Pfr. Martin Dubberke
Barmherzigkeit - Matthäus 9, 9-13 - Septuagesimae 2023 | Bild: Martin Dubberke

Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer

Liebe Geschwister, wir sind es ja schon gewohnt, dass Jesus Dinge tut, die wir im ersten Moment nicht verstehen, weil wir es wohl nicht so täten und dann erfahren, dass wir es so tun sollten. Und genau um so eine Geschichte geht es heute:

Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. 10 Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. 11 Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? 12 Als das Jesus hörte, sprach er: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. 13 Geht aber hin und lernt, was das heißt: »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.« Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.
Matthäus 9, 9-13

Da sind sie schon wieder, die Zöllner. Diese sind ja in den Evangelien immer wieder das Beispiel der Wahl, wenn es um Mitmenschen geht, mit denen keiner was zu tun haben will.

Und dann gibt es in dieser Geschichte auch wieder die Pharisäer. Tja, und für wen stehen die wohl wieder? Für all die Menschen, die immer sagen: „Das macht man nicht.“

Und natürlich gibt es wieder die Jünger Jesu, die gewissermaßen das Kommunikationsgelenk sind, denn die Pharisäer haben ja nicht direkt Jesus in die dieser Geschichte angesprochen.

Wir haben also insgesamt vier Rollen in dieser Geschichte:

  • Jesus
  • Die Zöllner
  • Die Pharisäer
  • Die Jünger

Also, der strahlende Held, der das Gute verkörpert, eine Menschengruppe, mit der man nichts zu tun haben will, die Gruppe der Selbstgerechten und dann die Jünger als Zuträger der Stimme der Selbstgerechten.

Welcher Rolle ordnet Ihr Euch zu? Das ist jetzt die spannende Frage.

Seid Ihr wie Jesus?
Oder seid Ihr wie die Zöllner?
Oder seid Ihr eher wie die Pharisäer oder doch wie die Jünger?

Und vor allem, wer sitzt nachher gewissermaßen um den Abendmahlstisch herum, wenn wir gemeinsam das Abendmahl feiern werden?

Ganz ehrlich. Ich glaube, dass ich von jeder der vier Seiten etwas habe. Ich habe eine gute Seite, eine Seite, mit der ich die Menschen liebe. Ich habe auch eine ausgrenzende Seite. Und wenn ich die spüre, ist mir das wie ein Warnsignal, noch einmal alles zu hinterfragen. Und natürlich habe ich die Seite der Kommunikationsbande, über die andere spielen, wo ich etwas weitergeben, das der andere eigentlich dem anderen auch hätte direkt sagen können. Manchmal machen das ja Menschen so, weil sie glauben, dass sie damit den anderen viel besser erreichen können. Auch das kenne ich und ihr kennt das sicherlich auch. Das sind dann die Sätze, die mit den Worten beginnen: „Kannst Du nicht mal mit xx reden…?“ Und wer weiß, vielleicht haben ja die Pharisäer gedacht, dass Jesus seinen Jüngern mehr glaubt als ihnen? Tja, und dann gibt es aber auch die Zöllner-Seite an mir. Na klar, manchmal muss ich mich auch unbeliebt machen, wenn es um die Umsetzung von Dingen geht, die – wie man so schön sagt – von oben kommen. Aber der Zöllner in mir, ist zugleich auch die Angst, nicht mehr dazuzugehören.

Also, ich glaube, dass uns diese Geschichte dazu einlädt, mal über diese vier Seiten in uns nachzudenken, in welchen Situationen es uns leichtfällt, gut zu sein und warum es uns leichtfällt. In welchen Situationen wir ausgrenzen und warum wir ausgrenzen? Wenn wir Dinge weitererzählen, mit welcher Intention wie sie weitererzählen. Und, wo wir Angst vor der Ausgrenzung haben und warum?

Jede Antwort auf eine dieser Fragen kann uns näher zu Gott bringen. Denn ich glaube kaum, dass auch nur einer von uns nur gut ist.

Jede und jeder von uns glaubt doch daran, dass wir mit unserem Glauben auf der guten Seite der Welt stehen und die Welt ein wenig besser, schöner, liebenswerter und lebenswerter machen können.

Aber da kommen dann mit einem Male Menschen, die uns fremd sind und manche Menschen sind uns fremder, weil sie von ganz, ganz weit weg kommen. Und manchmal müssen die Menschen gar nicht von so weit weg sein, die können auch hier aus dem Ort sein. Ich hatte da mal vor langer Zeit eine Szene an der Tafel, wo sich jemand über eine Kundin aufregte – zugegebenermaßen, keine einfache Kundin – und dann brach es plötzlich aus dem tiefsten Innern dieser Person heraus und sie schleuderte mit ein „Diese blöde Kuh!!!“ entgegen.

Was macht man in einer solchen Situation? Was macht Ihr in einer solchen Situation? Lasst Ihr das stehen? Gebt Ihr dem anderen Recht oder widersprecht Ihr? – Nebenbei gesagt: Wer nicht widerspricht oder schweigt, stimmt zu.

Ich habe damals gesagt: „Weißt Du, die Frau ist seelisch sehr krank. Sie kann nicht anders.“

Jemanden als „Blöde Kuh“ zu bezeichnen, jemanden auszugrenzen geschieht in aller Regel aus der Unsicherheit, wie ich dem anderen begegnen soll oder, weil ich Angst davor habe, dass er mir etwas wegnimmt, ebenso, wie es die Zöllner halt tagtäglich getan haben.

Aber mit Ausgrenzen löse ich nicht das Problem. Das ist so, als wollte ich vor lauter Angst nicht zum Zahnarzt gehen und beruhige den Schmerz mit Ibuprofen. Das geht auch nicht ewig gut.

Jesus macht mit seinem Vorgehen deutlich, dass man die Dinge angehen muss, sie in die Mitte hineinnehmen muss, sich mit ihnen an einen Tisch setzen muss.

Und es scheint so, also habe der Zöllner nur darauf gewartet, dass er von Jesus angesprochen wird, weil er ahnte, dass er nur so zu allen anderen dazugehören würde. Jesus macht nicht viele Worte. Er sagte nur: „Folge mir!“

Das reichte vollkommen aus, dass der Zöllner aufstand, sein altes Leben hinter sich ließ und ihm folgte.

Und so folgten ihm viele Zöllner und Sünderinnen und Sünder, die mit Jesus an einem Tisch saßen. Und sie redeten miteinander und so gelangten sie auf einen guten Weg. Sie wurden Teil einer guten, starken Gemeinschaft und lernten unter der Führung von Jesus, was gut und was nicht gut war und ist.

Tja, und wie reagierte noch einmal Jesus auf den Vorwurf der Pharisäer?

Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. 13 Geht aber hin und lernt, was das heißt: »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.« Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

Das gleiche gilt auch für uns heute. Wir sind in erster Linie zu denen gesandt, die wir nicht mögen, weil sie nicht sind wie wir. Und wir gehören erst dann zu den Gerechten, wenn uns das gelingt. Auch das ist die Botschaft, die wir aus dieser Geschichte lernen dürfen. Jesus möchte, dass wir Barmherzigkeit lernen und üben, also anwenden.

»Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.«

Nebenbei gesagt: Dieser Geschichte wohnt noch eine ganz feine Ironie inne. Könnt Ihr Euch noch erinnern, wie der Zöllner hieß den Jesus aufgefordert hat, ihm zu folgen? – Genau. Matthäus. Wisst Ihr eigentlich, was Matthäus heißt?

Der Name kommt aus dem Hebräischen מתתיהו Matitjahu „Geschenk JHWHs“. Dieser Zöllner ist ein Geschenk Gottes und er ist ein Geschenk Gottes an uns, ein Geschenk, mit dem er uns eine Freude machen will, aber auch ein Geschenk, mit dem er uns herausfordern will. Und ein Geschenk Gottes kann man nicht ablehnen. Also lasst es uns mit der Liebe, die unseren Glauben begründet und innewohnt voll und ganz wagen, weil nur so unsere kranke Welt gesunden kann.

Amen.

Pfr. Martin Dubberke, Predigt am Sonntag Septuagesimae, 5. Februar 2023, über Matthäus 9, 9-13 (Perikopenreihe V) in der Johanneskirche zu Partenkirchen

Pfr. Martin Dubberke
Pfr. Martin Dubberke

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