Liebe Geschwister, könnt Ihr Euch noch an das erste Lied heute Morgen erinnern?
Komm, Heilger Geist,
mit deiner Kraft,
die uns verbindet
und Leben schafft.
Ich liebe dieses Lied. Doch beim Refrain habe ich immer wieder das innere Bild eine Beschwörungstanzes, als tanzten wir gemeinsam um ein Lagefeuer oder den Altar. So als wollten wir den Heiligen Geist beschwören. Und wir singen dieses Lied ja auch immer mit einer gewissen Inbrunst. Ich stelle mir einfach mal vor, da kommt jemand, der so gar nichts mit Gott am Hut hat, gerade an unserer Kirche vorbei, sieht die Fahne draußen am Turm und denkt neugierig: „Ach, schau da mal rein!“ Und er betritt genau während des Refrains unsere Johanneskirche. Was würde er wohl bei all der Inbrunst denken? Wäre er fasziniert und würde sich unauffällig in die letzte Reihe setzen oder er denken: „Wo bin ich hier gelandet?“
Komm, Heilger Geist,
mit deiner Kraft,
die uns verbindet
und Leben schafft.
In diesen wenigen Zeilen klingt unsere ganze Sehnsucht nach Leben, nach Frieden, nach einander Verstehen mit. Wir haben Sehnsucht nach dem Heiligen Geist in unserer Welt. Und ich glaube, dass wir manchmal auch ein wenig neidisch auf jene Menschen in Jerusalem sind, die das Pfingstwunder am eigenen Leibe erleben durften. Es muss ein großartiges Gefühl gewesen sein, mit einem Male einander zu verstehen, und zwar ohne Google Translator oder Künstliche Intelligenz, sondern einfach nur durch die Gabe des Heiligen Geistes.
Und dennoch erleben wir auch heute noch, dass der Heilige Geist mitten im Raum, mitten unter uns ist. Ich habe es erst in dieser Woche erleben dürfen, als ich am Mittwoch ein Kind im Klinikum getauft habe. Es war eine ganz besondere Taufe und auch ein ganz besonderes Kind. Die Geburt war leider nicht so gelaufen, wie sich das alle Eltern wünschen. Es gab Komplikationen, die die Mutter fast das Leben gekostet hätten und das Kind ist durch eine Unterversorgung schwerst gehandicapt. Ich begleite diese Familie seit der Geburt vor vier Wochen und die Eltern hatten sich die Taufe ihres Kindes gewünscht. Die Taufe konnte natürlich nicht in der Kirche oder der Kapelle des Krankenhauses stattfinden. Ich taufte also auf der Intensivstation, dieses süße kleine Würmchen. Ein Kind, dass so zart und zerbrechlich ist.
Es war alles anders, als wir es gewohnt sind. Die Eltern, die Schwester des Kindes, die Großeltern und Geschwister und die Kinderkrankenschwestern waren alle in dem kleinen Zimmer, in dem es keine Fenster gab, zusammengekommen. Die Eltern und die Krankenschwestern hatten alles vorbereitet. Ich hatte eine Jakobsmuschel als Taufbecken mitgebracht, in die ich die zentrale Botschaft des Taufverses geschrieben habe:
…, dass ich wunderbar gemacht bin.
Psalm 139, 14a
In dieser Muschel, die der Großvater hielt, goss ich das Taufwasser und taufte den kleinen Jungen auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und es war in diesem Moment zu spüren, dass der Heilige Geist im Raum war. Nie zuvor habe ich das bei einer Taufe so sehr gespürt, wie in diesem Moment. Und es war zu spüren, dass es allen anderen in diesem Moment nicht anders erging.
Ich kann Euch diese Geschichte erzählen und Ihr wisst sofort, was ich damit meine, und vielleicht spürt auch Ihr, obwohl Ihr alle nicht dabei gewesen seid, allein durch mein Erzählen, auch die Gegenwart des Heiligen Geistes.
Und warum ist das so? Weil wir – wie Paulus an seine Korinther schreibt – keine natürlichen Menschen sind, sondern solche, die den Geist aus Gott empfangen haben.
Ich glaube, dass das auch heute noch einen großen Unterschied macht. Wenn ich einem Menschen, der so gar nicht an Gott glaubt, der damit absolut nichts am Hut hat, weil er – wie Paulus schreibt – den Geist der Welt empfangen hat, diese Geschichte erzählen würde, würde sie sich ihm wohl nicht zur Gänze erschließen. Vielleicht würde er mich auch für einen emotionalen und religiösen Spinner halten.
Aber genau das ist die Herausforderung, vor die wir gestellt sind. Es darf uns nicht davon abhalten, von unseren Begegnungen mit dem Heiligen Geist zu erzählen. Und ich bin mir sicher, dass jede und jeder von uns solche Momente wie den kennt, von dem ich gerade erzählt habe. Und diese Begegnung macht etwas mit uns. Sie berührt uns und sie schafft mit einem Male eine Verbindung zwischen den Menschen in diesem Raum und dem Heiligen Geist.
Komm, Heilger Geist,
mit deiner Kraft,
die uns verbindet
und Leben schafft.
Der Heilige Geist kommt. Der Heilige Geist ist da. Und damit wir das nicht vergessen, feiern wir Pfingsten. Fünfzig Tage nach der Auferstehung Jesu Christi ereignete sich das Pfingstwunder in Jerusalem. Die ersten Christinnen und Christen hatten eine emotionale, eine psychische Berg- und Talfahrt hinter sich. Erst wurde Jesus gekreuzigt und begraben. Dann ist er auferstanden und war mit einem Male wieder unter seinen Jüngern, um dann in den Himmel aufzufahren. Und schon wieder waren die Jünger alleine. – Nein, korrekt formuliert, muss es heißen: Fühlten sie sich alleine. Es war ein Moment entstanden, in dem keiner so recht wusste, wie es weitergehen würde. Und immer, wenn wir nicht wissen, wie es weitergehen wird, kommt die große Überraschung. So auch hier, die Ausgießung des Heiligen Geistes. Und schon damals, dachten manche Menschen, wir seien Gaga oder eben besoffen, so dass Petrus erklären musste, was da gerade geschehen ist.
Was verändert sich aber, wenn mir bewusst wird, dass ich den Geist aus Gott empfangen habe?
Paulus sagt, dass ich dann weiß, was uns von Gott geschenkt ist. Das ist ein ganz wichtiger Moment, weil ich deutlich bewusster und aufmerksamer lebe, wenn ich es nicht einfach für gegeben hinnehme, sondern alles in meinem Leben für ein Geschenk Gottes halte.
Gut, nicht jedes Geschenk, dass wir bekommen, löst immer Freude aus. Also, wenn mir jemand einen Gutschein für ein Sportstudio schenken würde, würde ich auch nicht vor Freude in Luft springen. Aber mit diesem Geschenk wäre eine Herausforderung verbunden. Manches Geschenk ist eben auch eine Aufgabe, vor die uns Gott stellt, eine Herausforderung.
Und was bedeutet es, wenn ich die Dinge – wie Paulus schreibt – geistlich beurteile?
Ich schaue mir alles in meinem Leben aus der Perspektive meines Glaubens an, und der beginnt bekanntlich damit, dass Heilige Geist in mir Raum nimmt. Und dann erkenne ich, was zu tun ist. Dann erkenne ich, dass es Krieg und Unfrieden gibt, weil die Menschen nicht die verbindende Kraft des Heiligen Geistes kennen oder gar vergessen haben, was das ist oder sie sogar leugnen.
Und manche scheinen auch den Mut verloren zu haben, so wie es damals war, als sich eine verängstigte, enttäuschte, kleine Gruppe, die sich mal wieder von Jesus verlassen gefühlt hat, kurz vor dem Auseinandergehen befand. Plötzlich geschah Pfingsten. Plötzlich wurde der Heilige Geist ausgegossen. Plötzlich entstand eine Kirche.
Ich glaube, dass wir heute in Vielem dieser kleinen verängstigten und enttäuschten Gruppe näher sind, als wir manchmal denken. Wir sind doch heute auch verschreckt über die Meldungen aus der Welt, über die Nachrichten aus unserer Kirche, die wir gerade erst wieder in der Zeitung lesen durften, dass wir wieder weniger Menschen geworden sind, die noch in der Kirche sind, dass es wieder weniger Geld gibt, wir weniger Pfarrerinnen und Pfarrer sein werden – das bekommen wir auch in unserer Gemeinde deutlich zu spüren -, dass es immer weniger Personal geben wird, wir sogar in Zukunft Kirchen schließen müssen. Wir haben das alles in diesen Tagen in der Zeitung schwarz auf weiß lesen können. Und leider stimmt es auch, was da berichtet wurde.
Davon dürfen wir uns aber nicht entmutigen lassen. Das darf uns nicht deprimieren. Das darf uns nicht lähmen oder resignieren lassen. Ganz im Gegenteil. Wir haben nämlich nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns Gott geschenkt hat. Also lasst uns diese großartige Herausforderung annehmen und zeigen, dass unsere Kirche noch immer lebt und immer leben wird. Lasst uns den Heiligen Geist feiern und ihn immer und immer wieder rufen:
Komm, Heilger Geist,
mit deiner Kraft,
die uns verbindet
und Leben schafft.
Amen.
Pfarrer Martin Dubberke, Predigt über 1. Korinther 2,2-17, Perikopenreihe V, am Pfingstsonntag 2023, 28. Mai 2023 in der Christuskirche zu Garmisch und der Johanneskirche zu Partenkirchen
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