Pfr. Martin Dubberke

Von guten Mächten wunderbar geborgen

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost,

was kommen mag.

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen

Und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Heute vor 65 Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer ermordet. Nackt musste er im grellen Scheinwerferlicht über den Hof des Konzentrationslagers Flossenbürg zum Galgen gehen. Bonhoeffers letzter geschriebener Satz lautet: „Ich sterbe als stummer Zeuge Jesu Christi unter seinen Brüdern.“ Er gilt als der evangelische Märtyrer. Märtyrer sind Heilige, die ihr Zeugnis für Christus mit dem Tod besiegelten.

Nun stehe ich heute hier und halte einen Gottesdienst anlässlich des 65. Jahrestags seiner Ermordung. Der Gottesdienstablauf, die Liedersuche, das alles ging ganz schnell, auch die Entscheidung über seine wohl berühmtesten Worte „Von guten Mächten“ zu predigen war schnell klar. Aber wie sollte ich die Predigt aufbauen? Sollte ich einfach über den Text predigen oder sollte ich eine Art Würdigung machen oder über seine Theologie predigen? Ich kam lange Zeit nicht weiter. Als Nachgeborener ist das immer so eine Sache über einen Mann aus jenen Tagen der Diktatur zu predigen.

Ich schaute mir noch einmal seine Biographie an und mir begegneten hier wieder Menschen, denen ich später auch begegnet bin. Und ich stellte fest, wie oft sich in meinem Leben immer wieder Berührungspunkte mit Dietrich Bonhoeffer ergeben haben, die mich veranlassten, mich mit ihm auseinander zu setzen. So auch heute hier im Evangelischen Seniorenzentrum „Dietrich Bonhoeffer“.

Ich sagte eingangs, dass er als der evangelische Märtyrer gilt. Er hat also ein Zeichen seines Glaubens gegeben. Und damit stellt sich die Frage: Wie wirkt das Zeichen weiter fort?

Dietrich Bonhoeffer war ein Mann, der seinen Glauben mit schonungsloser Konsequenz lebte. Wann immer ich mich in meinem Leben mit ihm auseinandersetzen musste, war es das, was mich am meisten beeindruckte. Sein Glaube war nicht einfach nur eine Haltung oder – wie es heute üblich ist und gerne propagiert wird – reine Privatsache. Sein Glaube prägte bis in die letzte Konsequenz die Entscheidungen seines Lebens, sein Handeln. Diese starke unteilbare Einheit von Person und Glaube, war es auch, die die Menschen in seiner Umgebung in seinen Bann zog. Das ist etwas, was mir immer wieder Menschen erzählt haben, die Ihn kannten.

Das scheint ein Funke zu sein, der auch noch heute überspringt.

Ich bin neunzehn Jahre nach seiner Ermordung in eine politische Situation geboren worden, die meinen Glauben nicht existentiell herausgefordert hat. Ich bin – wofür ich meinem Schöpfer dankbar bin – nie mit meinem Glauben so gefordert worden, dass es um Leben oder Sterben ging. Die Konsequenzen, die sich aus meinen vor meinem Glauben getroffenen Entscheidungen ergeben haben, waren stets überschaubar. Mein Glaube ist nie so herausgefordert worden, wie der Dietrich Bonhoeffers, seiner Weggefährten und Schüler. Und ich hoffe und bete, dass ich niemals in meinem Leben vor eine solche Prüfung gestellt werde.

Und obwohl ich neunzehn Jahre nach Bonhoeffers Ermordung geboren worden bin, kann ich in meinem Leben als Christ und Theologe viele Spuren von ihm entdecken. Momente der Prägung.

Als ich aufs Gymnasium kam, sah ich am Tag meiner Aufnahme in der Aula die Galerie der ehemaligen Schüler, die Opfer des Dritten Reiches geworden waren. Da hingen u.a. die Bilder von Leber, Dohnanyi und auch Dietrich Bonhoeffer. Unter jedem dieser Bilder stand „geboren am“ und „ermordet am“. Alles bekannte Gesichter des Widerstands und des 20. Julis. Ich hatte einen alten Lateinlehrer, der in Stalingrad gekämpft hat und sich dem Widerstand um den 20. Juli herum angeschlossen hatte. Eine ganz spannende Persönlichkeit.

Vierzig Jahre nach der Ermordung Dietrich Bonhoeffers habe ich mein Theologiestudium an der Kirchlichen Hochschule Berlin begonnen. Wieder begegnete ich Bonhoeffer. Die Hochschule hatte ihre Wurzeln in der Bekennenden Kirche und damit wieder direkt bei Dietrich Bonhoeffer. Seine Büste stand überlebensgroß im Foyer unserer Hochschule. Was auf den ersten Blick wie ein Rollkragen aussah, war in Wirklichkeit die Schlinge, die man um seinen Hals gelegt hat. Interessant war die Platzierung der Büste aus rotem Granit. Sie stand nicht mitten drin und drängte sich auf. Sie stand am Rand, da wo wir Studenten uns in den Vorlesungspausen sammelten. Sie war immer Teil der Pausenrunde. Mancher lehnte sich auch an ihn an. Hier lernte ich Rudolf Weckerling, Probst Dittmann und andere kennen, die Dietrich Bonhoeffer kannten und von ihm geprägt waren. Einige meiner Professoren waren Schüler von Schülern Bonhoeffers. Der Geist Bonhoeffers und der Bekennenden Kirche wehte deutlich an dieser Hochschule und prägte mehrere Generationen von Theologinnen und Theologen. Und auch mich.

Von dem Pfarrer, der mich konfirmiert hat und, dem ich zu verdanken habe, dass ich heute Theologe bin, habe ich den berühmten Bonhoeffer-Text „Von guten Mächten“ gelernt. Er sprach den Text immer am Ende eines Abendmahlganges und so tue ich es auch heute selbst beim Abendmahl:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost,

was kommen mag.

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen

Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Diese Gottergebenheit und Gelassenheit hat mich immer wieder aufs Neue fasziniert. Wunderbar geborgen und getrost erwartend. Diese Verse entstanden nur wenige Monate vor seiner Ermordung. Da ruht jemand ganz tief in seinem Glauben und weiß gewiss, dass, was immer auch kommen mag, Gott mit ihm sein wird, damit er die Herausforderung mit ihm meistern kann. Was für ein starke Zeichen setzender Glaube.


Predigt anlässlich des 65. Jahrestages der Ermordung Dietrich Bonhoeffers im Evangelischen Seniorenzentrum “Dietrich Bonhoeffer” in Zossen am 9. April 2010