Pfr. Martin Dubberke

Wir brauchen in Ehrlichkeit gelebten Glauben mit allen Konsequenzen

Als ich am Schreibtisch über diesem Text meditierte und nachsann, was ich Ihnen heute „predigen“ könnte, ging mir immer nur eine einzige Frage durch den Kopf. Sie war einfach nicht aus meinen Gedanken wegzubekommen und schien mich fast zu lähmen. Und ich fragte mich immer wieder: Warum lähmt mich diese eine Frage so? Vielleicht weil die Frage so auf der Hand liegt oder weil die Antwort verheerend klingen könnte? Dabei ist meine Frage doch gar nicht so revolutionär, gar nicht provokativ. Aber mir wurde deutlich, daß eine harmlose und naive Frage, manchmal mehr Sprengstoff in sich beherbergen kann als so provokant gestellte Fragen, ob es Jesus nun wirklich gegeben hat oder ob er nun auferstanden ist oder nicht.Meine Frage klingt dahingegen harmlos: „Was würde Paulus heute in einem Brief an die Berliner schreiben?“ Ja, ja ich weiß, da klingt wieder der Lokalpatriot durch. Nein, nein, es geht nicht darum, ob Berlin der Nabel der christlichen Welt ist, aber ich wollte einfach nicht fragen, was Paulus heute in einem Brief an die Deutschen schreiben würde.

Ich glaube nicht, daß er den Brief mit Worten wie diesen einleiten würde: „Nachdem ich gehört habe von dem Glauben bei Euch an den Herrn Jesus und von Eurer Liebe zu allen Heiligen, höre ich nicht auf zu danken für Euch, und gedenke Euer in meinem Gebet, daß der Gott unseres Herr Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen.“

Ich erwische mich bei dem Gedanken: „Gott, was wäre ich froh, wenn uns Paulus diesen Satz schreiben könnte, dann sähe es anders aus in unserer Stadt, in unserem Land, in unserer Kirche!“

Aber diesen Satz können wir im Jahr 2000 wohl kaum erwarten. Deshalb habe ich auch große Schwierigkeiten, wenn ich in einer kirchlichen Zeitschrift, die sich auch noch „Zeichen der Zeit“ nennt für zu diesem Predigttext folgendes lese: „Wir danken Gott, daß der Glaube nicht abhanden gekommen ist, sondern lebt. Wir danken ihm, wenn wir unterwegs einen Kirchturm sehen: da wohnen Christen, die Jesus vertrauen in guten und in schweren Tagen und seine mutmachende, wegweisende und tröstende Botschaft in ihr Denken, Empfinden und Planen aufnehmen.“

Ja, ich bin dankbar, daß der Glaube nicht ganz abhanden gekommen ist in dieser Welt. Das erfüllt mich mit der Hoffnung, daß es weiter geht. Aber ich weiß nicht, ob ich dankbar bin, wenn ich unterwegs einen Kirchturm sehe. Denn viele Kirchtürme sind die Grabsteine von Gemeinden, die heute nicht mehr existieren. Viele Kirchen, auch in unserer Landeskirche, sind Ruinen, sind vom Einsturz bedroht und so eindrückliche Zeichen des Zustands unserer Kirche und der Kraft unseres Glaubens in dieser Zeit. Und schon längst ist mancher Kirchturm eine Irreführung, denn unter seinem Dach findet sich ein Supermarkt oder eine Sparkasse…

Ich erinnere mich die Frau vor sechs Jahren, die in der Lutherkirche weinte, als sie alleine in einer Bankreihe dieser großen Kirche, Zeichen einstiger Pracht und vermeintlicher Stärke unserer Kirche saß und sagte: „Ist es nicht traurig, eine so große Kirche und keiner kommt mehr zu Gott.“

Ich habe aufgehört, den Glauben an den vollen oder leeren Plätzen unserer Kirchen abzulesen. Ich habe aufgehört das Maß des Glaubens an der Kirchensteuer ablesen zu wollen.

Ich gebe zu, daß mir das leichter fällt als denen, die von dieser Steuer leben. Aber ich glaube, daß diese Steuer auch eine Last ist, weil so viel an ihr hängt. Da hängt der Kindergarten dran, der Pfarrer oder die Pfarrerin, die Diakonieschwester, der Organist oder die Organistin, dieses und jenes Angebot. Ach, was könnten wir nur alles tun, wenn wir das Geld hätten!

Das meiste unseres missionarischen Handelns ist durchschaubar geworden, was seine eigentliche Intention angeht. Jeder, der kommt oder geht, ist ein Kirchensteuerzahler. Muß der Satz nicht lauten: Was können wir alles ohne dieses Geld tun? Erst dann werden wir unsere wahren Möglichkeiten kennenlernen. Das ist der Moment in dem wir unsere eigenen Gottesgaben erkennen. Das ist der Moment, in dem wir erkennen und erfahren können „wie überschwenglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde, mit der er in Christus gewirkt hat“.

Das ist der Moment, wo der Funke des Glaubens überspringen kann. Wir sollten unseren Glauben genauso glaubhaft und überzeugend und notwendig und mit der gleichen Leidenschaft in die Welt hinaustragen wie wir es mit unseren finanziellen Nöten tun. Mein Gott, wir wären überzeugend missionarisch.

Ich glaube fest daran, daß wir verlernen dürfen unser missionarisches Handeln zu instrumentalisieren. Es geht nicht darum, daß unsere Kirchen voll werden sollen. Es geht darum, daß wir mit unserem Glauben begeistern und andere mitreißen.

Wir brauchen keine Schriften wie „Evangelisch aus gutem Grund“ oder „Wachsen gegen den Trend“, die niemand liest und niemand versteht. Wir brauchen in Ehrlichkeit gelebten Glauben mit allen Konsequenzen. D. h., daß auch wir über manchen unserer Schatten zu springen haben.

Mich beeindruckt noch immer ein Seminar, daß ich im vergangenen Jahr in Heiligengrabe gegeben habe. Am Ende sagten zwei Männer, die nicht viel mit Gott und Kirche am Hut hatten, aber mit uns zusammen drei Tage lang gearbeitet, gelebt, gebetet und Gottesdienst gefeiert haben, daß sie beeindruckt waren von der Kraft, die der Glaube der anderen Männer ausgestrahlt hat. Das ist für mich Mission.

Was also würde Paulus, der nie von seiner Predigt, sondern seinem Handwerk als Zeltmacher gelebt hat, heute an die Berliner schreiben? – Vielleicht so etwas: „Macht Euch endlich frei von Eurer Armut und steht zu Eurem Reichtum, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwenglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde, mit der er in Christus gewirkt hat.“ Amen.

Amen.

13. Februar 2000 – 6. Sonntag nach Epiphanias
Evangelische Silasgemeinde zu Berlin-Schöneberg
Autor: Martin Dubberke
Text: Epheser 1, 15-20 (Reihe IV)