Pfr. Martin Dubberke

Nie wieder nie wieder

Nach dem Attentat in Halle, bekam ich von der Zeitung, die ich lese eine E-Mail in deren Betreffzeile die Worte „Nie wieder ‚nie wieder‘“ standen. Meine Augen sahen auf diese Worte, mit denen die ganze Tragweite des Geschehenen deutlich wurde: „Nie wieder ‚nie wieder‘.“ Und mit diesen Worten im Sinn, las ich gestern Morgen in der täglichen Bibellese im Judasbrief, im ersten Kapitel die Verse 17 bis 19:

Ihr aber, meine Lieben, erinnert euch der Worte, die zuvor gesagt sind von den Aposteln unseres Herrn Jesus Christus, 18 da sie euch sagten: Zu der letzten Zeit werden Spötter sein, die nach ihren eigenen gottlosen Begierden leben. 19 Diese sind es, die Spaltungen hervorrufen, irdisch Gesinnte, die den Geist nicht haben.

Als ich diese Zeilen lese, frage ich mich, in welcher Zeit wir leben. Wir leben in einer Zeit der Spaltungen. Wir erleben, wie unsere Gesellschaft, ja wie unsere Welt gespalten wird von Menschen, die nach ihren eigenen Begierden leben, die nicht den Geist haben, von dem der Autor des Judas-Briefes schreibt. Und dann blicke ich noch einmal auf die ersten Verse des Briefes, auf die Verse drei und vier:

Ihr Lieben, da es mich drängt, euch zu schreiben von unser aller Heil, halte ich’s für nötig, euch in meinem Brief zu ermahnen, dass ihr für den Glauben kämpft, der ein für alle Mal den Heiligen anvertraut ist. 4 Denn es haben sich einige Menschen eingeschlichen, über die schon längst das Urteil geschrieben ist: Gottlose sind sie, verkehren die Gnade unseres Gottes ins Gegenteil, in Ausschweifung, und verleugnen unsern alleinigen Herrscher und Herrn Jesus Christus.

Und ich denke: Genau darum geht es heute auch. Wie brandaktuell sind diese Worte aus der Feder des Autors des Judas-Briefes, der zwischen 55 und 120 nach Christus entstanden ist.

Tja, und dann las ich – wieder im Rahmen der täglichen Bibellese – den Psalm 140, wo es im zwölften Vers heißt:

Ein böses Maul wird kein Glück haben auf Erden;
den Gewalttäter wird das Unglück jagen und stürzen.

Auf diese Weise sensibilisiert ging ich an die Vorbereitung meiner Predigt und las den Wochenspruch aus dem 1. Brief des Johannes:

Unser Glaube ist der Sieg,
der die Welt überwunden hat.
Johannes 5,4

Drei Substantive und ein Verb haben hier Leuchtschriftcharakter:

  • Glaube
  • Sieg
  • Welt
  • überwinden

Drei so starke Substantive mit so viel Raum für Assoziationen und Gedanken, dass ich mich erst einmal für den Moment sortieren muss.

Unser Glaube ist der Sieg,
der die Welt überwunden hat.
Johannes 5,4

Irgendwie klingt das schon ein wenig martialisch. Das klingt nach einem harten Ringen. Überwinden bedeutet ein Ringen bis an den Rand der Erschöpfung. Das klingt nach Aufbringen aller Kraftreserven. Das klingt nach dem Kampf am Jabbock.

Und irgendwie muss ich schon wieder an das Zitat von Bonhoeffer denken, das mir schon seit einer ganzen Weile nicht mehr aus dem Kopf gehen möchte:

Ein schwerer, verhängnisvoller Irrtum ist es, wenn man Religion mit Gefühlsduselei verwechselt. Religion ist Arbeit. Und vielleicht die schwerste und gewiss die heiligste Arbeit, die ein Mensch tun kann.
Dietrich Bonhoeffer (DBW 10, 484)

Aber es heißt ja „überwunden“ – „Unser Glaube ist der Sieg…

Unser Glaube!!! Spannend, sehr spannend. Mit einem Male stellt sich ein wenig Leichtigkeit bei mir ein, weil Glaube hört sich erst einmal nicht nach Kraftanstrengung an. Das klingt für mich nach einem leichten Sieg, quasi nach einem Heimspiel.

Ich sage einfach: Ich glaube an Gott! – Aus, das war’s. So einfach, so schmerzlos. Klasse!

Und schon habe ich die Welt überwunden. Ich bin Sieger. Hurra!

Ich fürchte, und Sie werden es geahnt haben, dass es so einfach nicht ist, nicht sein kann.

Und überhaupt: Was heißt hier Welt überwunden haben? An der kann man sich ja leicht verheben. Da muss ich ja nur die Zeitungsapp öffnen oder mir die Nachrichten anhören oder ansehen, um zu erfahren, wer sich gerade so alles verhoben hat.

Je länger ich so darüber nachdenke, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich vielleicht einer falschen Spur hinterhergegangen sein könnte? – Nein, das Furchtbare an uns Theologen ist ja, dass wir uns manchmal von Worten ablenken lassen und die Gedanken dann einfach freidrehen, weil so kleine Sätze ganze Romane erzählen können, Bilder auslösen können. Und doch sind sie am Ende wieder ganz einfach. Und wie einfach sie sind, kann man in diesem Fall erkennen, wenn sich mal den Kontext dieses Verses anschaut:

1 Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist aus Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der aus ihm geboren ist. 2 Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. 3 Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. 4 Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. 5 Wer ist es aber, der die Welt überwindet, wenn nicht, der da glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist?

Also, doch ganz einfach, auch wenn der erste Vers vielleicht ein wenig verwirrend klingt. Aber die Konsequenz lautet: Wenn wir das glauben, was da steht, dann sind wir einander Geschwister.

Und dann kommt so ein Satz, der so ein wenig klingt, wie „Wenn Du die Mama lieb hast, dann machst Du, was sie dir gesagt hat.“ – Ist aber nicht so. Hier werden keine Bedingungen gestellt, sondern diese Liebe ist eine ganz einfache logische Konsequenz aus allem und diese Liebe findet ihren Ausdruck darin, dass wir Gottes Gebote halten.

Und dann kommt die fantastische, ungeheuer Mut machende Feststellung: „und seine Gebote sind nicht schwer.“ Also, ist es doch ganz einfach, die Welt zu überwinden.

Im Prinzip ja: Wenn ich glaube, dass ich ein Kind Gottes bin, dass wir Gottes Kinder sind und ich Gottes Kinder liebe, dann erfülle ich schon die einfachen Gebote Gottes. Da klingt das „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ durch. Und genau in diesem Moment verändert sich etwas in der Welt. Meine Wahrnehmung dieser Welt und in dieser Welt ändert sich. Und weil ich mich deshalb anders verhalte, Menschen anders begegne, ihnen im Gespräch vielleicht eine ganz neue Perspektive eröffne, kann es passieren, dass der andere erkennt, dass auch er ein Kind Gottes ist.

Aus dem Glauben heraus, die Welt überwunden zu haben, bedeutet, diese Welt aus der Perspektive der Liebe und Freiheit wahrzunehmen. Und genau das bedeutet, dass ich in dieser Welt in letzter Konsequenz nicht auf die Unterdrückung von Menschen und Natur angewiesen bin, dass ich nicht auf Zwietracht angewiesen bin, dass ich nicht auf Manipulation angewiesen bin, dass ich nicht auf Gewalt angewiesen bin, dass ich nicht auf üble Nachrede angewiesen bin, dass ich nicht auf whatever first angewiesen bin, dass ich nicht auf Populismus angewiesen bin, dass ich auf so vieles nicht angewiesen bin.

Mein Glaube macht mich frei davon und gibt mir ganz andere Möglichkeiten in dieser Welt in die Hand.

All das bedeutet der kleine, einfache Satz:

Unser Glaube ist der Sieg,
der die Welt überwunden hat.
Johannes 5,4

Das bedeutet für uns, menschenverachtendes Reden und Tun nicht einfach hinzunehmen oder zu überhören, sondern aus unserem Glauben heraus zu widersprechen. Auch das meint Dietrich Bonhoeffer mit seinen Worten:

Religion ist Arbeit. Und vielleicht die schwerste und gewiss die heiligste Arbeit, die ein Mensch tun kann.
Dietrich Bonhoeffer (DBW 10, 484)

Es liegt also noch eine ganze Menge Arbeit vor uns.

In diesem Sinne: Amen.


Pfr. Martin Dubberke, Predigt am 17. Sonntag nach Trinitatis am 13. Oktober 2019 in der Heilandkirche in Oberau und der der Friedenskirche in Burgrain, Perikopenreihe I