Pfr. Martin Dubberke
Neue Eiserne Brücke über die Höllentalklamm | Bild: Martin Dubberke

Brückensonntag

Liebe Geschwister, das ist doch irgendwie ein seltsamer Sonntag, so zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Jesus, der im Beisein seiner Jünger zum Vater geht, in den Himmel auffährt, so wie wir es eben im Glaubensbekenntnis bekannt haben und dann am kommenden Sonntag die Ausgießung des Heiligen Geistes, also Pfingsten. Zwei absolut wichtige Feiertage in unsere Kirche. Aber mal Hand aufs Herz, auch zwei sehr herausfordernde Ereignisse für uns Menschen von heute.

Gut, wir sind damit groß geworden, weil unsere Eltern uns so erzogen haben oder wir es in der Schule gelernt haben und alles für uns noch eine Selbstverständlichkeit hatte, die es für die Generation von heute nicht mehr hat. Wir sind noch in einer Tradition heran- und hineingewachsen, die heute mehr und mehr in erschreckender Rasanz an gesellschaftlicher Relevanz verliert. Wie wollen wir heute jemandem die Himmelfahrt Jesu verständlich machen? Keiner von uns ist dabei gewesen und keiner kann mehr jemanden kennen, der dabei gewesen ist. Oder die Ausgießung des Heiligen Geistes, diese unwahrscheinliche Sprachwunder. Keiner von uns war dabei. Und doch geht es um etwas Existentielles – für uns Existentielles, etwas das unser Leben bestimmt, das unsere Entscheidungen bestimmt, etwas, das uns auch Dinge machen lässt, die nicht Mainstream sind.

Wie wollen wir das noch einer anderen Generation, die mit dem PC, dem Internet, Facebook und all den anderen Socialmediakanälen großgeworden sind, die alles und noch sehr viel mehr wissen oder zu wissen vorgeben, vermitteln?

Das ist doch alles schon so lange her? Was feiern wir, wenn wir Himmelfahrt feiern? Die Väter unter uns kennen ja auch die andere Seite dieses Tages. Und was feiern wir Pfingsten?

Wir feiern, dass da mal vor zweitausend Jahren etwas geschehen ist, das Menschen so wichtig und so existentiell war, dass sie es aufgeschrieben haben, damit es ja nicht verloren geht. Wie heißt doch der alte Spruch: Wer schreibt, der bleibt. Und über wen geschrieben wird, der bleibt noch länger.

Das ist wie mit dem Internet. Ich bin immer wieder erstaunt, was ich da alles finde und vor allem, wie lange ich dort etwas finde. Was da einmal drin ist, das geht kaum mehr verloren. Wer also heute eine Spur hinterlassen möchte, der begibt sich mit seinem Leben, seinen Ideen, seinen Daten, seinen Bildern ins Internet.

Damals hat man das alles noch erzählt. Einer dem anderen und der wieder einem anderen, bis alles einmal aufgeschrieben wurde. Tja, und heute halten wir noch immer dieses Buch in der Hand oder haben es in unseren Smartphones oder Tablets als App. Immer dabei, immer verfügbar. Martin Luther würde heute jubeln, wie einfach es ist, zu publizieren.

Lange Rede, kurzer Sinn. Alles, was wir heute über unseren Glauben wissen, wissen wir, weil es andere einmal aufgeschrieben haben, weil sie Zeugen waren oder von diesem Glauben so angezogen und angesteckt waren, dass sie gar nicht anders konnten, als davon zu reden und zu schreiben. Vieles ist natürlich verloren gegangen und manches, was nicht so ganz in den Kram passte, wurde sogar verboten, weggeschlossen, vernichtet.

Auch das kennen wir. Und doch erscheint es mir wie ein großes Wunder, dass wir hier heute an diesem Sonntag Exaudi, zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, gewissermaßen an diesem Brückensonntag zusammengekommen sind, um miteinander Gottesdienst zu feiern, weil einfach mal ein paar Menschen, vor zweitausend Jahren diesem Jesus von Nazareth begegnet sind, ihn begleitet haben, ihm zugehört haben, seinetwegen ihr Leben verändert haben, weil er sie zu neuen Einsichten gebracht hat.

Exaudi – Gehör finden: Audi Domine vocem meam invocantis miserere mei et exaudi me. Höre, Herr, meine rufende Stimme, erbarme dich meiner und erhöre mich. – So steht es im Psalm 27, Vers 7, der dem Sonntag Exaudi seinen Namen gab.

Habe ich gerade Brückensonntag gesagt? – Ja! Aber dieser Brückensonntag ist nicht so etwas wie der Brückentag zwischen einem Feiertag und einem Samstag, sondern dieser Sonntag ist die Brücke, die von Himmelfahrt direkt zum Heiligen Geist führt. Und diese Brücke ist das Gebet und die damit verbundene Erfahrung, dass Beten keine Einbahnstraße ist, wie ich immer sage. Auf dieser Brücke kommt mir auch der Heilige Geist entgegen, wen ich ihm im Gebet entgegengehe. Dann treffen wir uns.

Der Sonntag Exaudi nimmt damit eine ganz wichtige Funktion in unserem Glauben ein, weil er uns an das erinnert, was in jeder Beziehung wichtig ist: miteinander zu reden, einander zuzuhören. Wir haben in den vergangenen 14 Corona-Monaten eine spannende Erfahrung machen dürfen: Miteinander in Kontakt zu bleiben, auch wenn wir uns nicht treffen können, nicht hunderte Kilometer fahren zu können, jemandem nicht körperlich, sondern ausschließlich seelisch nahe zu sein. Wir haben die Videokonferenz für uns entdeckt, ja zum Teil sogar wieder das Briefeschreiben und natürlich das Telefon, um einander von Ohr zu Ohr nahe zu sein.

Himmelfahrt hat Jesus von seinen Jüngern Abschied genommen und ist zu seinem Vater in den Himmel gefahren, wo er nun zu seiner Rechten sitzt. Für die Jünger war das kein einfacher Tag, zum zweiten Mal die körperliche, die präsentische Nähe zu Jesus zu verlieren und nun ganz neu und ganz anders mit ihm in Kontakt zu bleiben, im nahe zu bleiben.

Mit Pfingsten hat da der Heilige Geist eine ganz wichtige Rolle eingenommen, aber Exaudi ist der Sonntag, der uns daran erinnert, wie wir Gott an jedem Tag des Jahres, an jedem Tag unseres Lebens nahe sein können: Im Gebet. Das Gebet ist Ausdruck unserer Beziehung zu Gott. Im Gebet leben wir unsere Beziehung zu Gott.

Tja, da sitzt Ihr nun und ich stehe hier vorne und erzähle etwas von dem, was mich bewegt, was mein Glaube, unser Glaube in mir auslöst, was der Predigttext heute mit mir macht. Und ganz ehrlich, liebe Geschwister: Ist das nicht das eigentliche Wunder?

Und soll ich Euch noch etwas verraten? Wir sitzen hier heute zusammen, weil Jesus uns genau das versprochen und auch gehalten hat. Ich lese es Euch vor, so wie es im Evangelium des Johannes steht – unserem Predigttext:

Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes [Sukkot – Laubhüttenfest] trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! 38 Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. 39 Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

Johannes 7,37-39

Ihr seid hier, wir sind hier, weil wir Durst haben. Wir haben einen ganz besonderen Durst, den wir nicht mit einfachem Trinkwasser stillen können, weil es ein Durst unserer Seele und nicht unseres Leibes ist. Diesen Durst nach Leben kann nur Jesus stillen, weil er das Wasser hat, das wir zum Leben brauchen. Und wir verfügen über die Gabe, diesen Durst zu spüren.

Jesus hat sein Versprechen gehalten. Wie sieht es aber mit uns aus? Wir springen ja bei diesen Worten von Jesus gerne auf den letzten Vers, der die Deutung des Jesus-Wortes parat hält. Aber davor kommt die für mich zentrale Botschaft:

Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.

Damit sind wir gemeint. Wer an Jesus glaubt, von dessen Leib werden, Ströme lebendigen Wassers fließen.

Wie großartig ist das denn? Durch meinen Glauben an Jesus, werde ich zu einem Lebensspender, zu einem Lebenserhalter, zu einem Lebensernährer, zu einem Durststiller, werde ich zu einem Segen für andere Menschen. Mein Glaube an Jesus kann anderen Menschen eine Tür für ihr Leben aufmachen. Mit meinem Glauben kann ich für einen anderen Menschen derjenige sein, der seiner Seele das gibt, wonach sie gedürstet hat.

Und schon allein, weil der, der an Jesus glaubt, jemand ist, von dessen Leib Ströme lebendigen Wassers fließen, geht von ihm eine positive Kraft für das Leben in dieser Welt aus, eine Kraft, die andere mitreißen, die andere anstecken kann. Und das heißt: Wer an Jesus glaubt, hat in sich auch die Möglichkeit, die Welt zum Guten zu verändern, auch und vor allem in schwierigen Zeiten. Und je mehr Menschen an Jesus glauben, desto mehr Menschen wird es geben, von denen Ströme lebendigen Wassers ausgehen.

Wir reden heute ja immer davon, dass es immer weniger Christinnen und Christen werden, dass es immer weniger Kirchenmitglieder werden. Wenn wir aber nur einmal in die Geschichte unserer Gemeinde schauen, können wir erkennen, was es bedeutet, sich auf den Weg zu begeben. Im ganzen Werdenfelser Land haben vor mehr al 130 Jahren nur zwei Protestanten gelebt. Das war das Ehepaar von Sachs aus Wiesbaden, deren Wappen Ihr hier in einem unserer Kirchenfenster sehen könnt. Auf die beiden geht der Bau unserer Johanneskirche zurück. Die beiden haben sich Verbündete gesucht und alle Hebel in Gang gesetzt, so dass 1891 unsere Johanneskirche gebaut werden konnte, die sowohl für die Mittenwalder, Murnauer als auch Oberammergauer und Starnberger zuständig war. Wir sind heute rund 4700 Gemeindemitglieder. Auch wenn wir weniger werden, finde ich, dass aus zwei mach 4700 ein Zeichen ist, an dem wir uns ein Beispiel nehmen können, das uns Mut machen kann.

Aber wieder zurück zum Wasser. Wasser verbindet Kontinente. Wasser verbindet Menschen, bringt Menschen zueinander in Beziehung, so wie es der Heilige Geist seit dem ersten Pfingsten tut.

Wer an Jesus glaubt, geht mit anderen Menschen in Beziehung und lässt sie spüren und erleben, was sie selbst in Bewegung gesetzt hat. Wer an Jesus glaubt, wird in allen möglichen und unmöglichen Situationen beten: Exaudi me! Erhöre mich! Und so wie er für sich betet, wird er für andere und mit anderen beten.

Das Wasser muss in Bewegung bleiben. Wenn es Ströme bleiben sollen, muss ich das Wasser mit anderen teilen. Der Glaube an Jesus wird mich selbst in Bewegung bleiben lassen, so dass ich andere auch in Bewegung bringen kann, damit wir alle zu einem Strom lebendigen Wassers werden können, der alle Ungerechtigkeiten, alle Unrechtsregime, alles Lebensfeindliche und Lebenszerstörende und Leben Unterdrückende fortspülen können.

Exaudi me! Erhöre mich!

Amen.

Pfr. Martin Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am Sonntag Exaudi am 16. Mai 2021 in der Christuskirche in Garmisch und in der Johanneskirche Partenkirchen über Johannes 7, 37-39 (Perikopenreihe III)