Pfr. Martin Dubberke

Gott zuerst

Manchmal, wenn ich eine Predigt oder eine Andacht vorbereite, habe ich die Befürchtung, zu langweilen, weil ich mich im Prinzip immer und immer wieder wiederhole. Es läuft immer wieder auf die gleichen Begriffe, die gleichen Fragen, die gleichen Themen, die gleichen Verse hinaus. Nehmen wir nur mal die Losung von heute aus Jesaja 60 Vers 18:

Man soll nicht mehr von Frevel hören in deinem Lande noch von Schaden oder Verderben in deinen Grenzen, sondern deine Mauern sollen »Heil« und deine Tore »Lob« heißen.

Dieser Vers stammt aus dem sogenannten Tritojesaja. Keine Bange, Sie müssen jetzt nicht den Namen eines neuen Propheten lernen. 1892 hat der Alttestamentler Bernhard Duhm entdeckt, dass das Jesaja-Buch aus drei Schichten besteht, dem Protojesaja, Deuterojesaja und dem Tritojesaja. Zu gut Deutsch erster, zweiter und dritter Jesaja. Und jeder dieser drei Jesaja-Abschnitte hat ein eigenes Thema, einen besonderen Schwerpunkt.
Und beim dritten Jesaja, aus dem die Losung stammt, steht das Thema Heil im Vordergrund. Das war das, was die Menschen um 520 vor Christus bewegt hat. In diese Zeit fällt die Rückkehr eines Teils der Judäer aus dem Babylonischen Exil und auch der Neubau des Tempels in Jerusalem. Es war eine spannende Zeit, in der man nicht genau wusste, wie alles weitergehen würde.

Allein die Rückkehr eines Teils der Judäer ließ auf das Heil hoffen – das Happy End der Geschichte des Exils – und Jesaja sagt auch, dass das Heil sicher sei, wobei er eine Einschränkung vornimmt und sagt, unter welcher Voraussetzung das Heil kommen wird. Während die beiden Propheten Haggai und Sacharja sagen, dass der Neubau des Tempels die Voraussetzung für das Heil ist, sagt Jesaja: Nur, wenn Ihr Euch entsprechend verhaltet wird das Heil kommen. Nur, wenn vor allem die da oben aufhören, das Volk politisch und ökonomisch in den Schwitzkasten zu nehmen, kann das Heil kommen. Was nützt ein Tempel, in dem Gott wohnen soll, wenn er nur ein gesellschaftliches Statussymbol mit Alibiwirkung ist? Daher sagt Jesaja, dass es um das rechte Handeln geht. Nur, wenn recht gehandelt wird, wird das Heil auch kommen. Nur das rechte Handeln macht dem Unrecht ein Ende.

Doch was ist das rechte Handeln? Da gibt es viele Menschen, die glauben, recht zu handeln. Wir leben wieder in einer Zeit, in der es viele Rechthaber gibt, die glauben, den rechten Weg gefunden zu haben. Da gibt es viele Menschen, die von einer Gott gewollten Ordnung sprechen, aber was ganz anderes meinen. Da gibt es die Menschen, die sagen, dass man doch die Kirche im Dorf lassen solle. Doch was nützt die Kirche im Dorf, wenn die Menschen nicht mehr wirklich wissen, was das wirklich rechte Handeln ist, das zum Heil führt?

Und damit bin ich wieder bei dem Jesaja, der in Abgrenzung zu seinen Kollegen Haggai und Sacharja sagt, dass es in erster Linie um das Handeln und nicht um einen schönen Tempel geht, der am Ende eher zu einem Symbol der Gottesferne als der Gottesnähe wird.

Wir Menschen werden durch unser rechtes Handeln zu einem Tempel, in dem Gott wohnt. Sie erinnern sich, dass ich am Anfang meine Sorge ausgesprochen habe, zu langweilen, aber ich lande hier wieder bei dem Klassiker:

Jesus aber sprach zu ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. (Matthäus 22, 37-40)

Eigentlich sollte meine Sorge aber unbegründet sein und in Hoffnung umschlagen, weil es so wenig ist, das ich beherzigen muss, damit das Heil in diese Welt kommt.

Wenn ich das weiß, muss ich keine Angst für dem Fremden haben, weil der Fremde nicht fremd ist, sondern auf die gleiche Weise von Gott geschaffen ist wie ich.

All diejenigen, die mit Angst um Stimmen buhlen, die mit Egoismus um Stimmen buhlen, die mit Ausgrenzung um Stimmen buhlen und am Ende diejenigen verachten und geringschätzen, die dieses Gebot ernstgenommen haben und ernst nehmen und damit auch das Risiko der Liebe auf sich nehmen, nämlich auch enttäuscht zu werden, die begehen den Frevel, von dem Jesaja spricht:

Man soll nicht mehr von Frevel hören in deinem Lande noch von Schaden oder Verderben in deinen Grenzen, sondern deine Mauern sollen »Heil« und deine Tore »Lob« heißen.
Jesaja 60,18

Was nützt mir der Tempel, wenn ich ihn hineingehe und dann wieder aus ihm herauskomme und nicht seine Macht und Ordnung akzeptiere und danach lebe? Was nützt mir der Tempel, wenn ich wie ein trotziges Kind auf Durchzug stelle und sage: Lass den Alten mal reden!

Jesaja findet starke Bilder: Deine Mauern sollen „Heil“ und deine Tore „Lob“ heißen. Wenn meine Mauern aus Liebe bestehen, dann verändert das die Welt, weil ich nicht ausgrenze. Und wenn meine Liebe die Tore öffnet, so wie ich mein Herz für den anderen öffne, dann geschieht das zum Lob Gottes.
Ja, die Frage ist vollkommen richtig: Was ist mit den Menschen, die andere Menschen töten, die als Terroristen in unser Land kommen? Für die gilt das gleiche wie für alle anderen Extremisten, die in unseren Mauern wohnen, unsere Sprache sprechen, unsere Staatsbürgerschaft haben und Menschen töten und ihnen das Gott gegebene Recht auf Leben und Freiheit absprechen: Du sollst nicht töten.
Der Bruch des Gebots ist der Frevel, ist der Schaden, ist das Verderben in den eigenen Grenzen. So sagt es Jesaja.

So eine Losung ist ja immer ein wenig aus dem Kontext herausgelöst und wenn ich mir jetzt mal die ein zwei Verse davor anschaue, dann hilft mir das, das Eigentliche noch besser zu erfassen:

…, dass ich, der Herr, dein Heiland bin und ich, der Mächtige Jakobs, dein Erlöser. 17… Und ich will den Frieden zu deiner Obrigkeit machen und die Gerechtigkeit zu deinem Herrscher. 18 Man soll nicht mehr von Frevel hören in deinem Lande noch von Schaden oder Verderben in deinen Grenzen, sondern deine Mauern sollen »Heil« und deine Tore »Lob« heißen.

Es ist sehr deutlich, wer der Mächtige ist, nämlich Gott, und was die eigentliche Obrigkeit ist: nämlich Friede. Und die Gerechtigkeit ist der Herrscher.
Das um sich greifende Vergessen des Doppelgebots und das Aufblühen des selbstverliebten Egoismus in unserem Land, in unserer europäischen Gemeinschaft, in unseren Bündnissen, in unserer Welt, das „Ich zuerst“ führt geradezu in das Verderben, vor dem uns Jesaja, vor dem uns Gott, vor dem uns Jesus bewahren wollten und wollen.
Wenn es uns nicht gelingt durch das Leben und Vorleben des Doppelgebots aus Angst den Mut der Liebe werden zu lassen, werden wir allesamt miteinander untergehen. Das Doppelgebot führt zu einem Handeln, dem das Heil folgt.

Es darf nicht zum Sieg der egoistischen, egozentrierten Liebe kommen, der alle anderen sich selbst überlässt. Die Parole „Ich zuerst“ ist die Mauer, die ausgrenzt, ist das verschlossene Tor. Das aktive Bekenntnis „Gott zuerst“ ändert die Perspektive, öffnet die Herzen:

Man soll nicht mehr von Frevel hören in deinem Lande noch von Schaden oder Verderben in deinen Grenzen, sondern deine Mauern sollen »Heil« und deine Tore »Lob« heißen.

Amen.

Wochenandacht im LAFIM am 19. Januar 2017 über die Tageslosung aus Jesaja 60, 18