Pfr. Martin Dubberke

Oculi mei semper ad Dominus

Meine Augen sehen stets auf den HERRN. (Psalm 25, 15)

Der Sonntag Okuli ist schon eine ganz eigene Herausforderung in der Passionszeit. Okuli – Meine Augen sehen stets auf den HERRN.

Was das bedeutet, illustrieren uns die Texte dieses Sonntags und ich bin der Versuchung erlegen, die Themen, die mir hier angeboten wurden, aufzunehmen, weil es mir wichtig ist, die Tragweite von Okuli vor Augen zu führen und an drei Texten sichtbar werden zu lassen.

Meine erste Aufmerksamkeit gilt der Epistel:

Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört, auch nicht von schändlichem Tun und von närrischem oder losem Reden, was sich nicht ziemt, sondern vielmehr von Danksagung.
Epheser 5, 3-4

Das nenne ich mal eine klare Ansage. Paulus sagt hier sehr deutlich, was eine Gemeinde sprengen kann und gleichzeitig, was eine Gemeinde zur Gemeinde macht, nämlich die Danksa-gung.

Und er macht noch etwas deutlich, was die Gemeinde zur Gemeinde macht, das Freisein von Habsucht, schändlichem Tun und närrischem, losen Reden.

Paulus bringt damit zum Ausdruck, dass Glaube auch ein entsprechendes Handeln zur Folge hat, aus dem heraus der Glaube erkennbar und in seinem Wirken spürbar wird.

Daher sagt Paulus, dass wir Gott als geliebte Kinder nachahmen sollen und in der Liebe wandeln sollen, wie auch Christus uns geliebt hat.

Dieses Nachahmen gelingt durch Beobachtung oder anders ausgedrückt, wenn meine Augen stets auf den HERRN sehen.

Und dann weiß ich, was Gott von mir fordert, erwartet. Wenn meine Augen stets auf den HERRN sehen, orientiere ich mich an ihm und seinen Geboten. Dann weiß ich, dass ich in meinem Leben nicht glücklich werde, wenn ich von Habsucht getrieben bin, die mich egoistisch macht, die die aus mir ein alles für mich und ich zuerst macht. Dann weiß, dass mich Habsucht, schändliches Tun und närrisches, loses Reden einsam macht. Oder wollen Sie es mit einem solchen dann wohl auch von Neid zerfressenen Menschen zu tun haben oder gar selbst einer sein? – Wohl kaum.

Sehen Sie und deshalb ist es wichtig seinen Blick stets auf den HERRN zu richten, wenn man Gemeinde sein will. Gemeinde zu sein, heißt, an einem Strang zu ziehen. Als Christ bin ich nicht alleine. Als Christ bin ich Teil einer Gemeinschaft, die nein sagt zu Habsucht, Machtgeilheit, Ausgrenzung, mich oder gar uns zuerst.

Und wenn meine Augen stets auf den HERRN gerichtet sind, besitze ich ein besonderes Gespür, einen besonderen Blick für Verführer, Blender, Manipulierer, Rattenfänger und vor allem für leere, hohle Worte, die an meinen Egoismus, die leichte Lösung appellieren. Es gibt keine leichten Lösungen und genau das will uns Paulus hier sehr eindrücklich nahebringen.

Im Endeffekt sagt Paulus: „Habsucht war gestern. Lose und närrische Rede war gestern. Schändliches Tun war gestern. All das habt ihr eingesetzt, um das Erreichen Eurer habsüchtigen Ziele zu beschleunigen, aber diese Ziele sind nicht Gottes Ziele. Und mit diesen Methoden könnt Ihr auch nicht Gottes Ziele erreichen.

Ja, Gottes Ziele sind mit diesen Mitteln und Methoden nicht zu erreichen. Und die Augen stets auf den HERRN zu richten, bedeutet auch, die leeren Worte der Verführer erkennen zu können, weil sie darauf abzielen, dass wir den Weg verlassen, auf dem wir Gott folgen sollen. Deshalb warnt uns Paulus und weist uns auf die Konsequenzen hin:

Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Darum seid nicht ihre Mitgenossen.

Ja, als Christ ist das Leben nicht unbedingt einfacher, weil es uns in Konflikte führt, die nicht mit schändlichem Tun, närrischem und losen Reden gelöst werden können. Und genau das will uns Paulus nahebringen. Christsein besteht nicht nur aus fröhlichem Kirchentagsmassenfeeling, sondern aus harter Arbeit, weil ich mich von alten und vermeintlich leichten Lösungen lösen muss.

Und genau das wird im Evangelium auf beeindruckende Weise deutlich, wenn Jesus zu dem Mann, der ihm nachfolgen möchte, aber noch seinen Vater begraben möchte, den harten Satz sagt:

Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

Klar, da muss man erst einmal schlucken. Doch dieser Satz erinnert mich an das, was mit Lots Ehefrau geschehen ist. Sie erinnern sich an die Geschichte:

Gott hatte die Entscheidung getroffen, dass Sodom und Gomorra vernichtet werden, weil die Stadt – naja, eben Sodom und Gomorra war. Einzig und allein Lot und seine Familie wurden durch zwei Engel – also Boten Gottes – informiert, dass sie die Stadt rechtzeitig verlassen sollten. Und diese Boten wiesen Lot darauf hin, dass sie bei der Flucht nicht zurückblicken sollten. Sie sollten also das Neue, die Zukunft im Blick haben. Doch Lots Ehefrau hatte wohl Schwierigkeiten, sich vom Alten, Gewohnten, dem lieb gewordenen Zuhause zu trennen. Sie blickte auf der Flucht zurück und erstarrte zur Salzsäule.

Keine schöne Geschichte. Aber sie macht etwas deutlich. Wer sich von Altem nicht lösen kann, der kann nicht in die Zukunft gehen. Jetzt könnten Sie natürlich sagen, dass ohne Vergangenheit keine Zukunft möglich ist. Das stimmt. Aber in diesem Fall bitte ich Sie darum, noch einmal einen Blick auf die ganze Geschichte zu werfen. Wer sie gerne selbst nachlesen möchte, findet sie im ersten Buch Mose im Kapitel 19. Gott hat aus Sodom und Gomorra eine Vergangenheit geschaffen und daraus eine Konsequenz gezogen. Er wollte, weil mit dieser Stadt so ziemlich alles schiefgelaufen war, einen Schlussstrich ziehen und etwas Neues in die Wege leiten. Und dafür brauchte er Lot zusammen mit seiner Familie. Lot war ein Teil des Lernens aus der Geschichte, des „So soll es nie wieder sein.“ Es war ein radikaler Neuanfang. Die Konsequenz war so konsequent, dass alles neu sein sollte.

Wer stets zurückblickt, blickt nicht nach vorne und wird auch deshalb nicht ankommen. Gott hat Lot aus Sodom und Gomorra gerettet, weil er wusste, dass die Erfahrung aus dem Ergehen dieser Stadt und dem damit verbundenen Wissen bei ihm ein Fundament geschaffen war, auf dem man Zukunft aufbauen konnte, ohne alte Fehler zu wiederholen.

Ostern ist ein auf gleiche Weise radikaler Neuanfang. Gott hat seinen eigenen Sohn geopfert, damit alle Menschen neu anfangen können und nicht nur eine Familie, die sich besonders gut geführt hat.

Also, Jesus sagt im Evangelium zu dem jungen Mann, dass die Toten ihre Toten begraben lassen solle, und er aber hingehen solle, das Reich Gottes zu verkündigen.

Es geht darum, das Vergangene, das Tote loszulassen, um sich dem Leben zuzuwenden, dem, was vor einem liegt, der Realität mit all ihren Erfordernissen, wie z.B. dem Reich Gottes.

So ist es auch mit uns, dem Kirchenvolk. Wir sind auch an so vielen Stellen im Alten verhaftet, hängen an der Vergangenheit, die wir gerne verklären und sehen dadurch nicht die Chancen des Neuen.

Und damit komme ich zum dritten Punkt. Doch zuerst lese ich den Predigttext aus dem ersten Brief des Petrus, Kapitel 1, die Verse 13 bis 21:

Darum umgürtet eure Lenden und stärkt euren Verstand, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch dargeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi. Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, in denen ihr früher in eurer Unwissenheit lebtet; sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel.

Denn es steht geschrieben (3.Mose 19,2): »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.« Und da ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet nach seinem Werk, so führt euer Leben in Gottesfurcht, solange ihr hier in der Fremde weilt; denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt war, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm die Herrlichkeit gegeben hat, sodass ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.

Wir können keine Kirche, keine Gemeinde bauen, wenn wir stets zurückblicken. In der alten Übersetzung beginnt der Text etwas anders:

„Umgürtet die Lenden eures Gemüts…“

Diese Formulierung gefällt mir besser. Es klingt ein wenig nach: „Nun reißt euch mal mit eurer Nostalgie endlich zusammen und betrachtet die Sache mal ganz nüchtern!“

Und dann erinnert der Text wieder ein wenig an die Epistel:

Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin,
in denen ihr früher in eurer Unwissenheit lebtet…

Macht also nicht noch einmal die alten Fehler. Ihr wisst doch, dass durch Euren Glauben an Jesus Christus alles möglich ist.

Ich weiß sehr wohl, dass Petrus das in einem etwas anderen Zusammenhang geschrieben und gesagt hat. Aber das Prinzip stimmt und gilt auch für uns. Und Petrus schrieb das an eine junge Gemeinde, die sich noch im Aufbau befand. Sie waren Christen in einer Welt, in der sie zu einer Minderheit gehörten. Das war immer eine Herausforderung zwischen Bekennen und möglichst nicht besonders auffallen, weil man ja auch sein normales, sein altes (?) Leben irgendwie weiterführen wollte. Wie geht man damit um, wenn man eine Minderheit ist?

Die Christen waren eine junge Gemeinde im Aufbau.

Gut, auch unsere Gemeinde ist eigentlich im Grunde genommen eine junge Gemeinde im Aufbau. Ja, ich weiß, dass unsere Kirche in diesem Jahr 106 Jahre alt wird. Aber, mal Hand aufs Herz. Was sind 106 Jahre? Das ist ein Menschenalter. Beim uns im LAFIM wohnt in einem unserer Potsdamer Seniorenzentren, eine Frau, die in diesem Jahr 109 Jahre alt wird. Sie ist also drei Jahre älter als unsere Kirche. Sie wurde ein Jahr vor der Grundsteinlegung unserer Königin-Luise-Gedächtniskirche geboren .

Was also ist jung? Und was – vor allem – sind die 106 Jahre angesichts einer mehr als zweitausendjährigen Geschichte des Christentums?

Und ich will noch eins draufsetzen: Ich bin im Moment noch halb so jung wie diese, unsere Kirche und Gemeinde.

Und wer jetzt fragt, warum Petrus immer wieder auf den Tod Jesu verweist, also auf ein vergangenes Geschehen, der hat nicht die Perspektive verstanden, weil Petrus nicht nach hinten in die Vergangenheit zurückschaut, sondern nach unten, auf das Fundament, auf dem unser Glaube, unsere Freiheit aufbaut.

Dieses Fundament ermöglicht Zukunft, weil es fest und unzerstörbar ist. Darum bietet es Halt für die Mauern, die darauf gebaut werden. Und diese Mauern sind wir. Jeder einzelne von uns, der auf diesem Fundament steht, ist ein Stein im Mauerwerk, das eine Kirche bildet. Und wenn ich jetzt bei diesem Bild bleibe, werden Sie verstehen, was das in seiner Konsequenz bedeutet.

Wenn jeder einzelne von uns ein Stein im Mauerwerk unserer Kirche, unserer Gemeinde ist, sind wir angesichts der Zahlen von Gemeindemitgliedern, die wir einmal 1912 hatten und auch später, und im Hinblick auf die Zahl der Pfarrer, die die Gemeinde einmal hatte und, was sie heute hat, wo wir mit Bruder Hansen einen hauptamtlichen und mit mir einen ehrenamtlichen Pfarrer haben und, wenn ich mir dann noch einmal all die anderen Hauptamtlichen anschaue, die einmal zum Stab einer solchen Gemeinde gehört haben, ist unsere Kirche, unsere Gemeinde im Grunde genommen nur noch eine Kirchenruine mit einer halbwegs intakten Sakristei.

Aber diese Ruine ist noch immer attraktiv und undzwar so attraktiv, dass hier auch junge Menschen mit ihren Kindern zum Gottesdienst kommen.

Das heißt, es gibt Zukunft, es gibt neue Steine, mit denen wir die Gemeinde aufbauen können. Wir haben also das Potenzial, Gemeinde neu zu bauen. Und manchmal muss man auch alte Mauern einreißen, um aus den alten und den neuen Steinen etwas zu bauen, das den Erfordernissen und einer überschaubaren Zukunft angemessen ist.

Was will ich mit all diesen Bildern eigentlich sagen oder habe ich mich am Ende gar vergaloppiert?

In allen drei Texten, die heute im Gottesdienst eine Rolle gespielt haben, ging es auch immer das Zurückblicken, das Verhaftetsein im Alten, im Vergangenen, das einen bindet und davon abhält, Zukunft zu wagen.

Unser Glaube aber, ist nach vorne auf das Reich Gottes ausgerichtet. Auch das wird in allen drei Texten deutlich.

Und deshalb wird unsere Kraft dafür gebraucht, diese Zukunft zu gestalten. Denn, auch das wird in allen drei Texten deutlich: Früher war nicht alles besser. Es war anders. Aber mit Ostern haben wir die Chance, alles besser zu machen. Und das können wir in der Passionszeit einüben. Naja, und der Wochenspruch gibt uns ja noch einen wichtigen Hinweis mit auf den Weg:

Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Lukas 9,62

Darauf kann ich nur mit einem kräftigen „Amen“ – so soll es sein, antworten.

Predigt am Sonntag Okuli, den 4. März 2018 in der Königin-Luise-Gedächtniskirche