Heute Morgen lässt mich der Lehrtext aus dem ersten Brief an die Thessalonicher, Kapitel drei, Vers zwölf innehalten:
Euch lasse der Herr wachsen und immer reicher werden in der Liebe untereinander und zu jedermann. 1. Thessalonicher 3, 12
Die Judika-Woche, die morgen zu Ende geht, hat meinen Blick auf diesen Vers verändert. Ich habe die Liebe untereinander und zu jedermann vorher nicht unter dem Aspekt des Rechts betrachtet.
Du meinst, das wäre naiv von mir gewesen, ausgerechnet bei der Liebe nicht ans Recht zu denken? Da stellt sich doch die Frage, welche Vorstellungen von Recht wir beide haben?
Natürlich kann bei der Liebe, vor allem wenn sie vorbei ist oder in die Brüche geht, das Recht eine große Rolle spielen, wenn es darum geht, wer Recht hat, wer Recht bekommt. Du merkst schon, dass das etwas anderes ist, als ich es meinen könnte.
Aus meiner Sicht verhilft die Liebe dem Recht zu seinem Recht.
Ja, du hast mich vollkommen richtig verstanden. In letzter Konsequenz macht die Liebe sogar das Recht überflüssig.
Du meinst, ich würde jetzt jeden Sinn für die Realität des Lebens verlieren? Nein, mach Dir mal da keine Sorgen. Ich bin kein durchgeknallter, frommer Romantiker, aber ich denke nur das, was Paulus an die Thessalonicher geschrieben hat, in seiner Konsequenz zu Ende.
Wie, Du verstehst mich nicht?
Gut, lass es mich so versuchen: Wenn das so eintritt, was Paulus seinen Thessalonichern einem Segen ähnlich wünscht, dass die Liebe untereinander und zu jedermann immer reicher werde, dann gibt es eine andere Grundlage, auf der ich meinem Nächsten begegne. Ich begegne ihm dann mit Wertschätzung, egal ob er mein Bruder oder meine Schwester im Glauben ist oder eben jedermann. Das verändert meine Kommunikation. Das verändert in seiner letzten Konsequenz einfach alles zwischen mir und dem anderen. Wir finden dann eine Ebene, auf der wir Unstimmigkeiten untereinander regeln können.
Ich soll weiter träumen? Ja, da gebe ich dir aus vollem Herzen Recht. Von so einer Welt träume ich gerne weiter. Ich bin Realist genug, zu wissen, dass das eine schöne Vision ist, aber ohne Visionen gibt es keine Perspektiven, keine Ziele, auf die man zuleben oder hinwirken kann. Das sehe ich nicht anders als Paulus. Er hat ja nicht gesagt, dass es so ist, sondern dass es so werden möge. Aber Du erinnerst Dich noch an die Bitte des Psalmbeters, der Gott darum bittet, ihm zu seinem Recht zu verhelfen? Die Liebe ist der Weg, mit dem uns Gott zu unserem Recht untereinander verhilft.
Ich hab’s gesehen. Du lächelst. Du hast mich verstanden. Aber weißt du, was noch in dem Wunsch von Paulus steckt? Er sagt: „Euch lasse der HERR wachsen.“ Die Gemeinde, die Gemeinschaft der Christen möge wachsen. Und die Gemeinde wächst in dem Maße, je reicher sie in der Liebe untereinander und zu jedermann werden. Das bedeutet, je liebevoller und glaubhafter sie als Christen leben – und das nicht nicht nur unter ihresgleichen, sondern gegen jedermann – desto mehr Menschen werden sich der Gemeinde anschließen, weil sie davon begeistert sind, welche Folgen die Liebe untereinander und zu jedermann haben kann.
Genau, du sagst es: Die Liebe schafft Recht.
Passionsnotiz Nr. 38 vom 7. April 2017