Pfr. Martin Dubberke

Pflicht und Schuldigkeit

Liebe Schwestern und Brüder, erinnern Sie sich noch an Wochenspruch, den ich zu Beginn des Gottesdienstes vorgelesen habe?

Wir liegen vor Dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf Deine große Barmherzigkeit. Daniel 9, 18

Ich wiederhole den Wochenspruch, weil er der Schlüssel zu unserem Predigttext ist. Ja, eigentlich zu allen Texten, die wir heute im Gottesdienst gehört haben.

Aber jetzt erst einmal unser Predigttext. Er steht bei Lukas im 17. Kapitel:

Vom Knechtslohn

7 Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? 8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken? 9 Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? 10 So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. Lukas 17, 7-10

Jetzt wissen wir es. Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Sie, ich, wir sind alle unnütze Knechte. Das ist ziemlich hart, wenn einem das Jesus so deutlich ins Gesicht sagt. Da bin ich doch eigentlich andere, zugewandtere Töne von ihm gewohnt. Und ich stelle mir die Frage, warum mir in all den Jahren, die ich mich mit der Bibel und meinem Glauben auseinandersetze, ausgerechnet diese Stelle nie ins Auge gefallen ist. Keine Ahnung. Ich weiß es nicht.

Aber als ich sie gelesen habe, dachte ich mir so: Das könnte die Quelle dafür sein, dass Außenstehende sagen: Christen können nicht Danke sagen, sondern immer nur fordern.Ich habe gerade gestern so eine Erfahrung gemacht. Als Moderator einer Veranstaltung habe ich mich bei ganz vielen Menschen für Ihr Engagement bedankt und dann jemanden vergessen. Derjenige sprach mich dann nach der Veranstaltung an und ich konnte mich entschuldigen. Aber der andere war erst einmal verstimmt. Er hatte doch nicht weniger zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen als alle anderen auch.

Schon hatte ich keine Lust mehr, über den Text zu predigen und legte ihn zur Seite, ganz in der Hoffnung, dass im Laufe der Woche sich noch eine Idee einschleichen würde, wie ich den Text schönreden könnte.

Und dann habe ich mich am Freitag hingesetzt und noch einmal alle Texte gelesen, die heute im Gottesdienst so vorkommen, also den Wochenspruch, die Epistel, den Psalm, das Evangelium und der Predigttext.  Also insgesamt fünf biblische Lesungen.Und plötzlich entdeckte ich zwischen allen Texten Parallelen und dachte mir. Ist ja wieder mal wahnsinnig, was passiert, wenn Du einen Text liest und erst einmal wieder ganz egoistisch von Dir ausgehst. Denn was hatte ich anderes getan, als ich mich beleidigt in meinen Schmollwinkel zurückzog und nicht über den Text predigen wollte, nachdem ich aus Jesu Munde erfahren habe, dass ich ein unnützer Knecht bin. Ich hatte den Blick für den großen Zusammenhang verloren.Und der Schlüssel für das Erkennen und Verstehen war in der Tat ein Teil des Wochenspruchs:…

und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf Deine große Barmherzigkeit.

Interessant. Wir vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit. Klasse! Wie auch, die kann nur fehlbar sein, weil wir ja fehlbare Menschen sind. Wir Menschen wiegen ja immer eines gegen das andere auf. Hast Du mich eingeladen, lade ich dich ein. Warst Du nett zu mir, bin ich auch nett zu dir. Da steckt so ein Leistungsanspruch dahinter. Es geht also nicht um die eigene Gerechtigkeit, sondern wir vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit. Barmherzigkeit war also das entscheidende Schlüsselwort.

Barmherzigkeit orientiert sich vordergründig nicht an Leistung, sondern ist bedingungslos oder grundlos. Noch ein schönes Stichwort. Die Barmherzigkeit muss nicht begründet werden.

Das ist Gott pur.

Sie merken, meine Begeisterung war geweckt. Also, schaue ich mir nun den nächsten Text an. Den Psalm und was entdecke ich da?Die Gläubigen behütet der HERR und vergilt reichlich dem, der Hochmut übt.

Ich denke: Das gibt es doch nicht! Da habe ich ihn wieder, den Leistungsgedanken. Hochmut. Ich bin mehr wert als andere, weil ich mehr tue, mehr bin, länger dabei bin. Ach, ich könnte die Liste endlos fortsetzen.Und dann steht da aber auch der entscheidende Satz:Die Gläubigen behütet der HERR…Es geht also allein um den Glauben. Wenn Triebfeder meines Tun und Handelns nicht der Hochmut ist, sondern der Glaube, dann behütet mich auch der HERR. Es geht also auch um die Motivation, also, warum ich tue, was ich tue.

Ich bin fast wie im Rausch und lese nun die Epistel. Die Geschichte mit der Kampfbahn. Auch das wieder ein wunderschönes Bild. Da rennen die Menschen eine Runde nach der anderen. Einer versucht den anderen abzuhängen und besser zu sein als der andere. Am Ende muss ja ein Gewinner rauskommen.  Und dann haut Paulus einen Satz raus, der hängen bleibt:

Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen. Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse…

Die einen kämpfen um einen vergänglichen Kranz aus Lorbeer. Die anderen wollen einen unvergänglichen empfangen. Und dann: Ich laufe aber nicht wie aufs Ungewisse…

Paulus weiß ganz genau, welches Ziel er im Blick oder vielleicht auch umgekehrt, welches Ziel IHN im Blick hat. Es geht nicht um vergänglichen Tand, sondern um mehr.Ich nähere mich nun dem Evangelium, diesem wunderbaren Klassiker über die Arbeiter im Weinberg mit seiner zentralen Aussage: Die ersten werden wie die letzten Sein. Diesen ungeheuren Skandal vordergründiger Lohnungerechtigkeit. Die einen arbeiten den ganzen Tag, die anderen kaum die letzte Stunde und dennoch erhalten alle den gleichen guten Lohn. Dumpinglohn oder Überbezahlung. Ein Frontalangriff auf unseren Gerechtigkeitssinn. Da wird einem via barer Münze mehr gedankt als dem anderen. Aber so macht es Jesus. Jesus provoziert uns an Stellen, wo es weht tut, damit wir es merken und aufwachen aus unserem eindimensionalen Denken, einer Haltung, die von einem leistungsbasierten Lohnanspruch gegenüber Gott ausgeht. Es geht aber nicht um Lohn, sondern um Barmherzigkeit.

Es geht nicht um das wie lange, sondern einzig und allein um das Dabeisein und Mitmachen.Und nun endlich komme ich bei unserem Predigttext an und bleibe am letzten Satz hängen:”…wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren”

Wahnsinn! Ich bin begeistert. Wenn ich glaube, dann glaube ich auch an das Ziel und lebe auf dieses Ziel hin. Ich lebe nicht auf das Ungewisse hin, wie Paulus sagt, sondern auf das ewige Leben. Und wenn ich glaube, dann ist damit auch ganz automatisch eine bestimmte Lebens- und Handlungsweise verbunden.Ich weiß, dass das Reich, die Herrlichkeit kommt. Irgendwann kommt sie. Das bedeutet für mich als gläubigen Menschen – auch Knecht genannt – , dass ich mich auf eine Zeit des Dienens und immer neuer Arbeit einstellen muss. Ich weiß ja nicht wann und wie das Reich Gottes kommt, sondern einzig und allein dass. Es geht einfach nur darum, dass ich als Christ meine Pflicht tue. Und da zählt – wie das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg deutlich macht, nicht die Dauer des Dabeiseins, nicht wie lange ich gearbeitet habe und damit vielleicht andere Anwartschaften auf das Reich Gottes erworben habe, sondern einzig und allein das DASS.

Das Dienen hört nicht auf.Bei Paul-Gerhard Müller (Stuttgarter Kleiner Kommentar zu den Evangelien, S. 527) habe ich einen schönen Satz gelesen:”Ein Pochen auf religiöse Verdienste aus Frömmigkeitsleistungen, ein Vergeltungsanspruch für erbrachte Dienste vor Gott ist ausgeschlossen.”

Das liest sich fast wie aus einem Arbeitsvertrag.Ich soll mich nicht meiner Verdienste, die ich aus meinem Glauben heraus bewirkt habe, rühmen. Das wäre Hochmut, sondern sie als das nehmen und kommunizieren, was sie sind: Meine einfache Pflicht und Schuldigkeit als Christ.

Darin liegt die größte Wirkung!

Amen

19.02.2011 | Predigt zum Sonntag Septuagesimae über Lukas 17, 7-10