16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?
18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.
19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? 20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden. 21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. 22 Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. 23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.
Johannes 16,16-23a
Liebe Geschwister,
ich weiß nicht, wie es Euch nach diesem Text geht? Das klingt doch alles ziemlich verwirrend nach weder hüh noch hott. Und ich glaube, dass den Jüngern in dieser Situation mehr als nur ein Frage-zeichen im Gesicht steht. Ich kenne solche Situationen, wenn mich meine Frau anschaut und mich fragt, was ich eigentlich sagen wollte.
Was will uns Jesus hier eigentlich erzählen? Er sitzt mit seinen Jüngern zusammen und redet scheinbar wirr. Also, dass es eine Weile dauern wird, bis man sich nicht mehr sehen wird und dann wieder einer Weile, bis man sich sehen wird. Ja, was denn nun? – Gut, aus heutiger – also nachösterlicher – Sicht können wir das ja nachvollziehen, weil wir um die Kreuzigung und die Auferstehung wissen. Jesus weiß auch schon mehr als seine Jünger und aus seiner Sicht ist das, was er sagt, eindeutig. Aber er merkt am Verhalten seiner Jünger, dass ihnen nicht so klar ist, was er meint. Es klingt ja auch alles verklausuliert. Und dann versucht er ihnen die Verunsicherung zu nehmen, indem er zu ihnen sagt:
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
Ihr werdet weinen und klagen,
aber die Welt wird sich freuen;
ihr werdet traurig sein,
doch eure Traurigkeit
soll zu Freude werden.
Ich weiß nicht, ob die Jünger dann klarer gesehen haben, was Jesus eigentlich will. Für uns liegt es auf der Hand. Die Jünger werden weinen, weil Jesus am Kreuz ermordet wurde und das Volk freut sich darüber, dass Jesus hingerichtet wurde. Wir erinnern uns noch an die Rufe, wie das Volk von Pilatus die Kreuzigung Jesu gefordert hat. All das hat die Traurigkeit seiner Jünger nur noch vergrößert. Sie standen regelrecht vor einem Scherbenhaufen ihres Lebens. Alles, worauf sie sich eingelassen hat-ten, war mit einem Fragezeichen versehen. Hatte es sich gelohnt, seinen seine Familie, seinen Job, sein altes Leben hinter sich zu lassen, die ganze Existenz, die man sich aufgebaut hatte, um diesem Mann zu folgen, der von sich sagte, dass er und der Vater im Himmel eins seien?
Es ging hier um sinn-existenzielle Fragen. Alles, woran man geglaubt hatte, wofür man die letzten Jahre gearbeitet hatte, was man erlebt hatte, all die Wunder, die Heilungen, all das Großartige, alles, was Jesus ihnen beigebracht hatte, war im Moment der Kreuzigung in Frage gestellt. Die Angst vor der eigenen Verfolgung, dem eigenen qualvollen Tod, hatte sogar einen Mann wie Petrus, den Felsen Jesu, dazu gebracht, Jesus Christus zu verleugnen.
Wie sieht das eigentlich mit uns aus? Haben wir auch schon aus Angst unseren Glauben verleugnet? All das sind Fragen, die hier mitschwingen.
Doch dann soll aus dieser Traurigkeit mit einem Male wieder Freude werden. Ja, wir wissen, dass Jesus auf damit Recht hatte. Schließlich ist er drei Tage nach seiner brutalen Kreuzigung wieder auf-erstanden und den Jüngern erschienen. Erinnert Euch nur daran, wie es den Emmaus-Jüngern erging, die vollkommen deprimiert, desillusioniert und all ihrer Hoffnung beraubt, wieder den Weg in ihr altes Leben nach Emmaus zurückgingen. Als sie zu Hause beim Essen merkten, dass dieser Mann, der sie begleitet hatte, Jesus Christus selbst war. Erinnert Euch an diese Freude. Die beiden Männer waren in diesem Moment wieder in das Leben zu-rückgekehrt. Sie hatten emotional und intellektuell verstanden, dass das Leben weitergeht und Jesus auch in Zukunft eine prägende Rolle in ihrem Leben spüren wird.
Oder denkt daran, wie Jesus einfach durch die geschlossene Haustür zu den Jüngern kam und sie mehrfach besuchte. Erinnert Ihr Euch an die Erleichterung bei den Jüngern, ihre Freude? Nur einer war skeptisch: Thomas. Aber auch das war ok. Das gehört dazu. Nicht jeder ist sofort überzeugt. Und ganz ehrlich: Wer von uns hätte nicht auch gerne die Wundmale Jesu gesehen und berührt, um das Unglaubliche zu glauben?
Aber all das wussten die Jünger nicht, als Jesus ihnen erzählte, dass es noch eine Weile dauern würde, bis sie ihn nicht mehr sähen und dann wiedersehen würden, dass sie traurig sein würden und sich dann wieder freuen würden.
Jesus spürte, dass seine Jünger auch mit dieser Antwort, noch nicht zufrieden sein würden. Also nimmt er das Beispiel einer schwangeren Frau, die schmerzhafte Wähen hat, wenn es auf die Geburt zugeht, doch unendlich fröhlich ist, wenn das Kind auf die Welt gekommen ist und an ihrer Brust liegt. Und dann wiederholt er sich noch einmal und sagt:
22 Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
Ich weiß nicht, ob den Jüngern danach klar war, worauf Jesus hinauswollte. Aber er versprach ihnen, dass sie sich wiedersehen würden und sich dann die Herzen der Jünger freuen würden und ihnen niemand mehr diese Freude nehmen könne. Manchmal ist es schwierig zu glauben, dass es wieder Freude im Leben geben könnte.
In dieser Woche habe ich wieder erlebt, wie Menschen von anderen Menschen Abschied genommen haben und von ihrer Trauer um den Verlust immer wieder überwältigt wurden. Ich habe erlebt, wie jemand um seine Schwiegertochter trauert, die nach der Diagnose innerhalb von gut zwei Monaten gestorben ist. Ein Mann, der nun nicht mehr weiß, wie es weitergeht. Ich habe im Klinikum am Bett einer Frau gesessen, deren Kind zu früh gekommen ist und die Mutter selbst nur durch die Kunst der Ärzte überlebt hatte. Junge Eltern, die damit konfrontiert sind, dass das Kind wahrscheinlich nicht überleben wird oder sein Leben lang behindert sein wird. All das sind Momente, in denen man glaubt, dass da nie wieder Freude aufkommen kann.
Und zugleich habe ich erlebt, wie sich in den Menschen etwas verändert, wenn ich sie seelsorgerlich begleite, wenn ich ihnen aus meinem Glauben heraus begegne, in dem ich selbst Trost in dunklen Stunden gefunden habe, weil mich mein Glauben getragen hat und ich mich ganz in Gottes Hand begeben habe, weil ich gespürt habe, dass es keine andere Möglichkeit gibt.
Jesus sagt schließlich zu seinen Jüngern:
23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.
Und warum, werden sie ihn an jenem Tage nichts fragen? – Weil dann alles offensichtlich sein wird.
Auch wenn für die Jünger an jenem Tag vielleicht nicht alles, was Jesus zu ihnen gesagt hat, so richtig nachvollziehbar gewesen ist, hat er Ihnen immer wieder gesagt, dass die Traurigkeit der Freude weichen wird.
Er sagt ihnen ganz klar und deutlich, dass sie der Traurigkeit nicht ausweichen können. Die Traurigkeit gehört zum Leben dazu. Und so wie es für die Jünger unvermeidlich ist, die Traurigkeit auszuhalten, so ist es auch für uns heute nicht anders. Aber Jesus hat ihnen auch den Mut und die Kraft zugesprochen, diese Traurigkeit aushalten zu können, weil sie sich wiedersehen werden.
Und ich glaube, dass das etwas ganz Wichtiges ist, was wir aus dieser Episode lernen können. Unser Glaube ist keine Garantie für immerwährende Fröhlichkeit und Leichtigkeit, sondern das starke Fundament dafür, das Leben mit seinen Höhen und Tiefen, mit seinen Traurigkeiten und seiner Freude leben zu können, zu wissen, dass es da jemanden gibt, der mich unsichtbar hält. Das gibt in hoffnungslos erscheinenden Situationen unseres Lebens Hoffnung, also Mut, Kraft und Zuversicht.
Wenn das nicht genug Grund ist, Gott zu loben, dann weiß ich es auch nicht.
Lobet, ihr Völker, unsern Gott,
lasst seinen Ruhm weit erschallen,
der unsere Seelen am Leben erhält
und lässt unsere Füße nicht gleiten.
Psalm 66, 8-9
Amen.
Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am Sonntag Jubilate, 30. April 2023 über Johannes 16,16-23a, Perikopenreihe V in der Johanneskirche zu Partenkirchen
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