Pfr. Martin Dubberke

Das erfüllte Gesetz

Predigt über Matthäus 5, 17-20 am 4. Sonntag im Advent

Liebe Gemeinde,

heute hören Sie eine juristische Vorlesung mit dem Titel: Das erfüllte Gesetz.

Da ich es bedauerlicherweise nie geschafft habe, zu den Vorbereitungsrunden der Predigtreihe zu kommen, ist mir nun das Thema zugefallen, das übrig geblieben ist. Eben “Das erfüllte Gesetz”.

Das finde ich Klasse! So konnte ich mir nicht ein Thema aussuchen, das mir liegt, sondern das annehmen, das gewissermaßen die Vorsehung für mich im Sinn hatte. Und ich hatte Glück.

Eine gute, alte – also langjährige – und liebe Freundin würde jetzt sagen: “Lieber Martin, da hast du es. Du bist, was ich schon immer zu Dir gesagt habe, ein Verantwortungstheologe.”

Und Recht hat sie. Der Text hat sich gewissermaßen mich als Prediger ausgesucht. Und was will er mir damit sagen? Gut, ich habe schon immer einen Hang zu dem gehabt, was mir Orientierung gibt. Es ist doch einfacher, wenn ich nicht alles neu aushandeln muss, sondern sagen kann: “Schau her! So steht es geschrieben. So machen wir es.”

Ist doch Klasse! Außerdem schwingt im Gesetz auch immer das Handeln nach dem Gesetz mit allen Konsequenzen mit. Jedes Gesetz besteht ja aus zwei Teilen: Dem Tun und dem Ergehen. Also, die Regelung des Handelns und die Regelung der Konsequenzen, wenn ich nicht danach handele. Im Weltlichen wäre es vielleicht eine Haft- oder Geldstrafe, in manch christlicher Vorstellung die Verdammung, das Schmoren in der Hölle. Und damit bin ich doch einem meiner liebsten Themen: Der alttestamentlichen Weisheit, die geprägt ist von einem Tun-Ergehens-Zusammenhang. Kurz gesprochen heißt das: Tust Du Gutes, wird Dir Gutes folgen. Tust Du Schlechtes, wird Dir Schlechtes folgen.

Es kann so einfach sein. Und wenn wir jetzt den Kreis schließen wollen, dann landen wir wieder an dem Punkt: “Schau her! So steht es geschrieben. So machen wir es.”

Also, schauen wir uns einfach mal an, was da nun bei Matthäus 5, 17-20 geschrieben steht:

17 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.

18 Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht.

19 Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich.

20 Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.

Die Wucht des erstes Verses nimmt mich ganz in ihren Bann. Das heißt nichts anderes als: Es bleibt, so wie es einmal beschlossen wurde. Aber nun wird es endlich mal erfüllt oder treffender gesagt mit Leben gefüllt. Jesus gibt gleich die Richtung an und macht deutlich, dass bislang das Gesetz nicht wirklich zur Geltung gekommen ist. Kritik und Zusage in einem. Das schreit geradezu nach einem Halleluja.

Jesus sagt: Macht euch da keine falschen Vorstellungen. Es kann und wird nichts beim alten Schlendrian bleiben. Das Gesetz und die Propheten sind dazu da, dass man danach lebt, miteinander lebt, es vorlebt und den anderen einlädt, mit danach zu leben. “Nur weil ich, Jesus, jetzt mitten unter Euch bin, wird vom Gesetz nicht ein Jota weggestrichen. Ganz im Gegenteil: Die Erde wird erst dann vergehen können, wenn das kleinste i-Tüpfelchen des Gesetzes erfüllt worden ist.”

Und dann zieht Jesus richtig vom Leder, startet gewissermaßen eine Frontalangriff auf das geistliche Establishment: “Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.”

Da haben wir ihn, den Tun-Ergehens-Zusammenhang. Wenn ihr das Gesetz und die Propheten so dreht, dass es für Euch bequem wird, dann kommt ihr nicht ins Himmelreich. Dann dürft ihr draußen stehen und warten und könnt klopfen soviel ihr wollt. Denkt an den Reichen Mann und den armen Lazarus, der nur von dem Brot lebte, an dem sich der Reiche Mann seine vom fetten Essen fettigen Finger abgewischt und es unter den Tisch geworfen hat. Denkt an die törichten Jungfrauen.

Die Schriftgelehrten und Pharisäer sind in jener Zeit die Menschen, die mit der Deutungshoheit über das Gesetz und die Propheten ausgestattet sind. Sie stehen auf der einen Seite für die blinde Erfüllung des Gesetzes und auf der anderen Seite für die – na, nennen wir es mal so – Aufweichung des Gesetzes. Sie haben sich zum Teil zu virtuosen Rechtsverdrehern entwickelt. Und wer die Deutungshoheit hat, der hat auch die Macht über die Menschen, die Macht in einer Gemeinschaft, in einer Gesellschaft. Jesus sagt hier nichts anderes als, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer die Deutungshoheit verloren haben. Weiter noch: Sie haben keine Chance, ins Himmelreich zu kommen, weil Sie das Gesetz verspielt haben.

Nur zwei Beispiele seien hier genannt. Sie erinnern sich die Geschichte mit dem Ährenraufen am Sabbat? Sie erinnern sich? Jesus rauft am Sabbat auf einem Feld ein paar Ähren, weil Sie Hunger haben und die Pharisäer laufen zur Höchstform auf, wittern Gotteslästerung und Verrat, weil Ernten und damit Arbeit am Sabbat verboten ist. Jesus antwortet ganz schlicht und einfach: “Der Sabbat ist nicht um Gottes, sondern um des Menschen willen da.” Das sitzt. Der Sabbat ist für den Menschen gemacht. Der Mensch soll zur Ruhe kommen und neue Kraft schöpfen. Der Mensch kann aber keine neue Kraft schöpfen, wenn er nicht essen kann.

Ein zweites Beispiel. Die Geschichte mit der Ehescheidung. Ein schönes Beispiel. Das Gesetz verbietet die Scheidung. Doch um der Herzens Härtigkeit wurde das Gesetz gelockert. Doch auch hier gab es ganz klare Spielregeln. Es musste Ehebruch vorliegen. Es ging nicht einfach so, weil man einander nicht mehr riechen konnte oder sich unentwegt auf die Nerven ging. Hier gab es mit der Zeit einen ziemlich laxen Umgang, der von den Pharisäern und Schriftgelehrten geduldet wurde. Da wurde ein Scheidebrief ausgestellt, obwohl gar kein Ehebruch vorlag. Und dann konnte man wieder heiraten. Jesus wird an anderer Stelle der Bergpredigt auch dieses Verfahren deutlich ansprechen und kritisieren.

Das Gesetz ist eine Herausforderung an unseren Glauben. Das Halten des Gesetzes ist eine tägliche Glaubensübung. Der Mensch ist in seiner Anlage leider bequem. Er mag es einfach. Das Alte Testament ist voll von Gesetzen. Nahezu alles im Leben ist geregelt.

Gott hat uns diese Gesetze gegeben, damit es einfacher unserem Leben wird. Sie regeln das Miteinander. Ich muss nicht alles aushandeln, sondern kann mich darauf berufen. Das  Gesetz vereinfacht unser Leben, auch wenn wir es manchmal anders sehen und fühlen, weil das Gesetz in dem einen oder anderen Fall für uns nicht gerade bequem ist – wie z.B. bei der Ehescheidung. Es ist einfacher sich zu trennen als zusammenzubleiben und einen gemeinsamen Weg zu finden, nachdem man sich von den Spielregeln Gottes entfernt hat, weil man einfach auch ein Mensch ist.

Und Gott hat die Propheten geschickt, die uns mahnen und helfen sollten, wieder auf den Weg des Gesetzes zurückzukommen, weil – und das haben sie uns immer wieder eindrücklich deutlich gemacht – sonst der Untergang die ganz natürliche Folge unseres Handelns ist.

Am Halten des Gesetzes wird unsere Verantwortung Gott und seinen Geschöpfen – also unseren Mitgeschöpfen – gegenüber deutlich. Die Erde, die Schöpfung Gottes kann nur in Frieden funktionieren, wenn wir die Gesetze Gottes akzeptieren und leben und damit die Verantwortung übernehmen, die uns Gott damit gegeben hat. Ob Frieden in der Welt ist, das liegt bei uns. Und wenn wir alleine nicht weiterkommen, weil wir merken, dass es schwierig ist, mit dem anderen einen gemeinsamen Weg zu finden, vielleicht, weil ihm die Gesetze fremd sind, brauchen wir einen Schriftgelehrten, der uns eine neue Perspektive eröffnet. Das kann ein Pfarrer sein. Das kann auch ein Mensch aus meiner Gemeinde sein, dem ich vertraue. Das kann aber auch Jesus sein, mit dem ich im Gebet ins Gespräch komme. Das kann auch ein Blick in die Bibel sein, ein Blick in die Bergpredigt, denn hier eröffnet uns Jesus in einem Fort neue Perspektiven und lädt uns ein, uns von unseren Seelenverkrustungen zu befreien und Leben  mit dem Gesetz zu wagen.

Und weil schon Jesus damals wusste, dass sich der Mensch nicht tausend Gesetze merken kann, fand er eine Formel, die dem Grundsatz “keep it simple and stupid” also “In der Kürze liegt die Würze” entsprach. Also, einen komplizieren Sachverhalt so einfach zu fassen, dass man daran nichts mehr deuteln kann und ihn nur noch verinnerlichen muss. Und dieses Prinzip lautet: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt«. Dies ist das höchste und größte Gebot.Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. (Matthäus 22, 37-40)

Jesus ist gekommen, um das Gesetz zu erfüllen. Und er hat es uns vorgelebt, wie man das Gesetz erfüllen kann. Das Gesetz und die Propheten dienen nicht der Unterdrückung oder Beschränkung der Menschen. Jesus hat das Gesetz und die Propheten auf das zurückgeführt, was sie sind: Nämlich die Befreiung zur Liebe unter den Menschen.

Amen.