Pfr. Martin Dubberke

Nach langer Suche hatten wir es endlich gefunden

Please forgive me! Please pray for me! Forgive me! Pray for me!

Bitte vergib mir! Bitte bete für mich! Vergib mir! Bete für mich!“ bat mich die junge Novizin, als ich das kleine Kloster verließ und sich ihre Hände von den meinen lösten. Ich stieg in den Wagen und noch einmal bat sie: „Forgive me! Pray for me! My name is Goshwina.“ Die Tür fiel ins Schloß und Katharina gab vorsichtig Gas, weil die kleine Straße in der transsylvanischen Abgeschiedenheit nicht besonders befestigt war. Goshwina hieß die kleine 19jährige Novizin, die sich nun ein wenig aus ihrer Demutshaltung aufrichtete um uns noch einen Moment länger nachwinken zu können.

Ich bin heute mit dem Auftrag hier, für Goshwina zu beten, für die kleine rumänische, schüchterne und unheimlich aufgeregte Novizin in einem kleinen rumänischen Frauenkloster, das fernab der Welt liegt und nur schwer zu finden ist.

Meine drei Kolleginnen und ich haben Goshwina vor einer guten Woche kennengelernt, als wir mit einem kleinen Auto durch die transsylvanische Landschaft gefahren sind und eines unserer Ziele auch dieses Frauenkloster gewesen ist.

Nach langer Suche hatten wir es endlich gefunden. Ein kleines Kloster, das so ganz anders ist, als unsere prächtigen Abteien. Keine barocke Pracht, keine gotischen Bögen, keine Mönchsromantik, sondern das harte Gott gewidmete Leben. Zwei kleine Häuser. In einem schlafen die Nonnen in kleinen unbeheizbaren Zellen, die kaum so groß sind, daß die beiden Betten und eine kleine Kommode hineinpassen, in dem anderen ist der Wirtschaftstrakt, die Küche der Speiseraum. Dann gibt es noch zwei Kirchen, zwei kleine Kirchen. In die eine gelangt man über eine Treppe und muß sich tief bücken um in das prächtige Innere zu kommen.


Kloster Casiel, Rumänien

Wir, drei Frauen und ein Mann bringen eine Menge Aufregung in den Tag der knapp zwanzig Nonnen, die dort leben und auf dem Feld arbeiten, denn wir kommen nicht einfach so vorbei, sondern wir kommen, während es 12 Uhr läutet. Das Angelus-Läuten. Eine Kollegin fragt, ob wir es das Mittagsläuten sei, und wir sie stören würden und die kleine Novizin, die man schnell gerufen hatte, obwohl sie krank war, aber als einzige Englisch konnte, antwortete: „Es ist nicht das Essenläuten, sondern es erinnert uns daran, daß immer um 12.00 Uhr die Engel des Herrn auf die Erde kommen, um zu schauen, ob wir auch gut arbeiten. Und wenn sie geschaut haben, dann fahren sie wieder gen Himmel auf und berichten dem Herrn. So sind sie heute unsere Engel.“

Wir waren also heute die Engel, die sehen sollten, ob ihre Arbeit gut sei. Sie zeigt uns die erste Kirche. Und mir fallen sofort die beiden Priester-Gemälde neben dem Eingang auf. Sie sind anders als unsere Priesterbilder, schon allein, weil die Gewänder farbenprächtiger sind. Aber es ist nicht das, was mir so an ihnen auffällt. Sie zeigen Männer, die wissen, welche Macht sie haben, und wie sehr sie aus allem hervorgehoben sind. Auf dem Weg zur kleineren und sehr viel älteren Kirche, eigentlich nur einem kleinen Gebetsraum, zeigt sie uns den kleinen Friedhof. Holzkreuze ohne Namen, Gräber ohne Blumen und am Haupt des kleinen Friedhofs ein prächtiges, eingezäuntes Grab mit vielen Blumen, mit Stein und Namen und langer Inschrift. Das Grab des Priesters.

Sofort nimmt die kleine Novizin alles vom Grab, das welk ist und den Stein verdeckt. Und ich denke: „Frauen Gottes bleiben hier ohne Namen.“

In der Mitte des großen Grundstückes ist eine große Baustelle. Dort entsteht eine neue Kirche und um die neue Kirche herum werden kleine Gästezimmer gebaut. Vor einem Jahr stand da noch eine ganz alte und prächtige Holzkirche, aber die ist leider niedergebrannt. Heute sind Bauleute da und arbeiten, aber das ist nicht immer so.

Wir fragen, wer einen solchen Neubau finanziert, ob es der Staat oder die Kirche sei. Und sie sagt: „Nein, wir bekommen das Geld von den Menschen. Sie spenden uns und wenn Geld da ist, bauen wir weiter und wenn keines da ist, dann warten wir, bis wir wieder Geld haben.“

In Rumänien ist eben alles anders als in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.

Die Nonnen laden uns zum Essen ein und nachdem ich das VATERUNSER gesprochen habe, wird das Essen gebracht. Zuerst gibt es eine Suppe mit Fischklößen und dann gibt es für jeden zwei Spiegeleier und Essiggurken. Natürlich gibt es auch jede Menge Brot, wie es dort üblich ist. Sie haben uns das gegeben, was auch sie essen.

Sie stehen morgens um sechs auf, gehen in die Kirche und danach bis neun Uhr zu Arbeit, um dann zu frühstücken. Dann arbeiten sie wieder bis 13.00 Uhr, essen Mittag und ruhen sich bis etwa drei Uhr aus, um dann wieder bis zum Abend aufs Feld zu gehen. Und Feldarbeit ist nicht wie bei uns Maschinenarbeit, sondern Handarbeit mit der Hacke.

Goshwina ist seit einem Jahr im Kloster und sie hat noch neun Jahre vor sich, bis ein Priester darüber entscheidet, ob sie Nonne werden darf. Es entscheiden nicht die Frauen, die mit ihr zusammen leben und arbeiten, sondern ein Mann.

Meine drei Kolleginnen und ich beraten leise miteinander, wieviel wir spenden wollen, was hier angemessen ist. Nur Katharina kennt sich aus, weil sie ständig in Rumänien zu tun hat. Wir einigen uns auf fünfzig Mark für den Kirchbau. Fünfzig sind knapp eine halbe Million Lei. Ein viertel Monatslohn, denn ein Durchschnittsgehalt beträgt in Rumänien 2 Mio Lei, also rund 200,00 DM. So kann mit unserer Spende ein gutes Stück weiter gebaut werden. Goshwina bedankt sich und fragt nach unseren Namen, damit der Priester für uns beten kann. Goshwina ist ganz hektisch und aufgeregt, weil es etwas besonderes ist. Sie als Novizin nimmt eine solche Spende entgegen. Ich versuche sie ein wenig zu beruhigen. Es kommt nun raus, was ich wirklich bin. Ein Theologe.

Wir verabschieden uns und sie drückt jeder Kollegin die Hand und wünscht ihnen den Segen Gottes. Bei mir verneigt sie sich, hält meine Hände und küßt sie.

Ich bin peinlich berührt. Nur weil ein Theologe bin, küßt sie meine Hände. Aber ich bin nicht nur peinlich berührt und verärgert über den orthodoxen Patriachalismus, der mich keine Freiheit empfinden läßt, sondern ich bin auch beeindruckt von dieser kleinen 19jährigen Frau, die mit 18 Jahren eine lebenslange Entscheidung getroffen hat. Ich bin beeindruckt von ihrem Glauben, einem Glauben, wie er mir nur selten begegnet.

Sie bittet mich: „Forgive me!“ Ich frage sie: „Why?“ Warum, wofür? Und so stehe ich nun mit ihr vor dem Tor des Klosters und versuche noch immer, sie zu beruhigen. Kurz vorher hatte sie noch gefragt, was wir in Rumänien machen und wir erzählten, daß wir Referenten auf dem ersten rumänischen Kongreß zum Thema Mißbrauch und Täterarbeit seien, woraufhin sie erzählte, daß heute nacht eine Frau bei ihnen Zuflucht gesucht hätte, die von ihrem Mann fast totgeschlagen worden wäre. Sie hat aber kurz bevor gekommen seien, das Kloster wieder verlassen. Und dann sagt Goshwina: „Ihr könnt so viel mehr tun als wir es für diese Menschen tun können. Wir können nur beten.“ „Wir können nur beten.“ – Der einzige kleine kritische Unterton, den ich von ihr gehört habe. Und ich sage: „Das ist so viel. Beten ist soviel mehr, als wir manchmal mit unserer Arbeit leisten können. Beten ist wichtig und so hat jeder den Auftrag, den er mit seinen Gaben erfüllen kann. Und Euer Auftrag ist Beten.“

Unsere Hände lösen sich voneinander und ich spreche noch einen kurzen Segen, bevor wir uns trennen.

Als ich in das Auto stieg, wußte ich, daß ich gerade meine Predigt für heute erlebt habe und, daß egal welcher Text auch immer auf dem Predigtplan stünde, es der richtige sei:

Am letzten Tage des Festes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten, denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht. (Johannes 7, 37-39).

Goshwina hatte diesen Geist empfangen, aber sie muß noch lernen, daß die damit verbundene Kraft auch in ihr und ihren Gebeten innewohnt. Etwas, das auch wir noch vielerorts getrost lernen und erfahren dürfen.

Amen.

Predigt am Sonntag Exaudi 2000
 
3. Juni 2000 – Sonntag Exaudi
Evangelische Silasgemeinde zu Berlin-Schöneberg
Text: Johannes 7, 37-39 (Reihe IV)