Pfr. Martin Dubberke
Johanneskirche zu Pfingsten | Bild: Martin Dubberke

Wider alle Gleichschaltung

Liebe Geschwister, was bin ich doch froh, dass der Kirchturm unserer Johanneskirche nicht wirklich in den Himmel ragt, sondern eher bescheiden anzeiget, wo wir den lieben Gott vermuten, nämlich im Himmel. Unser Türmchen nimmt sich im Verhältnis der anderen Kirchen bei uns sehr bescheiden aus. Wenn ich in und um Garmisch-Partenkirchen herum wandern oder spazieren gehe, gibt es nur wenige Stellen, an denen ich unseren Kirchturm sehen kann. Anders ist es mit den Türmen von St. Martin und Maria Himmelfahrt. Die kann ich eigentlich immer sehen. Aber auch, wenn diese Türme höher sind als unserer, ragen sie nicht wirklich in den Himmel hinein, sondern geben uns Orientierung, wo wir hingehen müssen, wollen, sollten, wenn wir die Glocken hören oder einfach mal in aller Stille beten wollen.

Nein, unsere Kirchtürme sind nicht in den Himmel hinein gebaut worden, auf das ihre Spitzen bis an den Himmel reichen. Das gelingt eigentlich nur unseren schönen Bergen, vor allem, wenn sie ein wenig Wolkenverhangen sind. Das sind so Tage, wo ich mich – ganz ehrlich – dem Himmel schon irgendwie nahe fühle.

Unsere Kirchtürme mit ihren Glocken dienen nicht dazu, um uns einen Namen zu machen, sondern, um auf den zu verweisen, in dessen Namen wir uns versammeln, zu dem wir beten, von dem wir voll BeGEISTerung erzählen.

Das war mit dem Turm von Babel so eine ganz andere Sache. Den haben die Menschen mit den modernsten Baustoffen ihrer Zeit errichtet, um ihre eigene Macht zur Schau zu tragen. Ein wenig erinnert mich das an den berühmt gewordenen Satz des Kosmonauten Yuri Gagarin, der nach seinem ersten Weltraumflug gesagt hat: „Gott habe ich da oben nicht gefunden.“ Ein Satz, der gerne dazu missbraucht wurde, um den ultimativen Beweis zu erbringen, dass es keinen Gott gibt. Die Leute in Babel wollten mit dem Turmbau scheint’s, auch beweisen, dass es keinen Gott gibt. Die Technik macht eben alles möglich. Auch das wird heute immer wieder gerne als Gegenbeweis zur Existenz Gottes ins Feld geführt.

In solchen Fällen muss ich mich immer an eine kleine Begebenheit aus meiner Kindheit erinnern. Ich war Knabensopran im Staats- und Domchor zu Berlin, des ältesten musikalischen Ensembles der Stadt, das 1465 gegründet wurde. Und natürlich haben wir dort geistliche Musik gesungen, haben uns auf die Matthäuspassion vorbereitet und vieles andere. Tja, und das sagte ein anderer Junge während der Probe plötzlich: „Diesen Gott gibt es doch gar nicht!“ – Plötzlich war absolute Stille im Raum. Wir alle schauten zuerst auf den Jungen und dann auf Christian Schlicke unseren strengen Chorchef. Und der sagte: „Weißt Du, irgendjemand muss doch den Impuls gegeben haben, dass es dies ganze Welt und dieses Universum gibt. Das ist wie beim Licht. Irgendjemand muss auf den Lichtschalter drücken, damit es Licht wird. Und dass kann nur Gott gewesen sein. Wer sonst?“ Das leuchtete uns allen im wahrsten Sinne des Wortes ein.

Die Turmbauherren in Babel haben ihren eigenen Ruhm, ihre eigene Ehre und Macht allein im Blick gehabt. Ob sie Gott vergessen haben oder geleugnet haben, wissen wir nicht. In erster Linie waren diese Bauherren in ihre Möglichkeiten verliebt. Aber nicht alles, was möglich ist, muss auch getan werden. Da setzt das ein, was wir auch Ethik nennen.

Nicht alles muss getan werden, was möglich ist. Da setzt die Frage ein, wann sich der Mensch anmaßt, die Rolle Gottes einnehmen zu wollen. Also, wo fängt menschlicher Größenwahn an und wo hört er auf?

Tja, nicht immer ist der Fortschritt ein Segen. Schauen wir uns an, was der Mensch so alles erfunden und entdeckt hat und wie es an die Ressourcen unserer Welt, also der Schöpfung Gottes dabei gegangen ist. Was hat sich alles mit der Erfindung des Motors verändert? Welche Maschinen und Gerätschaften wurden möglich. Nicht immer zum Segen. So wie ein Auto Menschen miteinander verbinden kann, so kann ein Panzer, der eigentlich auch nur ein Auto ist, alles zerstören. Mal von den Abgasen, die die beiden in die Luft schmeißen ganz abgesehen. Selbst die so gelobten Elektroautos sind wegen ihrer Batterien mit äußerster Vorsicht zu genießen. Ihre Umweltbilanz ist auch nicht gerade von schlechten Eltern.

Und dann gibt es Menschen, die den „Grünen Gockel“ erfunden haben und daran arbeiten, die Schäden aus diesen Fortschritten irgendwie zu begrenzen, ja die Erde, die Schöpfung in das von Gott geschaffene Gleichgewicht zurückzubringen – Schadensbegrenzung und Schaden heilen.

Denken wir nur an den Turmbau der globalen Wirtschaft. Den Turmbau des Slogans „Geiz ist geil“ und wie sehr uns das alles immer wieder um die Ohren fliegt.

Wenn wir auf den Turmbau zu Babel blicken, dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass dieser Turm auch Ausdruck einer gigantischen Gleichschaltung werden sollte. Dort, wo der Turm gebaut wurde, dessen Fundamente in der irakischen Provinz Babil zu finden sind, lebten auch die deportierten Israeliten. Die Herrscher wollten dort ihre Macht demonstrieren und alle gleichschalten.

Doch der Turmbau macht deutlich, was passiert, wenn Herrschende eine Einheitskultur, eine Einheitssprache fordern, wenn Uniformität alle Unterschiede auflösen soll in ein Verhältnis von Oben nach Unten. Das Verhältnis von Oben nach Unten bedeutet Unterdrückung, das Aufgehen in einer unterschiedslosen grauen Masse.

Diese Gleichmacherei soll den Menschen vom göttlichen Willen entfremden und in der gesichtslosen Masse untergehen lassen.

Da kann Gott gar nicht anders, als den Turm der gottgleichen Anmaßung in sich zusammenbrechen zu lassen, um die Hohlheit solchen Ansinnens weltweit deutlich werden zu lassen. Uns so ist die Sprachverwirrung kein Fluch, sondern ein Segen, weil sie den Menschen ihre Individualität, ihre Persönlichkeit zurückgibt, ihre von Gott gewollte Verschiedenheit und Wiedererkennbarkeit eines jeden einzelnen.

Wenn ein Volk sich einen Namen machen möchte, gehen die Namen derer verloren, die das Volk ausmachen.

Mit der Zerstörung des Turms gab Gott jedem Menschen seine Persönlichkeit zurück und zerstörte den Machtanspruch der Herrschenden, ließ ihn in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus.

Gott macht auf diese Weise, auf seine Weise die Menschen untereinander gleich, weil sie alle den gleichen Anspruch auf ihre Persönlichkeit haben.

Alles andere ist gottlose Einheitskultur, die – wie alle totalitären Regime – dem Untergang geweiht ist.  Aber Achtung, auch aus falsch verstandener Liberalität aufgegebene Identität hat den Untergang zur Folge.

Pfingsten ist das bunte Fest der Vielfalt, die der Heilige Geist wirkt.

Schauen wir uns doch noch an, was da in diesem Haus passiert ist, in dem die Jünger zusammensaßen, während draußen andere gefeiert haben. Die Jünger waren nach der Himmelfahrt Jesu nicht unbedingt selbstsicher oder wirklich selbstbewusst. Sie waren irritiert, verunsichert. Wussten nicht wirklich wie es weitergehen wird und, ob es überhaupt weitergehen wird. Und dann bricht in diesem Hause ein wahrer Sturm los, ein Sturm der BeGEISTerung. Ja, anders kann ich es kaum nennen. Die Jünger werden vom Heiligen Geist erfasst. Diese im wahrsten Sinne des Wortes Entflammten werden mit einem Male sprachfähig. Alle Angst und Verunsicherung ist von ihnen abgefallen, ja gewissermaßen durch das Wirken des Heiligen Geistes in sich zusammengefallen. Alle Angst war von ihnen gewichen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Jünger in jener Zeit nicht wirklich sicher gelebt haben. Den Römern hat das mit diesen Jesus-Anhängern nicht wirklich in den Kram gepasst und dem israelischen Religionsestablishment ebenso wenig. Es war also Vorsicht angesagt.

Aber jetzt gab es bei den Jüngern kein Halten mehr. Das, was sie glaubten, das, woran sie glaubten, alles, was sie von Jesus gelernt hatten, das sollte nicht vergessen werden. Das sollte bleiben und die Welt verändern.

Und die BeGEISTerung der Jünger übertrug sich auf alle anderen. Der Geist schaffte ein Verstehen, weil alle von dem EINEN GEIST erfüllt waren.

Auch wir, wenn wir von unserem Glauben erzählen, können im anderen ein Verstehen bewirken, ein Verstehen, das mit falschen Vorstellungen von unserem Glauben aufräumt. Haben die Menschen bei der Pfingstgeschichte nicht auch erst gedacht, dass die Jünger in dem Haus alle betrunken sind, dass sie alle miteinander zu tief in den Weinschlauch geschaut haben? Als Petrus zu seiner Predigt nach draußen ging, räumte er sofort mit dieser falschen Vorstellung auf und rückte alles richtig: „Vernehmt meine Worte! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, …sondern das ist’s, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5): 17 »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch.“ (Apostelgeschichte 2, 17-17) Auch wir können so manches, was Menschen über uns und unseren Glauben, glauben zu wissen, richtigstellen.

Jeder, der von uns mal auf einem Kirchentag gewesen ist und dabei war, wenn Menschen aus vielen Nationen Gottesdienst feiern, wird sich an die Gänsehaut erinnern, die das Beten des Vaterunsers auslöst. Vielen Sprachen und doch ein Rhythmus, in dem man das Gebet in jeder anderen Sprache sofort wiedererkennt.

Und wisst Ihr, was mich an dieser Pfingstgeschichte, diesem Pfingstwunder so unwahrscheinlich fasziniert? Diese paar Hanseln, diese paar Jünger hatten nicht nur gemeinsame Werte, einen gemeinsamen Glauben, sondern auch ein gemeinsames Ziel, die Welt zum Guten zu verändern.

Und was soll ich sagen? Wir haben den gleichen Glauben, die gleichen Werte, die gleichen Ziele. Auch noch zweitausend Jahre später.

Aber haben wir auch die gleiche BeGEISTerung, wie diese Jünger? Dass wir heute noch immer mit diesem Glauben unterwegs sind, noch immer im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zusammenkommen, weil der Heilige Geist einige wenige Männer vor zweitausend Jahren in Bewegung gesetzt hat, ist noch immer ein Pfingstwunder, macht noch immer deutlich, wie sehr der Heilige Geist nachwirkt und wirkt.

Von dieser kleinen Gruppe, aus der weltweit Milliarden von Christinnen und Christen hervorgegangen sind, dürfen wir die ansteckende Wirkung der BeGEISTerung lernen. Sie haben beGEISTert von ihrem Glauben erzählt und die Menschen angesteckt, die Wirkung dieser BeGEISTerung weitergegeben, wie man einen Staffelstab weiterreicht.

So dürfen auch wir, hier und heute beGEISTert von unserem Glauben sein und beGEISTert von ihm erzählen, denn wer beGEISTert ist, der beGEISTert auch andere.

So wie wir von einem guten Essen in einem Restaurant begeistert sind und anderen davon vorschwärmen, dass ihnen das Wasser im Mund zusammenläuft und sie gleich für den nächsten Sonntag einen Tisch reservieren, so dürfen wir auch von unserem Glauben vorschwärmen und andere sich an unserer BeGEISTerung anstecken lassen. Und was heißt anstecken anderes, als in einem anderen die Flamme zu entzünden für diesen, unseren Glauben zu brennen.

Oder um es mit dem Refrain des Liedes von Alois Albrecht und Peter Janssens von 1972 zu sagen:

Die Sache Jesu braucht Begeisterte.
Sein Geist sucht sie auch unter uns.
Er macht uns frei, damit wir einander befrein.

Na, dann, lasst uns jetzt mal befreien gehen!

Amen!

Pfr. Martin Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke

Pfr. Martin Dubberke, Predigt am Pfingstsonntag, 23. Mai 2021 über 1. Buch Mose 11, 1-9, Prerikopenreihe III in der Johanneskirche in Partenkirchen