versteht, worum es geht: ecclesia semper reformanda. Also: Die Kirche muss immer wieder erneuert werden.

Der Satz wird gerne Martin Luther zugeschrieben, findet sich aber in seinem ganzen Werk an keiner einzigen Stelle. In Wirklichkeit ist er auch viel jünger. Karl Barth, der große Schweizer Theologe hat ihn mal einer Vorlesung gebraucht, und von dort aus hat er sich verselbständigt und wird immer wieder gerne zitiert, um das Wesen der Evangelischen Kirche zu beschreiben, gerne auch mal, um sich von der Katholischen Kirche abzugrenzen, der man ja aus mir unerfindlichen Gründen immer eine Starre vorwirft. Ganz ehrlich, ich kenne keine Kirche, die in ihrem innersten Kern beharrlicher ist als die Evangelische.

So lange ich denken kann, werde ich mit Sätzen von Kolleginnen und Kollegen, von Menschen aus der Gemeinde konfrontiert, die die Angst vor Veränderung zum Ausdruck bringen. Wie oft höre ich die „Früher war es so-Sätze“? Wie oft höre ich das „Früher war es besser“? Wie oft höre ich Worte des Widerstands gegen Veränderungen?

Ist das nicht im Grunde genommen auch eine Art von Beschneidung? Ich kann es verstehen, wenn man an Altem hängt. Fragt mal meine Frau, was ich so alles aufhebe und wovon ich mich nicht trennen kann.

Aber hat uns Jesus nicht gelehrt, alles Starre zu hinterfragen, jede Regel, jede Tradition nach ihrem eigentlichen Sinn zu erforschen?

Die Sehnsucht nach Regeln, nach Ordnung, die Angst vor Veränderung rührt aus unserem Bedürfnis nach Orientierung, Sicherheit, Beständigkeit.

Aber stellen wir als Christinnen und Christen nicht grundsätzlich jede Ordnung in Frage? Erinnert Euch mal nur an die Zeit der Bekennenden Kirche oder der Kirche im Sozialismus. Warum werden noch immer Christinnen und Christen in dieser Welt verfolgt? Es gibt den sogenannten Weltverfolgungsindex, der insgesamt 50 Länder nennt, in denen Christinnen und Christen wegen ihres Glaubens in besonderem Maße Verfolgung oder Diskriminierung ausgesetzt sind. Da sind auch Länder dabei, in denen mancher von uns schon Urlaub gemacht hat oder macht.

Als Christenmenschen gefährden wir grundsätzlich die Ordnung dieser Welt, weil die christliche Liebe, die Nächstenliebe, das Doppelgebot, das Jesus uns für unser Leben gegeben hat, unweigerlich eine Veränderung der bestehenden Weltordnung und Gesellschaftsordnung, der Wirtschaft, des Miteinanders der Menschen zueinander zur Folge hat. Der christliche Glaube ist im Grundsatz geprägt von einer ungeheuren Sprengkraft. Und Sprengkraft bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Verkrustetes, Überkommenes, Veraltetes aufgebrochen wird und man wieder den Kern erkennen kann. So wie Jesus die Pharisäer gefragt hat, ob der Sabbat um Gottes oder um des Menschen willen da ist. Christlicher Glaube stellt durch seine Liebe alles Bestehende infrage. Das gilt für unsere Kirchen als ecclesia semper reformanda genauso wie für uns Christenmenschen, denn der Glaube erneuert auch immer wieder uns Menschen durch die Liebe.

Wenn wir unseren Glauben leben, der in der Liebe tätig wird, dann ist das ein aktiver Glaube. Dann wird deutlich, dass Glaube keine Privatsache ist, die in das stille Kämmerlein gehört, sondern nach draußen in die Welt. Glaube will gelebt sein, denn nur ein Glaube, der lebt, wirkt auch. Glaube, der offen gelebt wird, befreit und verändert. Glaube ist aktiv. Glaube ist Tat.

In seinem Gedicht „Stationen zur Freiheit“, das Bonhoeffer am 21. Juli 1944 – also einen Tag nach dem Attentat – geschrieben hat, trägt eine Strophe die Überschrift „Tat“ – sie lautet:

Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,
nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen,
nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist Freiheit.
Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens,
nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen,
und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.

Glaube braucht kein Klagen über Zu- und Missstände, sondern Wagnis und Mut, den Mut aufzustehen, aufzubrechen und die Liebe wirken zu lassen. Diesen Mut können wir getrost wagen, weil uns die Liebe Gottes trägt und, weil unser Glaube, der durch die Liebe tätig wird, uns in die große Gemeinschaft der an Jesus Christus Glaubenden und damit in seine Nachfolge stellt.

Amen.

Pfr. Martin Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke

Pfr. Martin Dubberke, Predigt am Gedenktag der Reformation, 31. Oktober 2021 über Galater 5,6b, Perikopenreihe III in der Johanneskirche zu Partenkirchen. In diesem Gottesdienst haben mein katholischer Kollege Pfr. Josef Konitzer und ich uns die Kanzel geteilt und jeweils über den gleichen Text gepredigt.